Verlorene Liebesmüh

von William Shakespeare
Übersetzung Maik Hamburger
Bremer Shakespeare Company

Regie und Spielfassung: Thomas Weber-Schallauer, Ausstattung: Heike Neugebauer
Komposition: Frank Elsner, Dramaturgie: Kerstin Behrens

 

Zu viel Müh um die Liebe

Diese Inszenierung wird demnächst auslaufen. Sie wird durch hinlänglich anspruchsvollere Einstudierungen ersetzt, die diesen Verlust aufwiegen. Doch gehört der Stil, der sich zwischen Ernsthaftigkeit  und Musiktheater bis hin zu Comedy-Variationen bewegt, als Markenzeichen zu den Bremer Schauspielern, die sich für gut ein Jahr an neuen Spielstätten in Bremen (Concordia und “Altes Lager” sowie im Umland einrichten müssen, bis der Umbau ihrer alten Bühne am Bremer Leibnitzplatz erfolgt ist.

Eines dieser Ausweichquartiere befindet sich in der großen und beeindruckend  hergerichteten ehemaligen Scheune im Gutshof Varrel, dem Kulturzentrum der Gemeinde vor den Toren der Hansestadt. Das überdimensionierte Ambiente ist nicht unbedingt für solch ein amouröses kleines Kammerspiel geeignet, doch macht es das Gastspiel immerhin für Besucher und Schauspieler gleichermaßen zu einem Ereignis- zumal diese komödiantische Fingerübung Shakespeares kaum gespielt und selten irgendwo erwähnt wird.

Dankenswert, dass die Company diesen kleinen Schatz jetzt aus dem Dunkel der Vergangenheit ausgegraben hat. Dort dürfte, wenn man Kennern der Kunst und der Wissenschaft glauben darf, noch mehr liegen, was dem Anspruch der unerreichbaren Poesie und Schreibkunst des ominösen Engländers zumindest ähnlich wäre. Denn nicht erst seit der letzten hochdramatischen (Shakespear’schen Dramen entsprechenden) filmischen Darstellung eines neuen historischen Bildes darf man an der Identität des Dramatikers und Dichters zweifeln – war er nun einer der Globe- Schauspieler und zudem ein Kaufmann, der sich früh nach Stratford zurückzog, um die Nachwelt in die größte Ungewissheit zu stürzen, die je einen Künstler posthum verfolgte? Verbirgt sich hinter dem Mann ein anderer, ein angesehener, vielseitig und umfassend gebildeter Adeliger, der dicht in der Thronfolge stand und sich eines anderen Mannes bediente, der die Werke unter seinem eigenen Namen veröffentlichte? Ein Mann von Adel nämlich hätte mit Sicherheit den Anspruch auf Einkünfte, Titel oder eventuell sogar die Krone Englands verloren  – wenn nicht gar auch sein Leben!

Es ist nicht mehr ganz unwichtig, dies zu überlegen, denn die Brillanz der Sprache, die Feinheit der Verse, die übermächtige “Bildung” des Autors (von der heute ja gerne und viel gesprochen und die eingefordert wird, ohne sich auch nur einmal aller humanistischen Ideale zu erinnern), der unendlich reiche Wortschatz und die ebenso psychologisch-kluge wie weltmännisch-politisch erfahrene Verarbeitung klassischer wie zeitnaher Stoffe, vermischt zu Dichtung und Wahrheit, verlangen geradezu nach einer Klarsicht. Der Genuss, Shakespeares Dramen und Lustspiele auf der Bühne zu hören und zu sehen, bleibt glücklicherweise ungeschmälert – selbst wenn eine Inszenierung so chaotisch wie bei der “Verlorenen Liebesmüh” daherkommt.

Wohlgemerkt: der Einsatz von Tim D.Lee, Markus Seuß, Erik Roßbander und Thomas Ziesch in vier bis fünf verschiedenen Rollen, ihre Fähigkeit, eine blitzschnelle Veränderung der vielen verschiedenen Charaktere darzustellen, gehört zur schauspielerischen Spitzenleistung. Denn was da der junge König mit seinen drei Freunden ausheckt, ist ein schier unzumutbarer Plan – den Zeiten der Entstehung dieser Geschichte durchaus adäquat. Denn als man prasste, was der Bauch aushielt, trank, bis die Leber versagte, rundherum liebte und das Leben genoss bis zum Verdruss – da gab es schon einmal bei diesem oder jenen die jähe Einsicht zur Einkehr, veranschaulicht nicht zuletzt durch das historische Sittenbild im Tagebuch des vielseitig orientierten Liebhabers und Staatsdieners Samuel Pepy.

