Kabale und Liebe

von Friedrich v. Schiller
Deutsches Theater

Klimmzüge auf dem Weg in die Freiheit

Liebe, Verrat, Intrige, Machtspiele bis zum bitteren Ende – ein Drama, wie es ungezählte Male durch Geschichten, über Filmleinwände und Bildschirme läuft – im Theater allerdings tut man sich schwer daran, das richtige Maß zu finden, die junge Liebe ebenso zart und bittersüß, so fein ziseliert und herzschmerzhaft darzustellen, dass sie uns im Innersten ergreift oder gefangen hält in Vergangenheit und Gegenwärtigkeit. Dafür setzen heute Regisseure allerorts ihren Fokus auf die nicht minder dramatisch effektvollen Stränge, die sich wie ein Spinnenetz um das Liebespaar winden: Der Intrigant ist stets einer von “denen da oben”, die mit allen, auch kriminellen, Mitteln und Machenschaften ihre Macht zu festigen versuchen – auf Kosten ihrer Untertanen, der einfachen Leute, und hier: der nach Amerika als Kriegsbeute verkauften jungen Männer.

Friedrich Schiller, mehr Aufklärer als Romantiker, obwohl noch in deren Bann, ist ein wortgewaltiger und leidenschaftlicher Ankläger gegen Unrecht und Unterdrückung. Sein Thema galt in allen Variationen der Freiheit, der persönlichen, individuellen, und gleichsam der kollektiven Unabhängigkeit von vorgegebenen Machtstrukturen und Verhaltensnormen, wie sie allezeit Unglück zu bringen pflegten.

Trotz des bereits im Mittelalter aufkeimenden Selbstbewusstseins eines neuen  Bürgertums, seiner Geschäftsleute, Banker und Händler, aber blieb die ständische Macht noch gesellschaftsbestimmend bis hinein ins 20. Jahrhundert. Schiller verwebt die traurige Lovestory zwischen Ferdinand, dem Sohn des zynischen, allmächtigen Präsidenten von Walter, und der hübschen Bürgerstochter Luise mit einer rigiden Gesellschaftsordnung, die gerade erst beginnt, sich von althergebrachten Mustern und feudalen Gesetzen zu lösen.

Für das Spiel zwischen den Welten hat Katja Haß eine Bühne gebaut, die aus verschieb- und zusammenklappbaren rohen Wänden mit vielen Türen und unzähligen Kletterstangen besteht, über die sich     Lagerpusch und Khuon als Widersacher jagen, auf- und abhangeln, akrobatische Klimmzüge vollbringen und mit gewaltigen Sprüngen wieder auf den Boden (der Tatsachen) hinunterspringen, als ob sie da oben Orientierung und Halt verloren haben. Das beliebig zusammenfaltbare hohle Gebäude könnte auch das Gefängnis der starren Konventionen sein, aus denen keiner entfliehen kann. So viel Symbolik ist etwas verwirrend und trägt nicht unbedingt zur Verfeinerung der Inszenierung bei, bei der Stephan Kimmig sehr unterschiedliche Aspekte betont, sich hauptsächlich aber auf auf seine beiden herausragenden Protagonisten Claudia Eisinger als zunehmend moralisch überlegene und persönlichkeitsstarke Luise und Ulrich Matthes als willensstarker Präsident von Walter verläßt.

