Category Archives: Klassik/ Moderne

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Iwanow, B

Diese Gesellschaftssatire spielt in der Gegenwart, und man glaubt es kaum, ist einfach so aus alten russischen Zeiten geschickt transferiert. Was unterscheidet die Menschen von damals und heute? In ihrer Sehnsucht nach Anerkennung, Wohlstand, Erfolg, einem bessern Leben, das sie aus ihrer Wohlstands-Langeweile und vom monitärem Mangel erlöst? Aber dazu müßten sie sich ja bewegen, den Ball, der ihnen zugespielt wird, mit Geschick und Klugheit parieren und über die Hürde bringen. Netzroller plumpsen ohne Erfolg am Netz herunter und bewirken rein gar nichts, nur Minuspunkte. Dass alles so passend mit schwarzer Komik angefüllt ist, stößt bei den leider mehr auf scharfen Witz abbonnierten Berlinern natürlich auf Granit. Schade drum. Wer die Feinsinnigkeit des nordischen und englischen Humors liebt und den treffsicheren Sarkasmus auch als kritische Aufforderung sieht, die darin verborgene Kritik an den Zeitgeist zu verstehen und nicht als Angriff auf das hehre Genre des Dramas, wird dieser Inszenierung mit Tchechows zeitnaher Intention gewiss mit Lust und Freude folgen. A.C.

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Macbeth, B

Die Wiederaufnahme von “Macbeth” ist ein unglaublich intensives Bühnen-Inferno, in dem Menschen einander verraten und töten, quälen, verführen, verachten, wo das Morden Lust und Pein zugleich ist, wo die Machtgier Blutrausch gebiert, wo die letzte menschliche Regung – nämlich die Angst vor der eigenen Ungeheuerlichkeit – im Wahnwunsch der absoluten Macht verloren gegangen ist. Und dieses Phänomen ist ewiglich; denn die klassische griechische Mythologie erzählt uns von Anbeginn der Welterschaffung ebendies: Macht, Mord, Kampf, Untergang und Neubeginn. Und das Rad der Geschichte dreht sich unaufhörlich. Denn die olympischen Götter hatten die Welt und die Menschen nach ihrer Vorstellung und nach ihrem Bilde geschaffen!

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L’Isola d’Alcina, OL

Eine Hommage an Europa. Beinahe wie bei Mozart: heiter, beschwingt, ein HImmel voller Melodien, nur dass sich hinter diesem köstlichen Schwank zwei Autoren verbergen, die man ansonsten eher selten hörte. Dass sich hier die Oper selbst verulkt, nicht nur in ihrer Choreografie mit schauspielerischem und musikalischem Übermut, sondern vor allem mit einem Metatext, der den Irrwitz des Geschehens selbstironisch kommentiert und jederzeit auch mit zeitgenössichenen Bonmots aktualisierend auffrischen und dekorieren kann. Eine fröhliche leichte Kost nach schwerem Ring-Menu. Überaus herzlicher langer Applaus.

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Die heilige Johanna der Schlachthöfe, HB

Ein fulminanter Saisonauftakt! Schauspieler, die mit Leidenschaft und grundsolidem schauspielerischen Potenzial eine Aufführung hinlegen, die ich lange nicht so sah: Autorengetreu, sprachlich einwandfrei akzentuiert und nicht nur gesprochen, sondern jeder Satz durchdacht und nacherlebt, so dass das Publikum in atemlose Spannung versetzt wird. Die Bühne sieht am Ende wie ein Schlachtfeld aus, aber zu Recht: denn was die verantwortungslosen Viehhändler und geldgierigen Schlächter dem armseligen Arbeitevolk hinterlassen, ist ein blutiges, lebloses Schlachtfeld, auf dem sich nur noch die Finanzgeier tummeln. So radikal wie Bert Brecht diese Anklage dramatisiert hat, so poetisch und anspruchsvoll er seine peitschenartigen Statements setzte, so intensiv war und bleibt auch die Wirkung seiner Bitterkeit gegen einen mitleidlosen Kapitalismus, den er in Amerika während der Rezession erlebte, und von dessen Erlösung er sich 1947 mit dem Ruf an das ostdeutsche Berliner Ensemble ein besseres, jedenfalls ein anderes, gerechteres Dasein vesprach.
Aber das war eine andere Sache.

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Faust, OL

Zu den teuflischsten Darstellern eines Mephisto von Gustaf Gründgens und Klaus Maria Brandauer, die ihre permanente Präsenz letztlich auch der Umsetzung ihrer Bühnendarstellung in das jederzeit abrufbare Medium des Films verdanken, sollte man nun einen weiteren Namen hinzufügen, den einer jungen Dame, die einen neuen Mephisto, nämlich den Schauspiel -Zeitgeist des 21 Jahrhunderts verkörpert – im wahrsten Sinne: Julia Friede spielt mit ihrem in glänzenden engen Lack verpackten beweglichen Schlangenkörper in ungemeiner Lässigkeit und Eleganz; und ist mit leidenschaftlicher Vernichtungswut, Verführungskunst und Schmeichelei penetrant auf gefährliche Lust fixiert – dass es ein Irrsinn ist. Ein toller Teufel! Voller Bewunderung nicht nur für die sprachliche Authentizität – die allen Schauspielern dieser Aufführung attestiert werden muss – sondern gleichsam für ihr brilliantes pointiertes Verbalisieren aller teuflischen Gemeinheiten, die sich hinter den listenreichen Hilfsangeboten an den verzweifelten, wissenstrunkenen, todesbereiten Doktor der Philosophie, Theologie und Juristerei verbergen.

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Michael Kohlhaas, B

Ein Sammelsurium von Einfällen, aber keine dramatische Struktur – so ließe sich diese Inszenierung beschreiben, die mit technikverstärkter Deklamation das Schicksal des Pferdehändlers Michael Kohlhaas beschreibt, der um sein Recht und Wiedergutmachung kämpft, obwohl er eigentlich hätte wissen müssen, dass Recht und Gerechtigkeit im Sinn der absoluten Vorherrschaft des Adels und der abhängigen Justiz verhandelt werden. Die Geschichte kommt glühend und donnernd über die Bühne, wird mit allerlei Aus-und Anziehvariationen ausgeschmückt, aber wirkt im Ganzen eher, als ob hier zu viele Akteure ihre Vorstellungen eingebracht hätten, und man sich dann irgendwie auf einen mehr schlichten Darstellungsmodus geeinigt hätte. Doch Kleist ist, gerade weil sein Text so authentisch vorherrscht – immer eine Reflexion wert. Ideologische Verbissenheit und der Kampf um Gerechtigkeit sind Diskussionsstoff allemal.

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