In dieser köstlichen Satire also verlangt der König von Navarra von sich und seinen Freunden absolute Keuschheit, Mäßigung auf allen Gebieten, statt Wohlleben und Lustbarkeiten ein intensives Studium der Wissenschaften für drei lange Jahre. Die Härte dieser Zumutung vor Augen, erhebt sich schnell Protest unter den Beteiligten, doch letztlich wird der brüderliche Schwur abgelegt. Für junge Leute eine unvorstellbare lange Zeit!

Nur dumm, dass nun ausgerechnet die Prinzessin von Frankreich mit ihrem Drei-Mädel-Gefolge auftaucht, um irgendwelche Außenstände einzufordern. Das gibt wenig Pläsier. Den strengen elisabethanischen Gesetzen getreu (nach denen Frauen nicht im Theater auftreten durften), verwandeln sich die Herren nun – auf der Bühne stets sichtbar Schminktische und Figurinen – in die zunächst noch leicht zickigen Jungfrauen; Rollen und Kleider und Perücken werden flink getauscht, und wenn erforderlich, je zwei Frauen und zwei Männer einander gegenübergestellt. Verdruss herrscht bei den schnöde abgewiesenen Schönen, die charmantere Behandlung gewohnt sind und nun zum Campieren draußen vor das Tor geschickt werden. Das gibt Ärger und Rachegedanken und im Publikum  – wie einst im Globe – Vergnügen und bei den Schauspielern jetzt konzentrierten Einsatz, um die häufig verwirrende Verwandlung in beide Geschlechter ebenso absurd wie glaubwürdig zu präsentieren. Und das ist dann eben doch die Krux bei dem heiteren inszenatorischen Geplänkel, zumal noch einige Songs und abweichende Entertainment-Einfälle vor den Vorhang gestellt werden, derer sich die Shakespeare-Company gerne bedient, um das Spiel auf eine zweite Ebene zu verlagern.
Nun, die beinahe liebes-toll gewordenen Damen-Herren lassen sich  eine derartige Behandlung wider ihre Weiblichkeit nicht lange gefallen und setzen ihre Reize und ihren Verstand mit allerlei Tricks ein. Und schneller als man glaubt, werden schon die ersten Liebesbriefchen vom einem töpelhaften Bauernjungen an die Schönen überbracht, verwechselt und somit natürlich ein Verwirrung stiftendes Durcheinander bühnenwirksam auslösend. Die Herzen der Abstinenzler sind bereits aufgeweicht wie ein Kürbis im Frost. Hin ist der Schwur, hin ist die Wissenschaft, hin sind schöne Ruhe und Einsamkeit.

Aber der Dichter wäre nicht der, der er nun mal ist. Sein Witz, sein Gespür für Eitelkeiten, Spaß und menschliche Begierde ist immer wieder in auf-reizende und geistreiche Wortgebilde gehüllt, gespickt mit klarer Moral, die ein happy-end-Liebesgeturtel vorerst noch in jahresendzeitliche Entfernung stellt! Die klugen Frauen, die den Schwüren dieser Männer noch nicht so rechtes Vertrauen entgegenbringen mögen, stellen den vier Edlen vorerst kluge Bedingungen. Jeder erhält eine spezifische Aufgabe, die seine Moral, seinen Charakter und seine Liebe stärken könnte. Und dann erst auf ein Wiedersehen in Navarra!

Ein liebreizendes Stück – wenn man es denn auf der ersten Ebene belassen würde. Da störten auch die uneleganten Garderoben nicht so sehr, die wuscheligen lustigen Perücken sind dem Fundus einer modernen Kleiderkammer entnommen, die schmal geschnittenen Kennedy-Kleidchen den 60er Jahren, die Unterwäsche, na Schwamm drüber. Dann und wann umkleidet sich der schnell- und vielsprachig daherschwadronierende (und als distinguierte Prinzessin überaus eindrucksvolle) Tim D.Lee als spanischer Grande in ein historisch passendes Gewand, aber auch dies untersteht der Richtlinie der Lächerlichkeit. Schade eigentlich, denn eine Komödie müsste nicht lächerlich sein, allerdings auch nicht so ernsthaft-intellektuell wie die weit reichenden Überlegungen im Programmheft. A.C. 

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