Don Giovanni

von Wolfgang A. Mozart
Deutsche Oper Berlin, 2010

Mit Ildebrando d’Arcangelo, Marina Rebeka, Yosep Kang, Ante Jerkunica, Ruxandra Donose, Alex Esposito u.a.
Inszenierung: Roland Schwab, Musikalische Leitung: Roberto Abbado

 

 Plötzlich ist das Spiel aus

So viele Buh-Proteste hörte man selten. Warum nur? Weil der krankhaft sexsüchtige Held Don Giovanni, alias Don Juan, alias  Casanova gleich dutzendmal und mehr dargestellt wird, reihenweise korrekt im dunklen Managerdress, den Golfschläger schwenkend als grandios überzeichnetes Symbol männlicher Sexualkraft und mörderischer Gewalt? Oder: weil Ildebrando d’Arcangelo als Don Giovanni mit seinem schweren trockenen Bariton so gar keine Verführungskünste (und schon gar keinen Geist) aufbieten muss, um die Schönen reihenweise flachzulegen, weil er dunkel und derb und diabolisch daherkommt? Oder: weil sich dieser Held in unzähligen Theater- und Opernvariationen, in Dichtung und Wahrheit so darstellt, als ob er niemals aussterben, niemals wirklich geheilt werden würde? Wie wir es seit ewigen Zeiten wissen und immer wieder im modernen “outing” berühmter Sänger, Schauspieler und Golfhelden erfahren?

 

Dieser Don Giovanni, von Roland Schwab ins absolute Dunkel gesetzt, ist kein Held, sondern ein brutaler Verbrecher, und die Damen, die ihm vor die Füße fallen, wollen es nicht anders, leugnen gegenüber ihren Anverlobten jegliche Untugend, fühlen sich zu dem Dämon namens Erotik hungrig hingezogen, als ob es einfach nur um leckeren Schokoladencremegenuß ginge.

Dass dieser Herr wie ein seelenloser Automat, wie ein grauer Zeitmann in Michael Endes Momo-Geschichte unbeirrbar und zwanghaft nur ein Ziel verfolgt, könnte doch wohl passender nicht dargestellt werden als in dieser – zugeben – mehrfach gebrochenen Inszenierung, der ein selten schwaches und farbloses Orchester mehr brav als begeistert folgt.

Dem Anti-Helden zur Seite steht ein umwerfend komischer Kauz namens Leporello, ein Diener wider Willen, ein schwacher Mensch, der von dem Hungerlohn seines Herrn abhängig und von dessen unmoralischen und verwerflichen Eskapaden durchaus nicht begeistert ist, aber doch in unerklärlich faszinierender Weise angezogen wird. Er stolpert und purzelt, hüpft und klabautert auf der Bühne herum, dass man jeden Moment einen Unfall befürchtet; denn Alex Esposito muß sich als umtriebiger Leporello natürlich auch noch in allen Phasen stimmlich präsentieren und darf sich keinen falschen Ton und Tritt erlauben; wenngleich ihm die getauschte Rolle, in der er die arme Elvira als verkleideter Don Giovanni betören und an der Nase herumführen soll, doch einigermaßen Spaß bereitet. Das signalisiert wohl immer das keckernde Gelächter, mit dem er seinen Auftritt wie ein Kobold genüsslich beendet.

Während also dieser wüste Nimmersatt von Eroberer nur ein paar schmeichelnde Worte, ein paar Streicheleinheiten zu verabreichen braucht, um sich die aufmüpfige, nach Rache dürstende Donna Anna und gleichermaßen die zornige Leidenschaft der Donna Elvira stets von neuem gefügig zu machen, bedarf es bei dem kleinen Bauernmädchen Zerlina schon anderer Methoden. Und die sind in der Tat ungebremst, genauso blindwütig, wie das Vorhaben an sich: dem Bräutigam am Tag der Vermählung die zukünftige Gattin zu entjungfern. Das ist bestialisch, infernalisch, widerlich. Und so wird es halt auch dargestellt, und das ist gut so! In höllenartigen offenen Kerkern, in denen rote Leuchtstoffröhren glühen, dunkle Körper wie tot herum liegen und schmachten, ist das Partygeschehen der höllischen Hochzeit im vollen Gange, während der arme Bräutigam zum Krüppel geschlagen und danach der geschändeten Braut höhnisch zurückgegeben wird. 

Was Calisto Beixto in der Komischen Oper einst mit Mozarts “Cosi fan tutte” veranstaltete, bedurfte wirklich des massiven Protests. Doch im Gegensatz zu jener würdelosen, pornografischen Inszenierung hält Schwab es hier eher faustisch: unheimlich-geheimnisvoll. Und doch offensichtlich ist es, wer hier im Dunkeln der Bühne die Peitsche schwingt gegen die unersättliche Gier einer zerstörten Seele. Als sich die getarnten Gestalten von Anna, Elvira und Don Ottavio (Yosep Kang) als zaghafte Retter Zerlinas in das Inferno wagen, um Giovanni zu töten, werden sie entlarvt und hinausgeworfen. Hier herrscht das blanke Chaos, Sexsucht und Menschenverachtung – Demut und Liebe und Anstand sind für die Don Giovannis aller Zeiten Fremdwörter. Die Verdammten derweil schleppen sich ab mit schwarzen Müllsäcken und schieben schwere Stahlträger mit Menschenstärke voran. Die Tortur ist einsichtig und stark. Was missfällt daran?

Im Licht, wie gesagt, dagegen stehen die drei Frauen, jede für sich eine starke Sänger-Persönlichkeit: Ruxundra Donose ist eine hochdramatische, leidenschaftlich Liebende Donna Elvira, bezirzend schön in ihrer glasrein glänzenden Koloraturakrobatik bezaubert Marina Rebeka als Donna Anna, und so betörend glockenklar noch in aller weißen Brautkleidunschuld verströmt Martina Welschenbach als Zerlina ihre Sehnsucht und Scham.

Natürlich gibt es tausendundeine Möglichkeit, diesen Don Giovanni immer wieder neu zu sehen, zu interpretieren, zu inszenieren – aber er wird immer bleiben, was er als historisch überlieferter Casanova gewesen ist: ein gewissenloser haltloser Verführer ohne Moral und Verstand, ein Mörder der Körper und der Seelen, ein Gefangener seiner maßlosen Sucht. Dass bei einer derart drastischen szenischen Interpretation die Musik zeitweise auf der Strecke bleibt, dass die überirdisch schönen Arien und Duette dumpf und ohne Widerhall verklingen, das sollte man nicht dieser Inszenierung allein zuschreiben, die ich leider nur bis zum letzten Akt sehen konnte. Da stolperte einer der Mickeymaus ähnlich verkleideten Statisten jäh in den Orchestergraben – und das Spiel war aus. Vielleicht war das für die ohnehin geschockte Mehrheit der Zuschauer eine Erlösung, denn mit dem dumpfen Ruf nach dem aus dem Grab auferstandenen Komtur, der sich augenscheinlich irgendwo im Publikum versteckte, endete das Spektakel auf makabre Art, und kann daher auch nur bis hierhin besprochen werden. A.C.

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