Armida

von Theobald Gluck
Komische Oper

Musikalische Leitung: Konrad Junghänel, Inszenierung: Calixto Bieito, Bühnenbild: Rebecca Ringst
Kostüme: Ingo Krügler, Dramaturgie: Bettina Auer, Chöre: Robert Heimann

 mit: Caroline Melzer, Peter Eglitis, Peter Lodahl, Christoph Schöter, Günter Papendell, Thomas Eberstein, Olivia Vermeulen, Karolina Andersson, Hans-Peter Scheidegger, Maria Gortsevskaya, Anna Borchers, Carsten Wykrota, Orchester der Komischen Oper Berlin, Chorsolisten der KO, Komparserie der KO

 

 

Wenn Sex zur Besessenheit wird- Bilder contra Musik

Lange hat mich eine Frauenrolle nicht so fasziniert wie diese “Armida”, deren Liebesstolz und Leid, deren kämpferische Kraft und intensive Hingabe, deren Widerstandsfähigkeit und deren Trotz alle Facetten einer großen dynamischen, tragischen Leidenschaft widerspiegeln, wie es sie oft in der Musik-Literatur gibt, aber selten so glutvoll dargeboten wird. Caroline Melzer ist eine hinreißende Armida. In ihrem blauen engen Kostüm steht sie immer wie verloren in ihrer Zeitgebundenheit inmitten all dieses dionysischen Liebesgerangels und folterartigen Gemetzels zwischen entblößten Körpern und sich entblößenden Seelen. Verzweifelt kämpft sie gegen ein Gefühl an, dass sie ohnmächtig und hilflos macht, und das sie deshalb mehr fürchtet als das Kampffeld, auf dem diese “Zauberin” zuhause ist.

Aber Armida ist keine Zauberin, nur eine mutige, selbstbewusste und zugleich vollkommen weibliche Frauenfigur, die sich in der Originalversion (von Torquato Tasso) als Prinzessin des Libanon den wütenden Heerscharen des Kreuzritterzuges entgegenstellt, deren Soldat(inn)en die Männer niedermähen wie reifes Korn. Die Überlebenden geraten in eine erniedrigende Gefangenschaft bis auf ihren Anführer, den ritterlichen Rinaldo, der selbst im schlimmsten Gemetzel ein moralisches Vorbild bleibt. Ein Held der Sagenwelt, ein eher zögerlicher, sanfter und doch beherzter Mann, der die Liebe dieser schönen Herrscherin gewinnt. Ihrer beider innere “Gefangenschaft” erweist sich als so stark, so mächtig, dass es einer- in dieser zweifelsohne äußerst kleiderarmen Inszenierung des katalanischen Sex-Regisseurs Calixto Bieito – körperlichen Entblößung nicht bedarf. Ihrer beider Gefühlsskalen liegen ihnen und uns zu Füßen, dank der stringenten, leidenschaftlich aggressiven Orchesterinterpretation. Denn in dieser Inszenierung offenbaren sich die Schäferstündchen als roher Sex-Kampf zwischen den Geschlechtern – und die Liebe trifft sich oftmals in archaischer Heftigkeit und Gewalt, wie wir spätestens seit der Amazonenkönigin Penthesilea wissen, die ihren Liebsten im Wahn von ihren Hunden zerfleischen ließ.

Armida greift, als der Geliebte seinen rüden Soldaten wieder in den Kreuzzug folgt und der innerlich bereits besiegten Armida so unbeholfen wie nur irgend möglich, erklärt, dass er sie um des Ruhmes willen verlassen wird – nun doch und endgültig zur Waffe. Und wenn sie den Mann ihrer Wahl auch für immer verloren hat, so demonstriert sie letztendlich doch als Siegerin auf der Empore mit weit ausgebreiteten Armen, vom hellen Licht der glorreichen Selbstüberwindung umhüllt, den Standort, auf dem sie fortan immer stehen wird als eine Frau, die ihre Niederlage in der ganzen Grausamkeit der stets endenden Liebe zu rächen weiß.

