Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

von Berthold Brecht, Parabel in 15 Bildern (1941)

Oldenburgisches Staatstheater, 2013

Inszenierung: Marc Becker, Bühne: Harm Naaijer; Kostüme: Alin Pilan, Dramaturgie: Lene Grösch

Mit: Eva Maria Pichler, Thomas Birklein, Rüdiger Hauffe, Sebastian Hermann, Denis Larisch, Thomas Lichtenstein, Henner Momann, René Schack, Klaas Schramm

Der Tyrann als Biedermann

Rüdiger Hauffe ist ein Wolf im Schafspelz, ein beängstigend kulanter Mann mit sanftem Verständnis für die Misere seiner Mitmenschen, ein eleganter, souveräner Herr, dem seine Anhänger bedingungslos folgen – aber was verbirgt sich hinter dieser Maske des biederen und sich anbiedernden Gutmenschen? Hauffe entlarvt diesen Arturio Ui in seiner verkappten Grausamkeit, sobald sich die freundliche Miene im jäh aufplatzenden unbeherrschten Zorn grausig verzerrt und für einen Atemzug die Tarnung des Tyrannen aufbricht. Allerdings gewinnt er seine Beherrschung schnell zurück, doch ist offenbar geworden, dass hinter der Unterwürfigkeit des scheinbar Bittenden schon die vernichtende Vergeltung des Machtbesesenen lauert. Sein Aufruf zu Mord und Brandschatzung ist diskret, unmerklich der Wink für den aufbrausend ungebändigten Ernesto Roma (Röhm), den Henner Momann mit abstoßend hingebungsvollem Übereifer zelebriert. Denis Larisch hat mehrere Rollen zu spielen, sich für den getarnten Psychopathen Goebbels allersdings die Version des verblödeten, leicht schräg wirkenden Blumenhändlers Givola gewählt. Wobei diese Nazi-Puppen-Naivität wohl doch eher verstörend als historisch treffend wirkt. Die gelbzähnefletschende clowneske Bösartigkeit allerdings bleibt dem brutalen Schlächter der Truppe vorbehalten, der sich Klaas Schramm als wohl als verkappter Göring stellen muss. Sicher nicht zu seinem Vergnügen. Als bemerkenswert zutreffend allerdings überzeugt Thomas Birklein als gutmütiger, beeinflußbarer Dogsborough-Hindenburg, dem man seine Naivität jedoch nicht ohne Bedenken abnimmt. Dessen menschliche Erbärmlichkeit wäre allerdings schon beinahe bemitleidenswert, würde er damit nicht die Voraussetzung für den unaufhaltsamen Aufsteig des “Arturo Ui” geschaffen haben.

Mit der Charakterformung der sich an diesem Abend sicht- und hörbar steigernden Schauspieler zeigt diese ansonsten eher harmlose Aufführung – vor einer ebenso einfachen wie überzeugenden, aus weißen Kisten zusammengefügten Hochhauskulisse – die gefährliche Zwiespältigkeit, die dem schizophrenen Machtmenschen innewohnt: Eine gut getarnte Grausamkeit als permanter Rachezug gegen eine subjektiv erlebte unerträgliche Minderwertigkeit.

Berthold Brechts Parabel von dem mafiosen amerikanischen Gemüsetrust, der sich durch eigenes Verschulden in die Hand eines Verbrechersyndikats begibt,  ist ein leidenschaftlicher Warnschuß an die Menschen jener Tage – 1941, als Hitlers Schergen längst die Welt der Ängstlichen, Armen und gutgläubigen Mitläufer fest im Griff hatten. Brecht selbst befand sich bereits im Exil, in Finnland, wo er innerhalb von nur drei Wochen dieses Spiegelbild der Wirklichkeit als Appell gegen Tyrannei, Korruption, Unvermögen, Ehrgeiz und Blindheit der Menschheit in zeitloser Fortsetzung verfasste; Arturio Ui ist eine glänzende Persiflage, sollte und wird ja auch immer wieder in der für Brecht typischen intellektuellen und gleichsam auch satirischer Distanz inszeniert. Es ist, wie später auch Max Frisch’s “Biedermann und die Brandstifter”, von so fester Substanz, das es eine der Zeit angepaßte Regie-Ergänzung wohl vertragen könnte. Allerdings begnügen sich die meistens Regisseure überwiegend damit, ihrem Hauptdarsteller die Ausformung seiner Rolle voll und ganz zu überlassen. So sah man u.a. einen melodramatisch entfesselten Heribert Sasse und einen hündisch-verbissenen Bernhard Wuttke in verschiedenen Berliner Inszenierungen. Auch sie beherrschten das Spiel der perfekten Verstellung mit fratzenhaft freundlicher Jovialität, hinter dem die Mächtigen gekonnt ihren Zynismus verbergen bis sie die Falle zuschlagen lassen, in die sie ihre Opfer gelockt haben.   A.C.

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