Peter Grimes, HB

von Benjamin Britten, Oper in drei Akten und einem Vorspiel
Libretto: Montagu Slater nach dem Gedicht “The Borough” von George Grabbe, Uraufführung 1945 In Sadler’s Wells Theatre,London
Theater am Goetheplatz, Bremen,2015
Musikalische Leitung: Markus Poschner/Clemens Heil; Regie: Marko Storman, Chor: Daniel Mayr, Bühnenbild: Anna Rudolph, Dominik Steinmann, Kostüme: Sandra Schwartz, Dramaturgie: Laura Schmidt, Licht: Christian Kemmermüller, Video: Max Görgen, Roman Kuskowski

Personen: Peter Grimes, ein Fischer (Tenor): Will Hartmann/Chris Lysack; Junge /John, sein Lehrling: Jakob von Borries, Arne Duprée, Jakob Schade, Ben Wiese(stumm); Ellen Orford, Witwe und Lehrerin: Patricia Andres (lyrischer Sopran); Kapitän Balstrode, früher bei der Handelsmarine (Bariton): Loren Land;, Tantchen, Wirtin im Gasthaus „Der Eber“ (Alt): Nathalie Mittelbach;, erste und zweite Nichte, Hauptattraktionen des Gasthauses (2 Soprane): Iryna Dziashko, Francisca Prudencio; Bob Boles, Fischer und Methodist (Tenor): Christian Andreas Engelhardt; Mrs. Sedley, Rentnerin, Witwe (Mezzosopran): Melody Wilson; Rev. Horace Adams, Pfarrer (Tenor): Luis Olivares Sandoval; Ned Keene, quacksalberischer Apotheker (Bariton): Jason Cox; Swallow, Rechtsanwalt und Bürgermeister: Patrick Zielke; Hobson, Fuhrmann (Bass): Christoph Heinrich; Arzt Dr. Crabbe: Allan Parkes; Bewohner der Ortschaft, Fischer (Chor)

 

Der Ächtung mit Verachtung begegnen

Dieser Peter Grimes ist ein Getriebener, der von eigenem Versagen und einer tiefen Menschenangst abwechselnd in Depression und Agression verfällt. Der rettende Engel in seinem Seelenchaos, die verwitwete Lehrerin Ellen Orford, kann seinen Panzer auch mit ihrer liebevoller Sanftmut nicht durchbrechen. Und so fordert er, den Warnungen trotzend, sein Unglück geradezu manisch heraus. Die Fischergemeinschaft , die diesen Außenseiter mit Sturmgewalt richtet, hat scheinbar allen Grund, Peter als Schuldigen am Tod seiner beiden Schiffsjungen anzuklagen – obschon ihn der Richter freigesprochen hat. Und so wie der Orkan seine Opfer fordert, so jagen die Menschen im Dorf ihre Beute. Ein verstörendes und zerstörendes Spektakel, eine Musik, die zwischen sanftem Wellenschlag und dem gnadenlosen, wütenden Kreischen des Meeres Unberechenbarkeit und Unbarmherzigkeit verkündet.

In dieser Inszenierung allerdings scheint außerdem einfallslose Ausweglosigkeit vorzuherrschen. Der Regisseur setzt seine Wirkung auf verkasperte Masken, blonde Perücken, zeichnet starke Hell-Dunkelkontraste, läßt die Leute auf dem Bühnenboden im Wasser pantschen, stylt die stummen Schiffsjungen wie artige gutbürgerliche Buben aus der Heile-Welt-Schublade in leuchtend blauen Pullundern und kurzen Hosen und überläßt es dem Betrachter, in ihnen den Verschleiß von halbverhungerten Waisenknaben, die als Schiffsjungen “preiswert” zu haben sind, zu sehen oder als die leibhaftigen Jugenderinnerungen von Peter Grimes. Nur der Chor kann unheilverkündende Dynmaik entfalten, während der ausgestopfte Bürgermeister armrudernd, der Apotheker als Fiesling, der Arzt als Drogenverabreicher, die Pubwirtin als Kupplerin -zugegeben- aus magerem Text nur schwer eine eigenständige Ernsthaftigkeit entfalten können, zumal das Orchester zuweilen doch alles überrollt. Alle verharren in grotesken Kostümen und karikieren die harte Welt der verarmten Fischergemeinde. Denn die Geschichte ist, nicht zu vergessen, in der Kargheit des 19. Jahrhunderts angesiedelt, und auch  Benjamin Britten erlebte in seiner Jugend das zerstörerische Zusammenspiel der Gewalten von Natur und Mensch – später als Außenseiter eben dieser Gesellschaft, als er für seinen Lebenspartner Peter Pears diese Rolle schuf.

Als Britten diese Oper 1945 der Öffentlichkeit im wieder eröffneten Sadler’s Wells Opera präsentierte, könnte man annehmen, er habe gleichfalls einen Seelenzustand der Entmutigung und Pein des vom Krieg gezeichneten britischen Volkes aufzeigen wollen, aber solche Assoziation sind wohl nicht beabsichtigt. Es geht vorwiegend um die psychologisch durchleuchtete Außenseiterrolle des Individuums; denn der Mann, der sich hier gegen das Schicksal auflehnt, versinkt entweder klagend in Selbstmitleid und wiederum in wütendem Aufbegehren gegen die Gesellschaft, die ihn, ja vielleicht auch nicht ganz grundlos, für den Tod der beiden Waisenjungen verantwortlich macht, die er allen Warnungen mißachtend zum Fischfang in die wütende See mitnimmt. Der hartnäckige Widerstand gegen jede Einsicht scheint seine einzige Waffe und Möglichkeit, seine Stärke und seine Kompetenz   zu beweisen. Bewußt stellt er sich gegen die Gesetze der Gezeiten, die hier das Auf und Ab des Lebens bestimmen, und er verliert diesen ungleichen Kampf. Auch der zweite Schiffsjunge wird ihm entrissen, und sein Traum von häuslicher Harmonie, von Familie, Wohlstand und- Anerkennung  geht in Flammen der Verzweiflung auf (mit einer Videoinstallation eindrucksvoll visualisiert!). Das zweite Versagen wird ihn in den Tod treiben.

In der zweifachen Besetzung des Peter Grimes erlebten wir Chris Lysack als einen verzagten, sich  Hass und Verleumdung der Dorffischer  widersetzenden, aber letztlich doch kraftlosen und gebrochenen Mann, der auch der liebevollen Zuwendung und weitsichtigen Warnung Ellens, die von Patricia Andres mit leuchtender Innigkeit gesungen wird, nicht vertrauen will oder kann?  Denn Peter Grimes fährt nicht aufs Meer, um sich mutig und herausfordernd gegen Wind und Wetter zu beweisen, sondern um mit einem großen Fang einen Gewinn einzufahren, der ihn den anderen im Dorf materiell überlegen sein läßt.  Das ist dann auch wohl schon der Kern der Nuss, die sich nur schwer knacken läßt. Denn die Musik stellt ein tief emotionales Werk vor, das vor allem in den expressiven Zwischenspielen des Orchesters  ekstatisch die Bedrohlichkeit, die Gewalt und Gefahr des Meeres in allen Schattierungen durchdringt. Die Sänger müssen sich einem hohen musikalischen Anspruch und stimmlichen Strapazen stellen, denn Britten verlangt in großen Intervalsprüngen eine erzählerische Ausdrucksfähigkeit, die nicht nur tonal, sondern auch emotional umzusetzen ist. Dafür wäre eine adäquate inszenatorische Darstellung sicher hilfreich und stützend. A.C.

 

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