Das 13. Kapitel

von und mit Martin Walser
Schloss Stiftung Neuhardenberg

Lesung und Gespräch mit Jörg Magenau, Biograph u.a. von Martin Walser

 

…der Rest ist Gymnastik

Dieser Mann ist alles andere als ein Greis. Martin Walser, Jahrgang 1927, steigt mit Schwung auf das Podest, manifestiert sich hinter dem Schreibpult, bewundert sein zahlreiches Publikum – “dass so weit zu ihm herausgekommen sei” und legt los: aus dem charmant-verliebten Briefwechsel zwischen einem intellektuellen, älteren, bis dato einander unbekannten Paar. Er liest leicht und flüssig, mit schöner tonaler Ausformung, seinem Dialekt zugestanden, der dem eines Schauspielers nahe ist. Und das ist er dann eigentlich auch; ein Schauspieler, ein Darsteller seines Lebens, seines “Ichs”, seiner Lieben, Leiden, Einsichten und Erfahrungen, die er sich -ganz gewiss- niemals scheute, öffentlich auszutragen. Er begehrte auf, löckte wider den Stachel, machte sich mächtige Kollegen zu Feinden, die bislang als Freunde ihm wohl gesonnen schienen, spielte mit Sprache, Moral, Wissenschaft und Witz.

Niemals sei er in Allem zu begreifen und zu verstehen, bekannte zu Beginn sein Biograph, der Ludwigsburger Jörg Magenau, der in Berlin Philosophie und Germanistik studierte, als Literaturredakteur verschiedenen Ortes tätig war und mehrere Biographien berühmter Leute verfasste. Walser, eher einem mächtigen Übervater ähnelnd als einem Poeten, griff gerne auf, was nicht nur Magenau ungekünstelt bekannte. Er könne und wolle auch gar nicht immer verstanden werden. Er verstehe sich ja selbst auch nicht immer. Beifall seiner überwiegend weiblichen Fangemeinde, deren Sympathie sich auf ihn zu übertragen schien, und die er gerne mit Charme quittierte und in den Saal zurückschickte.

Also las er dann aus seinem jüngsten Werk, ein weiteres bereits im Zug während der Herreise schon im Angriff, – ein Bekenntnis, das die Wunde des Älterwerdens sichtbar werden ließ. In dem 13.Kapitel allerdings ist der Schmerz ein anderer, ein beinahe normaler, alltäglicher: ein Mann und eine Frau, beide verheiratet, beide sehr gebildet, schreiben einander ihre tiefsten Gedanken und Sehnsüchte, intellektuelle Einsichten, theologische Zweifel und Erkenntnisse. Und über diese Seelen- und Geistesverwandtschaft hinaus beginnen sie, einander zu lieben, zunächst anonym, aber sie haben einander ja schon gesehen, getroffen, saßen sich beim Empfang des Bundespräsidenten gegenüber, nahmen einander bereits wahr- ER ganz und intensiv, mit allen Fasern seines Ichs – Sie, eher am Rande, weiblich intuitiv wissend, dass sich da jemand ganz außerordentlich für sie interessierte. Und indem sie ihm sie scheinbares Desinteresse zeigte, entfachte sie seine Glut. Das ist Walser, das ist menschlich, das ist wahrhaftig und möglich.

Aber es geht Walser vor allem um sich selbst, seine Gedanken, ihre Widersprüchlichkeiten, seine Auseinandersetzung mit dem großen Theologen Karl Barth, mit anderen Philosophen, mit den Möglichkeiten des Glaubens, und denen der weit umfassenden Liebe umzugehen., “Dieses Buch”, so sagt er später im Gespräch mit  Magenau, bewege sich außerhalb des Gesellschaftlichen. Meint, die Sphäre ist ganz und gar intim, spielt sich zwischen zwei Ichs, zwei Charakteren, zwei starken Persönlichkeiten ab, die niemals ganzheitlich zueinander kommen können. Liebe, platonisch, geistig, fern aller “körperlichen Gymnastik”. Ein bitter Witz des Verzichts. Und doch sind sie bereits vereint, nämlich im Herzen, im Verstand, in der Seele eines Mannes, nämlich Martin Walsers. Und nachdem das gründlich geklärt ist, schenkt er seinem Zuhörern kleine Bonbons, Bonmots, wie “Das Leben ist viel zu kurz, um deutsche Weine zu trinken” (Protest!), “Es gibt Sätze, über die sich nur Männer streiten ” oder etwas nachdenklicher: “Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens”. Da kann man dann länger drüber nachdenken. 

Ein Abend, der uns den Menschen Martin Walser näher brachte. Seine Bücher muss man sich wohl selbst erarbeiten. A. C.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


9 − = zwei