Ole Lagerpusch spielt den Ferdinand als hemmungslos verliebten Wirrkopf, dem man seine 20 Jahre und seinen Rang als Major nicht anmerkt; eher scheint er ein verwöhntes großes Kind, das vor allem seinen Willen, seine Luise haben möchte, ohne sein Begehren mit Diplomatie und Fürsorge, in Voraussicht und mit Klugheit zu ummänteln. Er will Luise und zwar jetzt und für immer. Aber seine flammende Leidenschaft ist derart blind, dass nur der kleinste Steinchen genügt, um seine Beständigkeit zu Fall zu bringen. Auch darum haben sein Vater und dessen arglistiger Sekretär Wurm, der selbst ein Auge auf die hübsche Luise geworfen hat, ein leichtes Spiel, das Mädchen gar zu schnell in ein zweifelhaftes Licht zurücken.
Der Präsident, den Ulrich Matthes als zynischen und eiskalten     Machtmenschen mit knochenharter Stimme ausstattet, weiß um die Labilität des Sohnes und windet seine erste Schlinge mit Hilfe der englischen Lady Milford um Ferdinand. Mit der familiären Verbindung der bisherigen Geliebten des Fürsten verspricht sich von Walter Sicherheit und Reputation für sein Amt und sein Haus. Doch  Ferdinand, der der hyperquirligen Lady (Lisa Hagmeister setzt weniger auf Erotik als auf Mitleid) nach kurzem Flirt das klare Nein vor die Füße schleudert, besinnt sich seiner Treueschwüre zu Luise und eilt stracks in deren Haus.

Und dort holt ihn mit ganzer Wucht die Macht von Stand und Staat ein: Matthes/Walter, getrieben von Ehrgeiz, Wut, gepresst in den maßgeschneidertem Manageranzug, wie die ganze übrige Hofequipe (ausgenommen des närrischen Hofmarschalls), ist sich sicher, den widerspenstigen Sohn in die Knie zu zwingen und stürmt mit dem hier überaus sympathischen, widerwillig bösen Sekretär Wurm in das türreich bestückte, ansonsten leere Haus der Millers. Und da ereignet sich eine der wirklich starken Szenen dieser Aufführung im Jahr 2010 (im November, ein halbes Jahr nach der Premiere): die Kraft und jähe Energie, mit der sich Ferdinand den Wünschen des väterlichen Terrors widersetzt, der ruhige Zorn, mit dem Luise stolz die gemeine Diffamierung des Präsidenten erträgt (wie auch später die Herabsetzung der Lady Milford), die Empörung ihres Vaters, der sich als freier Bürger der ungehobelten Arroganz des Präsidenten widersetzt – das alles sind Ansätze eines größeren Dramas. Denn da prallen die Stände mit klar gezückten Degen aufeinander, legen Standesfürsten ihre Masken, Bürger ihre Unterwürfigkeit, Frauen ihre scheinbare Engelhaftigkeit ab und zeigen, wie und wozu sie fähig sind.

Wie für Schiller selbst als auch seither für alle Interpretationen der Vaterrolle in diesem Stück bestand und besteht noch immer ein Zwiespalt: Geht es Miller lediglich um die Ehre seiner Tochter, um die Unbescholtenheit ihrer Tugend und den guten Ruf der Familie oder beherrscht oder vereinnahmt er seine Tochter auf beinahe ödipale Art, indem er sie so fest an sich bindet, dass er ihre Liebe als Kinderei und das Opfer, das sie für seine Freiheit bringt, als selbstverständlich empfindet? Auf seine Art gleicht Matthias Neukirch irgendwie einem alten 68er, der seltsam ungeordnet und planlos dem drohenden Unglück tatenlos entgegensieht.
Den Grund der abrupten Trennung des Liebespaares, das sich so sarkastisch verletzend (Ferdinand), so stumm leidend (Luise) am Ende gegenübersteht, bleibt ein Geheimnis bis zum traurigen Ende. Und da bricht sogar die panzergesicherte Selbstdisziplin des Präsidenten in sich zusammen, und Matthes sinkt, geschlagen durch den Tod, dem selbst er nicht mehr befehlen kann, auf einem der vielen (lächerlichen) Klapphocker zusammen. Aber über sein Gesicht gleitet ein Anflug von Erleichterung: “Jetzt ein Gefangener”. Das mühevolle Intrigen- und Ränkespiel um die Macht ist aus. A.C.

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