Die Familie Schroffenstein, HB

von Heinrich von Kleist (1771-1811)
Wiederaufnahme Theater am Goetheplatz Bremen, 2016
Regie: Alexander Riemenschneider, Dramaturgie: Sabrina Bohl, Bühne: Eva Veronica Born, Kostüme: Anna Sophia Röpke, Licht: Christian Kemmetmüller
mit: Siegfried W.Maschek, Verena Reichhardt, Justus Ritter, Christoph Vetter, Alexander Svoboda, Nadine Geyersbach, Lina Hoppe, Simon Zigah, Benjamin Nowitzky,  Beret Mundwiler

“Hass fressen Seele auf”

Ein Versuch, das romantische Familiendrama einer zum Morden verleiteten, ihren Erbanspruch verteidigenden Familiensippe in einer möglichst sprachgetreuen Inszenierung anzuspielen, hat sich offenbar in dieser szenischen Sparflammenfassung  bisher gut verkauft, sonst hätte man sich wohl nicht zur wiederholten Aufnahme in die neue Spielsaison entschlossen. Heinrich von Kleist, Sproß einer Offiziersfamilie, selbst als Leutnant mit militärischem Drill leidvoll vertraut, führte ein äußerlich wie auch psychisch unruhiges Leben, dem er 1811 gemeinsam mit seiner Freundin Henriette Vogel ein vermeintlich heroisches Ende setzte. Er selbst war zu seiner Zeit nur von Wieland akzeptiert, der sein außergewöhnliches erzählerisches und dramatisches Talent erkannt hatte. Die breite Gesellschaft, der militärisch-preußischen Disziplin untertan, zollte seinen durchaus auch politisch agressiven Dramen wie “Der Prinz von Homburg” oder “Der zerbrochene Krug” nur wenig Beifall. Kleist kritische, verbal brillant formulierte Anklage gegen die Starre des preußischen Beamtentums wie die Unsinnigkeit von Militärgesetzen fand in seiner Zeit keinen Widerhall. In einem kurzen Leben in ständiger Suche nach absoluter Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit verbunden mit patriotischer HIngabe scheiterte er in seiner Unbedingtheit und im Unverständnis seiner Zeit als hochsensibler Romantiker.

Diese Familiensaga ist sein Erstlingswerk, jugendlich sturm- und drangversessen, und doch im Ansatz voller Kraft und Leidenschaft. Wie er die Unerbittlichkeit der rachedürstenden, besitzgierigen Familien schildert, hat archaische Kraft und ist auch in unserer Zeit, wenn auch im subtileren Rahmen, durchaus nachvollziehbar. Wie viele Familien entzweien sich um der Erbschaft willen, ob groß oder klein das Vermögen, das spielt gar keine Rolle. Gier und Neid waren und sind zerstörerische Elemente.

Was halten junge Menschen davon, eine Familie zu erleben, der es jenseits aller Vernunft, aller Gnade, aller Versöhnungsbereitschaft zuvorderst darum geht, einen schrecklichen Schicksalsschlag, nämlich den plötzlichen Tod ihres Knaben Philipp als Anlass dafür zu nehmen, den ungeliebten Schwager des Mordes zu verdächtigen, und sich nicht scheut, dafür das scheinbare Geständnis eines gefolterten Knechtes zu benutzen. Sie sitzen zunächst alle am runden Tisch, die Familien der beiden Grafen, aber der bringt keine Einigkeit, sondern läßt die Fehde der verfeindeten Zweige Rossitz und Warwand nur umso heftiger aufeinanderprallen. Zunächst, für uns Wissende, durch eine unsichtbare Entfernung getrennt, später zum Teil doch sich vermengend, in Bewegung einander zugewandt in heftigsten Schuldzuweisungen.

