Yvonne Princesse de Bourgogne, OL

von Philippe Boesmans
Tragische Komödie in vier Akten
Libretto von Luc Bondy und Marie-Louise Bischofberger nach dem gleichnamaigen Stück von Witold Gombrowicz;
Deutsche Erstaufführung
Oldenburgisches Staatstheater, 2017
Musikalische Leitung: Vito Cristofaro, das Oldenburgische Staatsorchester, Mitglieder des Opernchors, Leitung: Thomas Bönisch, Regie: Andrea Schwalbach, Dramaturgie: Annabelle Köhler, Bühne und Kostüme: Anne Neuser, Video: Nanette Zimmermann, Licht: Ernst Engel
mit: Nientje C.Schwabe: Yvonne, Tomasz Wija: König Ignaz, Sarah Tuttle: Königin Marguerite, Philipp Kapaeller: Prinz Philipp, KS Paul Brady: Der Kammerherr, Isabelle: Melanie Lang, Cyprien: Aarne Pelkonen, Cyrillle: Timo Schnabel, sowie Ill Hoon Choung als Innocent, Friederike Hansmeier und Volker Brändl als Tanten, Sharon Starkmann, Esther Vis und Gabriela Heesch als 1.2.3. Dame, Soli -Stimmen: Friederike Hansmeier (Sopran), Gitta Pamin-Jensen (Alt), Jong-Seong Kim (Tenor) und Athony Gardner (Bass.)

Die Illusion der Inclusion – eine Mitleidsfarce

Das Fremde im Anderen ist ein zeitloses Thema, das in vielfältigen Facetten auftaucht und uns in immer neue Verwirrung, in Unsicherheit, Unbehagen und Unverständnis stürzt. Und uns mit uns selbst konfrontiert. Daraus ergeben sich Gefühle der Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Wut, Aggression – kurz eine Vielzahl von Emotionen, die aufzuschlüsseln es einer tiefgreifenden Analyse bedarf. Verordnungen und Vorschriften, Rezepte gar oder Anklagen wären hier fehl am Platze. Und deshalb wird dieses Stück auch als Farce, als mißlungener Mitleidsversuch, als absurde Illusion gezeigt.

Das Stück von Witold Gombrowicz, 1904 als Sohn eines Landadeligen im polnischen Maloszyce  geboren, richtet sich gegen Klassenvorherrschaft, Eitelkeit der Menschen, die sich für etwas Besonderes halten, und es ist eine wütende Anklage gegen Ungerechtigkeit gegenüber Aussenseitern. 1935 veröffentlichte der Jurist, der sich selbst stets mehr als Künstler empfand und ob seiner vehementen Kritik vom polnischen Staat ausgegrenzt und ins Exil geschickt wurde, dieses Theaterstück, das sein eigenes Schicksal, das Gefühl der Fremdheit und Andersartigkeit in klassischer Form als Sprechtheater auf die Bühne und damit vor ein breites Publikum stellt.

Der Belgische Komponist Philippe Boesmans verwandelte dieses Stück 2009 zur Oper, zum modernen Musiktheater, das vorwiegend durch und mit seiner Instrumentalisierung eine aufregende Psychologie der Personen schreibt: schrill und aggressiv, polternd und unsensible, wenn die höfische Gesellschaft die stumme unbeholfende Prinzessin am Hofe grausam verhöhnt und in den Tod treibt – und doch auch zart und poetisch, wenn dieselben Menschen einen Sonnenuntergang bewundern. Doch das ist Natur, der Mensch aber ist schwieriger zu fassen und gar nicht zu begreifen, wenn er sich nicht in die Masse einreiht, fortwährend mit ihr plappert und herumalbert und sich den Mächtigen andient.
Obwohl der berühmte Regisseur Luc Bondy für das Opernlibretto verantwortlich zeigt, bleibt der Text seltsam spröde und reduziert, sodass sich die Aufmerksamkeit auf die stilistisch variierende Struktur der Komposition – in Vehemenz und Artikulation thematisch konzentriert auf das Gesamtgeschehen – ausrichtet. Die Regisseurin Andrea Schwalbach nimmt Boesmans kompositorische Vorgabe sehr genau und entlarvt diese Gesellschaft sowohl durch ihre Worthülsen, als auch durch ihr albern-närrisches Verhalten – eine Spaßgesellschaft, gleich, in welcher Kostümierung sie sich vorstellt: Ob als Comedia dell’Arte, barock-grell aufgeplustert oder in der heutigen, beliebigen Zeitphase, wo jedermann aus- und anziehen kann, was ihm gefällt. Nur die fremde Prinzessin bleibt in der turbulenten, erschreckenden Umgebung bescheiden, ruhig, verständnislos, gutmütig, freundlich –   fern von aller chaotischen Wirrnis um sie herum, die das phantasiereich gestaltete Bühnenbild mit käfigartigen Zimmerchen und wundersam zerfließenden Dach- und Deckenkonstruktionen wie einen Spiegel aufnimmt.

