Turandot
von Giacomo Puccini
Bei den Sommerfestspielen in der Arena von Verona
Musikalische Leitung: Guiliano Carella; Kostüme: Emi Wada, Choreographie: Maria Grazia Garofoli,. Bühnendesigner: Carlo Centolavigna
Im Glanz einer italienischen Opernnacht
Ein fulminantes Augenspektakel um eine großartige grausame Märchenprinzessin Turandot: Maria Guleghina füllt mühelos weithin die gesamte Arena, lässt die Töne wie gewaltige Wellen durch die Nacht fluten und verkörpert damit eine große und präsente Turandot – auf deren ersten Ton man ja voller Spannung einen Akt lang warten muss, in dem sich der verarmte Prinz und Freund des Volkes seinen Vater zu erklären versucht, warum er sich ebenfalls in das Todesgeschwader der Rätselfreunde einreihen will, das die ferne Kaisertochter mit der Kraft des Verstandes besiegen und damit Braut und Reich erobern will. Mit kräftigem und italienisch bebend zärtlichem Tenor kann der stattliche Marco Betti (den wir auch in dieser Rolle am Deutschen Theater sahen!) den vermessenen und verbannten – Fürstensohn als Widerpart zu der der Männerwelt trotzenden Herausforderin glaubhaft machen. Doch auchCalaf ist ein Machtmensch, ein Mann, der die Herausforderung sucht – um jeden Preis. Er ignoriert die Gefahr des Todes, die Liebe und Gefühle seiner Freunde, die er im einfachen Volk gefunden hat, unter deren Schutz sein verbannter Vater und er lange Zeit leben mussten. Ungestüm, ungeachtet der Liebe seiner Jugendfreundin Liù und der Warnung seines verzweifelten Vaters Timur, strebt er nach dem vermutlich tödlichen Rätselduell mit der umworbenen schönen Prinzessin. Was ihn wirklich im Innersten treibt, hat so manchen Regisseur schon zu verschiedenen soziologischen und emanzipatorischen Interpretationen veranlasst. Im Märchen der Alten ist es stets die Schönheit einer verbannten oder grausamen hohen Dame, die die Ritterlichkeit der Männer herausfordert und ihre Liebe erweckt (oft nur kennen sie die Dame nur dem Hörensagen nach…) Versteht man allerdings die Mystik und Weisheit aller Sagen und phantasievoll ausschmückten Geschichten als Gleichnisse des tatsächlichen Lebens, so haben sie wohl auch über den Unterhaltungswert hinaus eine lebenspraktische warnende oder Vorbild gebende, nach modernen Maßstäben wohl auch therapeutische Funktion.
Naheliegend ist bei Turandot in einer nicht unbedingt modernen Interpretation vor allem die Angst vor der Liebe und damit die unerträgliche Vorstellung, einem Menschen untertan zu sein, ihre Entscheidungs-Freiheit und die damit verbundene Unabhängigkeit und Macht einzubüßen. Hinzu kommt das Moment aus den orientalischen und fernöstlichen Traditionen, in denen die Todesstrafe für jegliches Vergehen gegen die Obrigkeit wie auch Anmaßung und Übermut verhängt wurde. Dass sich die künftige Herrscherin ihre Freiheit mit dieser unmissverständlichen Abschreckung erhalten will, ist also logisch und konsequent. Eine deutliche Warnung für jedermann. Auch den nächsten Freier warnen nicht nur die drei tollen Hofschranzen ( in schillernd gold-grün-roter Maskerade) vor seiner Kühnheit, sondern auch der Kaiser und die Prinzessin selbst versuchen leidenschaftlich, besorgt um sein Leben, ihm sein Werben auszureden, so dass man eigentlich fragen könnte, worin denn eigentlich ihre Grausamkeit besteht?
Zwei Szenen sind es, die uns immer wieder in ihren Bann schlagen: als Calafs Vater und seine frühere Dienerin Liù in dieses Land kommen, um nach dem Schicksal des liebeskranken Ritters zu forschen und dabei in die Fänge der Häscher geraten, die Turandot ausgesandt hat, um ihre Freiheit zu retten und das Rätsel zu lösen, das nun Calaf ihr gestellt hat, nämlich seine Herkunft und seinen Namen zu erraten. Dann will er der Unbeugsamen sein Leben schenken. Denn für ihn sind Ehrgeiz, Macht und Leidenschaft jäh in Verzicht und Todesbereitschaft umgeschlagen, als er die geschlagene, verzweifelte Turandot erblickt, die nach ihrer Niederlage – als ihr „Feind“ auch das letzte Rätsel gelöst hat – vernichtet ist. Nun, ohne auch die Liebe der begehrten Frau zu erhalten, sind ihm sein Sieg und sogar sein Leben nichts mehr wert.