Nun geben ein Tisch und eine entsprechende Anzahl von Stühlen, die den Schauspielern als einzige Requisiten dienen, nicht allzuviel dramatischen Spielraum. Sie müssen mit Wort, Gestik und Gewandtheit, mit der Energie ihrer Einfühlung eine Verwandlung vollziehen, die dem Zuschauer die Übertragung ihrer Identität auf die erfundene Figur der Theaterwirklichkeit glaubwürdig macht. Das gelingt an diesem Abend vornehmlich Siegfried W. Maschek als Graf Rupert von Schroffenstein, dem wir die Unbarmherzigkeit seiner Rachsucht, das tiefe Leid um den toten Sohn, die auflodernde und nicht zu löschende Flamme der Erbfeindschaft zu dem sanftmütigen, durch die Ehefrauen verwandten Sylvester, Graf von Schroffenstein, mit Betroffenheit abnehmen müssen. Seine Unerbittlichkeit, die an steinernde Hartherzigkeit grenzt, wird ihn – als alles zu spät ist -als späte Schicksalswendung zerstören. Aber zuvor vernichtet er, was an Liebe und Verzeihung um ihn herum ihn zu erweichen versucht. Alexander Svovoda als Sylvester ist in seiner Sanftmütigkeit nicht ganz glaubwürdig, denn der Hass schwelt auch bei ihm untergründig und verleitet ihn letztlich zu blindwüriger Tat. Ihre Ehefrauen Eustache, von Verena Reichhardt sehr mütterlich und gütig dargestellt, die in ihrer rosaroten Naivität den Hass Ruperts unterschätzt sowie Nadine Geyersbach als Sylvesters Gemahlin Gertrude ungleich energischer um ausgleichende und aussöhnende Diplomatie ringend, bleiben hilflose Randfiguren.

Markant beeindruckend in seiner Betroffenheit und Bereitwilligkeit, der Güte Sylvesters Glauben zu schenken, ist Simon Zigah als Jeronimus aus dem Hause Wyk, ein in Sachen Versöhnung zwischen den Burgen reisender und scheiternder Freund und Verwandter. Die schwerste Rolle in der heutigen coolen Zeit hat sicherlich ein romatisches Liebespaar à la Agnes, Sylvesters Tochter und Ottokar, Ruperts Sohn, die weit entfernt von der Wut ihrer Väter voll entwaffnender Naivität ihre Liebe zu leben hoffen. Energisch und selbstbewußt überzeugt Lina Hoppe, während Justus Ritter wie immer als reizend unbeholfener, verliebter Junge der Angebeteten seine Avancen macht. Dass sein unehelicher Halbbruder Johann dabei zu kurz kommt und als Geisel noch zusätzlich das Opferlamm spielen muss, macht nicht so Recht Sinn, sieht man von der Bemühung des Dichters ab, die sich aufheizende Kampfesstimmung unter den Grafen noch mehr anzuheizen. Auch der um Vermittlung bemühte Jeronimus wird ein Opfer der Wut Ruperts, und der vermeintliche Mord an dem kleinen Philipp klärt sich als Badeunfall leider zu spät durch die hübsche Eremitin Barnabe auf, von Meret Mundwiler überraschend märchenhaft und mystisch ins Spiel gebracht. Benjamin Nowitzky könnte in seiner Rolle als bereitwilliger Diener von Rupert gleißender erscheinen, glaubt er doch, dem Familienhass konsequent folgen zu müssen.

Es war eine andere Zeit, eine sehr viel dichtere und reichere Sprache, derer man sich nicht nur zu Kleists Zeiten befleißigte, und die leider in vielen Inszenierungen auch gerne “modernisiert wird”. Hier erfolgt keine Konzession an die neuzeitliche Sprachreduzierung, man muss also gut und konzentriert hinhören, was sich die beiden Familienzweige an den Kopf zu schmettern haben. Eine Reduzierung der Schnelligkeit könnte sich ganz sicher zusätzlich positiv auf Verständnis und Intensität der Dramatik dieses klassischen Trauerspiels auswirken. A.C.

 

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