Dass Peter Lohdahl als Rinaldo der Liebesglut dieser Armida nicht gewachsen ist, macht seine Niederlage um so erbärmlicher. Und die  Brutalität, mit der seine “Freunde” (äußerst eindrucksvoll als eine Horde wilder Burschen, die unheilsvoll ins Publikum hereinstürmt – es fehlen nur die Baseballschläger!) dann den Kampf verherrlichen und die Liebe mit nackter Gewalt bekämpfen, scheint hier durchaus angebracht. Anna Borchers spielt die Figura der Liebe, zart und zerbrechlich, schemenhaft im Hintergrund, jetzt tritt sie hervor- werbend, zärtlich, liebevoll den harten Soldaten umschmeichelnd, der ihr fast erliegt – denn eigentlich sollte doch die Liebe über den Kampf siegen, wenn es denn ein wirklicher Kreuzzug zu Ehren Christi wäre… Aber Religionskriege sind, wie die Geschichte bis heute zeigt, alles andere als der Liebe unter den Menschen gewidmet. Sie sind auf Macht und Herrschaft fixiert, und das Weib ist lediglich Objekt der Lust, der Begierde. Der Soldat tötet die Liebe, er vergewaltigt und erstickt sie, damit sie den Schwachen (oder den Feind in sich) nicht verführe. Und so bedrängen die Kampfgenossen auch Rinaldo, der, dem Ruhm nachjagend, sich sehr schnell von ihnen überzeugen lässt.

 Das versucht der Regisseur mit seinen Mitteln und Obsessionen zu zeigen. Dabei sind zahlreiche seltsam unpassende, hinein interpretierte Szenen entstanden, die eher verstören als erhellen – trotz der einfühlsamen Sänger und Darsteller. Da schwingen sich in durchsichtigen Halbschalen ein Mann und eine Frau, die man unschwer als Adam und Eva erkennt, durch die Luft oder spazieren Hand in Hand über die Bühne, einander liebevoll be-greifend. Da peitschen die Domina-Soldatinnen in chicen Kostümen (Olivia Vermeulen und Karolina Anderson) die nackten Gefangenen und lassen sie allerlei “Männchen” mit verbundenen Augen vollführen, was doch arg an bestimmte Bilder aus realen Gefangenenlagern unserer Zeit erinnert. Und da bekämpft die Symbolfigur des Hasses (Maria Gortsevskaya) wie ein Vulkan voller Begierde und Gewalt die aufgewühlte Verliebtheit der Armida, deren Körper sie mit freudianischer Begierde in Besitz zu nehmen versucht. Hass und Erotik also als Verbindung, eine gute Metapher, wenn auch von diesem Regisseur in einer Drastik dargeboten, die befremdet und abstößt. Wie er überhaupt Sex und Gewalt gegen die unerreichbare, unerfüllbare feinere Spielart der Liebe gegenüberzustellen versucht, gewalttätig und unverblümt wie stets – mit Intimitäten, die mittlerweile durch Film und Bühne hinreichend bekannt und abgeschmackt sind. Und somit ist diese Inszenierung nicht annähernd so malerisch-poetisch wie Tasso und Gluck sich ihr Werk wohl vorgestellt hatten. 

Es gab  – zu Recht – verdienten Beifall für das dynamische Orchester und die wunderbaren Choreinstudierungen. Der Verzicht auf endlos nervendes barockes Zupfen und Zirpen bleibt aus, stattdessen demonstrieren Siegesfanfaren, wohin sie hingehörten – in die Feldzüge der Eroberung; dagegen begleitet die Flöte so sanft und verführerisch wie irgend möglich die wahrhaftigen Herzenstöne. Eine Musik, die voll ungebrochener Zauberkraft steckt! A.C.

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