Yvonnes schweigsame Zurückhaltung macht auch den freundlichen Prinzen am Ende wütend, und er löst die Verlobung, die er frühzeitig aus Mitleid mit Yvonne einging. Er kommt ihr nicht näher, aber er entfernt sich zunehmend von seiner alten Umgebung – die ihn, unfähig, sich auf Fremdartiges einzulassen und Selbsterkenntnis scheuend, zur Entscheidung treibt. Das ist bedrohlich, verwirrend, entmutigend für einen unsicheren jungen Mann.

Das läßt sich im Schauspiel sicher eindringlich und mitleiderregend darstellen. In dieser Operninszenierung werden differenzierte Darstellungen der Gefühle an die Zuständigkeit der Musik abgegeben, die sich farbenreich und atmosphärisch entfaltet, indem sie – entgegengesetzt der an der Oberfläche der Groteske treibende Handlung – die Charaktere tiefendynamisch bloßstellt. Sie gibt dem ehelichen Desaster von König und Königin die tragische Brisanz, der Königin in ihrer selbstzufriedenen Dichtkunst einen Hauch von Mitleid, und zärtlich-poetische Töne gaukeln eine Liebe vor, die, demaskiert als Selbsttäuschung, sich als ein heftiges Aufbrausen aus dem Orchestergraben über die Hofnarren ergießt – der blindwütige Hofnarr Rigoletto aus Verdis gleichnamiger Oper scheint nicht allzu fern.

Für die Darstellerin der Yvonne bleibt die Rolle der Körpersprache durchgehend bis auf wenige Ausnahmen, in denen sie unverständliche Worte sagt. Nientje C. Schwabe meistert dies eindruckvoll. Sie zieht, ungewollt, alle Aufmerksamkeit auf sich und ist dabei so hilflos unambitioniert, bis sich sogar alle vor ihr verneigen. Doch sie kann nicht aus ihrer Haut, nicht offenbaren, was sie bewegt oder empfindet und wird damit zum Opfer der verständnislosen Fremden, die in einer anderen Welt leben. Und wer lebt nun in der richtigen, der wirklichen Welt? Kammersänger Paul Brady zum Beispiel, nicht unähnlich dem unheimlichen RiffRaff ausstaffiert, scheint der brilliante Gegenpart zur stummen Prinzessin. Nicht nur, dass er springt und turnt und mit Freude intrigiert, er hat auch die größte und schönste Partie der Baritone, die mit Tomasz Wija als König Ignaz und Aarne Pelkonen als Cyprien, dem Vater Yvonnes, blendend besetzt sind. Für Ill-Hoon Choung gibt es eine intensive Partie als bleichgesichtiger alter Liebhaber der Prinzessin, den Philipp Kapeller mit lyrisch jugendlichem Tenor glatt aus dem Feld schlagen könnte, wenn er sich nicht schon der verführerischen Isabelle ergeben hätte. Melanie Lang gibt dieser höfischen Intrigantin schmeichelnde Elastizität. Als Königin Marguerite darf Sarah Tuttle einen lodernden Sopran ausspielen, der ihrer Einsamkeit und Sehnsucht überzeugend Farbe verleiht.

Der stets bestens geschulte Chor und weitere schöne Solopartien vervollständigen die deutsche Erstaufführung, die von Vito Christofaro mit seinem überzeugenden Orchester spannungsreich präsentiert und von allen Mitwirkenden temperamentvoll interpretiert wird. A.C.

 

 

 

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