Der Geizige
von Peter Licht
Maxim Gorki Theater
Regie: Jan Bosse
Mit Peter Kurth, Robert Kuchenbuch, Hilke Altefrohne, Johann Jürgens, Matti Krause, Sabine Waibel
“Hä, Hä” und “Keine Ahnung” !!
Harpagnon hat seine Patenkinder aus aller Welt zum großen Familienmahl eingeladen. Was nach Altruismus aussieht, ist reiner Egoismus: Harpagnon schmückt sich mit einem Minimum an Wohltaten und möchte sie seinen Kindern, die daheim unter des Vaters Geiz leiden, präsentieren., Eine gemeinsame Tafel ist mit Kerzen, Besteck und Trinkbechern gedeckt. Aber an diesem riesigen, schräg nach vorn geneigten Tisch wird nie ein Essen serviert werden. Denn: Keines der Kinder fühlt sich zuständig. Alle hocken, flegeln, lehnen sich an die glitzernden Spiegelwände oder über Tisch und Stuhl, zeigen Langeweile und demonstrieren geistige Leere. Sie wollen nur eines: die pekuniäre Zustimmung des Vaters für ihre geplanten Ehen im Besonderen und ein komfortables Leben ganz im Allgemeinen. Doch dafür haben sie nur vage Ideen und ebenso naiv-phantastische wie irrsinnige Vorstellungen.
Doch Harpagnon weigert sich, sowohl in die Verbindung seines Sohnes Cléante mit der sehnsüchtig erwarteten, doch leider nicht auftretenden Marianne einzuwilligen, die er zudem selbst begehrt, als auch der Laison seiner Tochter Elise mit seinem Angestellten Valère zuzustimmen. Der ist hier nur ein etwas müder Tropf, pariert auf Messerwurf des Alten, erschrickt kurzfristig aus dem Dämmerzustand und gibt dann gutturale Urlaute von sich. Was für seine Bühnentauglichkeit hier voll auszureichen scheint. Peter Kurth präsentiert seinen Harpagnon im goldbetressten Louis-Quattorze-Kostüm als eine gewichtige, ernstzunehmende Persönlichkeit. Denn er führt gute, stichhaltige, zudem philosophisch höchst abstrakte Gründe dafür an, sich von seinem Geld nicht trennen zu dürfen! Denn sein Geiz ist nicht irgendwie gewöhnlich oder lächerlich verkniffen, sondern eher selbstverständlich, existenziell und fundamental. Würde er sein Vermögen antasten, das er Zeit seines Lebens angehäuft hat, was ihn füllt und anfüllt und immun macht gegen jedwede Anfeindung, gegen Alter, Krankheit und Tod – er würde sich selbst verlieren, sich abschreiben müssen wie eine verlorene Investition. Er rät seinem gleichwohl bequemen als auch um sein Erbe mit einiger Chuzpe kämpfenden Clèante, sich selbst zu erarbeiten, was er zu benötigen glaubt. Dieser monologisierende Harpagnan ist eine Wucht, nicht einmal unsympathisch, auch kein Sympathieträger, aber irgendwie haben der Autor Peter Licht und der Regisseur Jan Bosse diesen Charakter aus der Ferne ins Heute gezerrt und ihn als Inkarnation eines Kapitalisten gezeichnet, den sie zwar abgrundtief verabscheuen, aber dem sie nicht beikommen können!
Das ist die eigentlich alte Farce, nur als aktuelle Version einer gebrauchsfertigen, konsumfreudigen, genusssüchtigen, dem Geld verfallenen Gesellschaft. Licht und Bosse treiben die anderen Figuren in die Karikatur, sie sind arme pubertierende Wichte, die ihren geistigen Zustand nur noch mit “hä”, “hä” und “keine Ahnung” outen, vorwiegend untätig bleiben, sich starr und ergeben den Schikanen des Vaters wie Knechte beugen. Das Stück hat hier keine Moral. Der Alte hat seine eigene Lebenslogik, und der Junge kann den fragmentarischen Ausweichmanövern des Vaters schon lange nicht mehr folgen. Dessen diabolischen Argumenten wissen Söhne und Töchter nichts entgegenzusetzen. Und warum, bitte sehr, hat, last not least, ein alter Mann nicht das gleiche Recht, eine junge schöne Frau zu begehren wie ein junger Mann? Zumal – er außerdem auch noch reich ist? Irgendwie ganz schön gerissen.
Zuweilen wähnt man sich in einer Langweilergesellschaft wie sie Tschechow als Mahnmahl der Dekadenz aufs russische Land verpflanzte und an sich selbst zugrunde gehen ließ. Allerdings streuen sich hier und dort seltsame abstruse, oft auch amüsante Gedanken ein, die nun wieder eine Anleihe bei Beckett vermuten lassen – oder ist es wirklich nur blanker Nonsens, der sich eine Hormonwelt im Klärschlamm vorstellt und die Vormacht der Frauen auf die Spitze treibt, so dass der Mann zur Frau mutiert? Vielleicht hat sich der Autor hier – als Auftragsarbeit! – auch nur unkontrolliert einfach allen Frust von der Seele geschrieben und sich dabei ungestraft eines politisch aktuellen Themas bedient, das bei Molière doch einen weitaus größeren Schatz an Geist und Bonmots vorweist? Das Publikum war am Ende dieses Abends geteilter Meinung. A.C.