Monthly Archives: Oktober 2017

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Scherbenpark, HB

In Bremen bestimmt ein großer, weiter lichter Raum mit riesigen farbintensiven surrealistischen Gemälden an den Wänden die Bühne, die eher einer Malerwerkstatt ähnelt, die gesamte Aufführung. Hier spielt sich zumeist auf dem Boden, zwischen Farbtöpfen, Kleidungsknäueln und auf rollbaren Tischen ein wichtiger Lebensabschnitt der 17jährigen Sascha ab, die jäh den gewaltsamenTod ihrer Mutter und deren Freund verarbeiten, ihre jüngeren Geschwister betreuen und eine aus Russland angereiste Tante beaufsichtigen muß. Sascha ist überaus intelligent und couragiert und fühlt sich für alle und alles verantwortlich. Gleich zu Beginn offenbaren sich ihre Ohnmacht und Wut, ihr Hass und ihre unendliche versteckte Trauer mit zwei markanten Träumen: Sie will ihren Stiefvater, der die Mutter und deren Freund erschoss, nach seiner Entlassung aus der Strafanstalt umbringen, und sie will ein Buch über ihr Mutter schreiben, die so schön und gut, doch zu dumm war, um die Warnung ihrer klugen älteren Tochter ernstzunehmen. Eine lebendige Inszenierung, die aber den intensiveren Roman nicht ersetzen kann.

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Candide oder Der Optimismus, HB

Leonard Bernstein läßt die lange Zeit verfemte Gesellschaftssatire des französischen Schriftstellers und Denkers Voltaire in musikalischer Bildsprache auferstehen und umgibt sie mit einer Virtuosität, die, wie gewohnt, zwischen Musical, Oper, Operette immer einfühlsam, zuweilen zärtlich, dann wieder grell-katastrophal changiert und hohe wütende Wellen auftürmt, wenn es an physische, psychische und moralische Grenzen geht. Die Bremer Inszenierung läßt die Erzählung des Franzosen in der Neufassung von John Caird aus dem Jahr 1999 in großer Orchesterbesetzung der Scottish Opera Version spielen, die den Handlungsablauf strafft und sich auf die philosophische Auseinandersetzung konzentriert. Ein phantasievoller, farbenprächtiger Bilderreigen mit so viel Lebendigkeit, dass man beinahe vergißt, dass es sich hier um eine philosophische Auseinandersetzung von Leben und Tod handelt.

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Die Entführung aus dem Serail, OL

Mozart modern – dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn diese Inszenierung wirklich etwas Neues brächte, eine Geschichte zauberte, die der Liebe ebenso gerecht wird wie sie in so überwirklichen Tönen herbeigezaubert wird, und die den Machthunger und die Besitzgier einer modernen ( oder anderen, fremden) Gesellschaft überwinden und besiegen kann. In der historischen Entstehungsgeschichte von Mozarts phantasievollem Kostümspiel, das sich spielerisch und witzig in jener Zeit gegen die Türken wenden durfte, die ja sich aufgemacht hatten, das Abendland zu bekämpfen, ist die Überzeichnung des bösen Haremswächters und des Herrschers über Frauen und Eunuchen sicherlich herzlich bejubelt worden. Später wurde die Oper immer wieder in neuen Variationen inszeniert, mal gut, mal weniger, aber die Musik bleib: ein Strom von in Noten gegossenen Gefühlen. In Oldenburg wurde es zu einer relativ unaufgeregten Geschichte eines wohlhabenden jungen Mannes, der Belmontes Braut in seine Partyvilla in den Bergen entführt und sie nicht nur besitzen will, sondern sogar liebt. Und Konstanze ist sich nicht so ganz sicher, für wen sie sich nun also entscheiden soll. Da die Oper ihr nun mal vorgibt, dass sie Belmonte nehmen soll, geht es vornehmlich um diesen Konflikt. Das ist alles hübsch gesungen und vortrefflich von Chor und Orchester begleitet sowie auf zweieinhalb Stunden reduziert, und das ist auch genug. A.C.

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Fremdes Haus, HB

Die Inszenierung ist gruselig und grausam. Ein indischer Slum ist geradezu eine Wohlfühlzone gegen diese Kanalrattenwohnwelt, in der die Häuser fensterlos und die Menschen hoffnungslos sich selbst und anderen das Leben so schwer wie möglich machen. Auf der gefluteten Bühne waten krass geschminkte Frauen und Männer im schmudeligen Wasser herum, in abgerisssener Kleidung und unter brutal harten Rhythmen. Ihre Perspektivlosigkeit lassen sie wie ein Schwarm Hornissen an dem zunächst einzig Unschuldigen aus, der jäh in ihr “Viertel” eindringt und sich als Verwandtschaft herausstellt: Jene hat seine Heimat Mazedonien verlassen, um bei den Verwandten im scheinbar goldenen Westen Asyl zu finden. Da ist Risto, ein früherer Freund von Jenes verstorbenen Vater, jetzt ebenso erfolglos wie verwahrlost; dessen Frau Terese gibt sich fürsorglich, eine Prostituierte naturgemäß zugänglich, die Cousine anschmiegsam und der angeheiratete Cousin feindlich. Damit sind zunächst einmal die äußeren Verhältnisse geklärt.
Was sich nach und nach als Familien- und Seelendrama entblättert, hat als Inszenierung das Manko einer nur unzureichenden dramaturgischen Bühnenversion eines Romans, ist aber als Theaterstück geschrieben. Dafür sind die Dialoge zu schmal, und die Monologe sprengen intellektuell und in ihrer epischen Länge den ohnehin schlaffen Spannungsbogen der Handlung. Dass man angesichts der furchtbaren prekären Verhältnisse, der Brutalität, der wütenden und hasserfüllten, sich in vorwiegend gossensprachlichem Jargon angiftenden “Familienmitglieder” ebenso fasziniert wie ungläubig diesem menschlich unwürdigem Dasein zuschaut, ist allein den hervorragenden Darstellern gezeitigt. Sie werfen sich mit aller schauspielerischen Kraft, die ihrem Rollenverständnis glaubhaft entspricht, in das Seelenmassaker, das persönliches Versagen in ein politisches und soziales Umfeld stellt, ohne dieses allein verantworltich zu machen.