Gertrud

von Einar Schleef
Maxim Gorki Theater
Regie: Armin Petras, Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Katja Strohschneider, Video: Niklas Ritter
Dramaturgie: Jens Groß

 

Ein einfaches, kompliziertes Leben

So lieben einige Bühnen in Berlin die Kostümierung ihrer Heldinnen   im kleinbürgerlichen Milieu – Kittelschürzen, alte Strickjacken, verwaschene Baumwollkleider, die lieb- und leblos am Körper herunterhängen – vernachlässigt von Natur, Gesellschaft und der Regie. Arme Geschöpfe allesamt. Und ihr Leben ebenso. Einar Schleef, der Schriftsteller, Maler, Bühnenbildner und Regisseur aus der alten DDR, spät als Genie erkannt und dann hoch gepriesen, viel zu früh 2001 an einem Herzleiden gestorben, ist nicht schwer zu verstehen, aber was er über die eigene Lebensbewältigung hinaus eigentlich sagen will, ist schwer zu begreifen. Seine Kunst ist Alltagskunst, die fragmentarische Aufzeichnungen von Vergangenheit und Gegenwart bleiben alle gleichsam dunkel, wie die Abwaschbrühe an Mutters Spüle von damals. Es ist das Brot der Armen, das man bitter nachschmecken soll.

Immer wieder zeigt Schleef das Phänomen seiner überbesorgten Mutter, die den Zweitgeborenen gegen Krankheiten und Unfälle nicht schützen konnte, die den Ehemann schon 1971 verlor und die sich gegen den Zynismus der Staatsvertreter nur unbeholfen zu wehren wusste, nachdem beide Söhne in den Westen geflüchtet waren,. Bis zu ihrem Tod 1993 lebte Gertrud Schleef allein in ihrer alten Heimat, in der sie sich nun auch nicht mehr zurechtfand, verwirrt, einsam, aber wohl nicht vergessen. Denn vor allem ihr Sohn Einar, das Lieblings-, das Sorgenkind, begleitete sie im liebevollen Briefwechsel und schrieb ihr Leben auf, erschütternd, exemplarisch, wohl nicht immer so dunkel, wie es jetzt auf der von Grabumrandungen zerfurchten Bühne des Gorki Theaters erscheint.

Dunkle Löcher, aus denen die Geister steigen, sieht man zur Zeit auch beim “Hamlet” am Deutschen Theater. Ist wohl in Mode, solch Bühnenbild. Allerdings für die vier Darstellerinnen, hier gleich Gertrud in vierfacher Ausgabe und zugleich Erinnerungsbildnisse der Großmutter und Schwestern, ist dieser zerklüftete Bühnenboden ein ewiger gefährlich wirkender Balanceakt, während sie in die Vergangenheit blicken.

Da ist die junge Gertrud, in der Weimarer Zeit eine fesches Mädel, erfolgreiche Sportlerin, von Friederike Kammer mit kraftvollem Körper und mädchenhafter Schüchternheit vorgestellt; Regine Zimmermann, diesmal geschminkt und frisiert, wie Marlene Dietrich, zeigt sich als umschwärmte Gertrud geziert und kapriziös gegenüber ihren Liebhabern. Ihrem Mann Willi will sie ins russische Exil folgen, flüchtet dann aber vor Schlägen, Hunger, Demütigung, verdingt sich als  Hausmädchen bei einer jüdischen Familie in die Schweiz und kehrt nach Deutschland zurück als diese nach Amerika emigrieren muss. Die neue Ehe wird in diesem Schnellsprechkursus unklar ausgeleuchtet. Frühere Schlägereien finden wohl nicht mehr statt, dafür ein hartes Leben in Sangerhausen, das Los und Leid beinahe aller Frauen und Mütter inmitten Kriegsbombardements, Hunger und Leid. Gertrud Schleef steht da nicht allein; aber in dieser Expressfahrt durch die deutsche Geschichte bleibt vieles außen vor, das tägliche kleine Glück, das es ja wohl auch gegeben hat, die Entwicklung einer Frau, deren Entscheidung, zum Mann zurückzukehren, anstatt in Amerika eine neue Welt auch für sich und ihren Sohn zu finden – bleibt außen vor. Alles bleibt denn auch unreflektiert, schnell dahingesprudelt ist des Lebens Schicksalslauf, die rauen Mängel des Lebens im Zeitenfluss der Geschichte. Die Konturen sind fast verblasst.

Was ist das Thema? Es sind die Ängste einer einfachen Frau, es geht um das Leben an sich, das Weiterleben, allein, ohne Gefährten, ohne Inhalt in einem gottlos gewordenen Ort. Imaginär zur Seite stehen Frauen wie die Großmutter Lydia, die Schwestern Ella und Gretel, die auf dem ärmlichen Bauernhof die einfache Familiengeschichte prägen. Zurück bleibt eine verwirrte alte Frau zwischen den Welten, zerrieben in den Epochen der wechselvollen Geschichte. Keiner kennt sie mehr, die Kinder spotten ihrer, während sie ihren letzten Gang ins Grab vorbereitend plant. Es geht aber auch und vor allem um seine, Einar Schleefs, Orientierung und Selbstfindung.

Kein gemütlicher Abend, aber leider auch keine spannende oder berührende Inszenierung. Man sollte wohl das Buch lesen. A.C.

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