Doch nun schlägt die Logik der Erzählung um, das Opfer kommt von einer anderen Seite und macht therapeutischen Sinn: Liù, die Getreue, tötet sich selbst, um unter der Folter nicht den Namen des geliebten Freundes verraten zu müssen. Und auch diese Szene gelingt in ihrer Absicht: mit atemloser Spannung verfolgt man, wie Maria Guleghina ihrer bislang unbarmherzigen Turandot, der Feindin aller Emotionen, angesichts des Opfers einer kleinen, bedeutungslosen, doch herzensgroßen Frau aus dem Volk, jäh Menschlichkeit einhaucht: wie die harte Schale aufbricht, und sie erkennt, was Liebe bedeutet und wie sie den Menschen über alle Ängste und Kleinmütigkeit über sich hinauswachsen lässt. Ihre innere Bewegung und letztlich Umwandlung kann nur ein große Darstellerin derart überzeugend deutlich machen. Im Innersten getroffen von dem freiwilligen Opfer einer Frau ( die der Männer zählten für sie ja nicht) erkennt sie, was sie so gefürchtet hat – nämlich die Liebe zu einem Mann zu akzeptieren, ohne dabei ihr Persönlichkeit aufgeben zu müssen – das ist nicht nur ein großartiges psychologisches Moment in dieser Oper, sondern es bleibt auch höchst modern: Der Glanz der Mächtigen, der in den Ländern des Orients und des fernen Ostens noch lange Zeit wirkte und vor dem sich das kleine Volk – hier als graue Schatten, lemurenhaft sich demütig im Staub windend – körperlich und geistig zu beugen hatte, entlarvt hier ihre eigene Not: nämlich die permanente Angst vor dem Verlust der äußeren Macht um den Preis des Mitfühlens, des Leidens, der Liebe – der Menschlichkeit!!
Das ist das Großartige an dieser mächtig eindrucksvollen Inszenierung: Im graublauen Vordergrund das einfache Volk, das mit seinen die Arena umfassenden Chornummern, die an die Kraft der großen Verdi-Chöre erinnern, als Vertreter einer christlichen Menschlichkeit warnt und weint und mit seiner Verbeugung vor der absoluten Herrscherin zugleich die mit dem Tode bestraften, glücklosen Freier beklagt. Wie kaum zuvor prangt hinter dem dunklen Vorhang das in goldenen Scheinwerferglanz getauchte höfische Gepränge vor einer glitzernden Pagode, dem chinesischen Kaiserpalast, der hier aber mehr dem buddhistischen Tempelpalast Thailands ähnelt, in denen dieser alte gutmütige Kaiser und seine männermordende Tochter gottartig herrschen – über Leben und Tod, und in den das gemeine Volk niemals Eintritt gewährt wird.
Das Orchester unter der Leitung von Guilano Carella versteht es, die Sänger und den großen Chor zu einer glanzvollen Ensembleleistung zu führen. Mit größter Umsicht führt er den Chor, läßt den Solisten genügend Freiraum, in dem sie dem üppigen Farbenrausch ihrer prachtvollen Kostüme nicht immer ganz gewachsen sind. Carella lässt die Chöre sich glanzvoll und gewaltig entfalten und ausschwingen – so dass ohne große Mühen sofort deutlich wird, wer hier die Tonangebenden sind: das Volk!
Mit allen Abstrichen, die natürlich in so einer großen Arena nötig sind, zumal in diesem Jahr die oberen Bühnenränge vom Denkmalschutz gesperrt worden sind, bezwingt vor allem neben den berauschenden Bildern die Tragweite der Akustik, die vokale Kraft der beiden Hauptdarsteller, die die weiche Abendluft bis zur letzten Steinstufe durchdringen und die tausende Gäste bezaubern.
Dass sich die Gäste der höher dotierten Plätze ohne sichtlich und hörbar Beifall zu spenden, sofort von ihren Sitzen erheben und dem Ausgang zuströmen, ist das einzig Betrübliche an diesem Abend. A.C.