Orlando

 

von Georg Friedrich Händel
Opera seria in drei Akten
Libretto nach Carlo Sigismondo Capece
Deutsche Textfassung von Werner Hintze
Komische Oper

 Musikalische Leitung : Alessandro De Marchi, Inszenierung: Alexander Mørk-Eidem
Bühnenbild: Erlend Birkeland, Kostüme: Maria Gyllenhoff, Dramaturgie: Bettina Auer
Licht: Franck Evin 
Orlando: Mariselle Martinez, Angelica: Brigitte Geller, Medoro: Elisabeth Starzinger, Dorinda: Julia Giebel, Zarathustra: Wolf Matthias Friedrich, Isabella, Zarathustras Assistent: Bernd Stempel

 

 

Ein Ritter von der traurigen Gestalt

Von opera seria keine Spur: vielmehr: ein flotter Liebesreigen nach Comedy Art, noch ein bisschen der alten Barock-Moral verhaftet und kurzweilig gekürzt, so verwirrend und verquer, dass sich hier Zukunftsvisionen für mancherlei Bühnenversionen ergeben können. Man ist ja von der Komischen Oper eine neue Denkungs- und Darstellungsart gewöhnt und ist eigentlich auch kein bisschen überrascht, dass Pilze vom Himmel fallen, eine Maschine die geheimen Wünsche der Menschen offenbart, Kleenextücher eine bedeutende Rolle spielen und sich hier nach Art des Hauses die Geschlechter völlig verquer darstellen: die Männer sind Frauen, nicht nur, wie bei Händel, dass sich Kastraten in die Gunst des Publikums hineinsingen, sondern es lieben und leiden allein weibliche Paare. Und der als Magier der Vernunft verkleidete Zarathustra ist mit Wolf Matthias Friedrich ohnehin ein undefinierbares Wesen, mal in Indianertracht, dann wieder brustentblößt in Unterwäsche, der gemütlich sein Wasserpfeifchen schmaucht und sich hin und wieder mit wohltönenden Ermahnungen an die allzu heftig Leidenden aus höherer Warte zeigt. Ihm zur Seite die wohl netteste Figur in diesem Spiel ist der Schauspieler Bernd Stempel, dem man sonst am Deutschen Theater begegnet, der trotz aller Kasperei und kurzem Röckchen über den langen Beinen niemals lächerlich wirkt, sondern einfach wie ein ernsthafter Clown, der alles richtet und selbstverständlich zur Stelle ist, wenn es brenzlig wird. Ein glücklicher Regieeinfall.

Vom Schicksal gefügt in der Realität ist an diesem Abend die Indisposition von Brigitte Geller, die zwar die Rolle der Angelica überzeugend und hingebungsvoll auf der Bühne mimt, deren Stimme aber von der nuancenreich brillierenden Sängerin Nina Bernsteiger aus Kassel hinter der Bühne ersetzt wird. Das flüssige Spiel bleibt somit ungebrochen, das mit der zarten Julia Giebel eine entzückend helle und klare Schäferin präsentiert. Ihre um die Liebe zu Medoro betrogene und tapfer leidende Dorinda stapft in Gummistiefeln um ihren Campingbus im Drehbühnen-Tannenwald herum und muss mit ansehen, wie Medoro und Angelica einander in mehr als nur verwandtschaftlicher Liebe zugetan sind. Im Gegensatz zur Hauptfigur des Stückes, dem uneinsichtigen Ritter Orlando, überwindet sie den Betrug des Geliebten und kann mit Hilfe Zarathustra nicht nur philosophische Betrachtungen über das Wesen der Liebe im Allgemeinen und Speziellen anstellen, sondern auch mit glockenreinem Sopran ihre persönliche Konsequenz aus dieser Erfahrung verkünden. Sie wird am Ende den stärksten Zuspruch des Publikums erhalten.

Und wer ist nun dieser Orlando, um den sich das ganze Stück mehr oder minder dreht? Ein Ritter, der vorübergehend seine Aufgabe als tapferer Held vernachlässigt und sich stattdessen mit unbändiger, blinder und tödlicher Eifersucht quält, die Händel mit großartigen Arien darstellt und mit deren Abbild er seine Zeit auffordert, Maß zu halten mit überbordenden Gefühlen, Tapferkeit vor Leidenschaft zu stellen, Verlust zu akzeptieren und die wilde Raserei des verletzten Ego in Vernunft gelenkte Bahnen zu bringen. Mit Mariselle Martinez steht ein nicht besonders tapferer und kühner Orlando im Mittelpunkt des Geschehens, aber sie formt den haltlos verliebten Kämpfer mit einem warmen und tiefem Alt, so dass er zwar nicht besonders heldenhaft, aber wohltönend auf verlorenen Freiersfüßen steht. Seine/ihre Leidenschaft ist mindestens so glaubhaft als wenn ein männlicher Held diese Rolle innehätte. Sie soll zwar keine Hosenrolle spielen, trägt aber dennoch eine solche wie auch Angelica, die hier trotz aller tirilierenden Tiraden wohl den männlichen Part in der Beziehung zum schönen und verführerischen Medoro (Elisabeth Starzinger im flatternden Ballkleid) mimt.

Als Mann des Adels hätte sich ein Hirtenmädchen auch wohl kaum für ihn geschickt, und Händel, der seine Zeitgenossen ohnehin mit neuartigen kompositorischen Einfällen aus ihrer gewohnten Hörbahn warf, hielt sich damit zumindest an die gesellschaftliche Norm. Aber indem er seinen Sängern bereits viel mehr Freiheiten gab, als sie es bislang von den alten Barockopern gewohnt waren, lenkte er die starren Wiederholungsarien und die unerträglichen Rezitative bereits in neue Bahnen. Statt des stimmlich angehobenen Sprechens gleitet das Rezitativ mehr und mehr in echte Gesangslage, während die kleine Arie bereits auf das Accompagnato weist und schließlich zur artifiziellen, koloraturreichen Arie in dreifacher Variation führt und Orchester wie Sängern neue Möglichkeiten der Ausformung überlässt.

 Ob allerdings die Aufhebung aller geschlechtlichen Ordnung nun so sehr unser Verständnis von Oper und Zeitgeist verkörpert, mag man bezweifeln – im Barock war es ein Spiel auf der Bühne und in besseren Kreisen auch eine Verbeugung vor der Kunst der Kastraten. Im 21. Jahrhundert ist es wohl eher nur mehr ein Spaß, dem man die passend schönen Männerstimmen (wir haben doch wunderbare Counter?!) opfert.  A.C.

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