Monthly Archives: September 2022

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Don Carlo, HB

Diese Inszenierung besticht vor allem durch einige ungewöhnliche dramaturgische Einfälle: Da rackert sich ein von seinen Qualen gezeichneter Christus als Sisyphos mit einem zur Kugel geformten Bücherballast ab, diesen über die Stufen in der sich auftürmenden Bibliothek zu stoßen, vergebens, immer wieder muß dieses abseits agierende, von den Darstellern nicht wahrgenommene Sinnbild aller Vergeblichkeit einer um Frieden ringenden Menschheit von vorne beginnen; Stephen Clark darf mit seinem schönen Bass leidvoll Schicksal und Erlösung der Menschen beschwören und später sanft die verstoßene Elisabeth auf ein besseres Jenseits vertrösten.

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Der Hofmeister, B

Die gesellschaftlichen Zustände jener Zeit haben Brecht und sein Team, Caspar Neher, Egon Monk, Benno Besson und Ruth Berlau als bewegte Bilder wie im Stummfilm auf Zelloloid gebannt, wenn auch nicht sehr professionell, aber doch mit genialen Einfällen, mit alten Kostümen und übertriebener Dramatik in Szene gesetzt. In der jetzigen, akuellen Version von Kühnel und Kuttner mit der kongruenten Musik von Matthias Trippner geistern diese alten Figuren in gespenstischen Zerrbildern über die Bühne jener Tage; Immer noch sind die Bewegungen ruckhaft, stakkatoartig und daher durchaus passend in ihrer grotesken Ambition, während der geraffte Text, bemerkenswert exakt auf die Leinwandbilder abgestimmt, von den Schauspielern auf der realen Bühne gestisch, dramatisch und episch dargestellt wird. Eine Farce, die das bittere Schicksal eines Menschen beschreibt, der sich erniedrigen und beleidigen läßt, ohne sich zur Wehr zu setzen. Sehenswert.

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Die heilige Johanna der Schlachthöfe, HB

Ein fulminanter Saisonauftakt! Schauspieler, die mit Leidenschaft und grundsolidem schauspielerischen Potenzial eine Aufführung hinlegen, die ich lange nicht so sah: Autorengetreu, sprachlich einwandfrei akzentuiert und nicht nur gesprochen, sondern jeder Satz durchdacht und nacherlebt, so dass das Publikum in atemlose Spannung versetzt wird. Die Bühne sieht am Ende wie ein Schlachtfeld aus, aber zu Recht: denn was die verantwortungslosen Viehhändler und geldgierigen Schlächter dem armseligen Arbeitevolk hinterlassen, ist ein blutiges, lebloses Schlachtfeld, auf dem sich nur noch die Finanzgeier tummeln. So radikal wie Bert Brecht diese Anklage dramatisiert hat, so poetisch und anspruchsvoll er seine peitschenartigen Statements setzte, so intensiv war und bleibt auch die Wirkung seiner Bitterkeit gegen einen mitleidlosen Kapitalismus, den er in Amerika während der Rezession erlebte, und von dessen Erlösung er sich 1947 mit dem Ruf an das ostdeutsche Berliner Ensemble ein besseres, jedenfalls ein anderes, gerechteres Dasein vesprach.
Aber das war eine andere Sache.

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Gespräche und Diskussionen im Deutschen Theater, B

Es wäre vielleicht interessanter bzw. weitreichender gewesen, wenn man Frau Adler ins Gespräch mit Herrn Schäuble gebracht hätte. Denn so verlief der erste Gesprächsabend “Glück und Unglück in Europa” mit einem zwar sehr liebenswürdigen und gebildeten, doch seinen 88 Jahren gezollten, unstrukturiert diskutierenden Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg mit dem politisch erfahrenen jetzigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, vorsichtig gesagt, ziemlich unrund. Während Muschg in seiner Verzweiflung über die Zustände in der Welt den Humor als beste Waffe gegen Not und Tod einzusetzen empfahl, blieb Schäuble “listig wie Odysseus” (Muschg, der gut und gerne mit der Antike argumentierte) auf der Flugbahn der Realpolitik: Deutschland wie Europa insgesamt müssen die Ukraine, ungeachtet aller selbst zu bringenden Opfer, mit allen Mitteln und Möglichkeiten unterstützen und sich Putins Erpressungsversuchen widersetzen. Verhandlungen seien unmöglich.