Unterwerfung, HB

nach dem Roman von Michel Houellebecq
ins Deutsche übersetzt von NormaCassau und Beernd Wilcek

Regie:Leonie Böhm, Bühne:Zahava Rodrigo, Kostüme:Magdalena Schön, Helen Stein, Musik: Johannes Rieder, Dramaturgie: Marianne Seidler, Licht: Chrisitan Kemmetmüller
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2016
mit: Annemaaike Bakker, Vincent Basse, Johannes Rieder,Justus Ritter, Jana Julia Roth

Performance, Punk und Pampers

Warum unterwerfen sich die großen städtischen Theater dem Zeitgeist und lassen Houellebecqs episches Drama von der Machtergreifung des Islam in Frankreich auf der Bühne herumgeistern? Trotz aller Bemühungen, aus demRoman ein lebendiges Theaterkunstwerk zu entwickeln, blieb es doch ein mehr oder minder ein Ein-Mann-Stück, ein paar Apercus mit erotischen Anzüglichkeiten, ein bißchen Requisite, aber im Grunde war es den Darsteller des intellektuellen Losers  François allein überlassen, sich in den Kokon eines müden Alt-Kommunisten mit französischem Laissez Faire einzunisten und mit depressiver Gleichgültigkeit dem unüberhörbarem Knirschen der historischen Abwärtsbewegung zuzusehen.

Das hat man in der grell-bunten und lautstarken Bremer Inszenierung jetzt tüchtig aufgemischt. Da hüpfen und tollen vier junge Leute in Torrero-, Latz-und Glitzerkleidern von Auge zu Auge, von Mund zu Nase und hin und her auf der mit einem großen sinnlichen Gesicht bemalten Bodenfläche und spielen mit frisch-fröhlichem pubertärer Lust erotische Phantasien aus. Inmitten der munteren Schar der noch immer in den Windeln seiner kindlichen Unmündigkeit steckende Hochschullehrer François, der seinen Gespielen mit trübem Schniefen verkündet, er wolle eigentlich lieber tot als lebendig sein angesichts eines derart öden Lebens und andrer Überdrüssigkeiten. Für Vincent Basse, der halbnackt auf dieser Bühne seinen halbherzigen Lebensüberdruss zelebriert, ohne Rücksicht auf empfindlichere Gemüter, ist wohl nicht ganz klar, welchen Charakter er hier nun eigenltich abgeben soll. Aber das weiß wohl niemand so recht, weder im Ensemble noch im Publikum.

Da man sich diesen Neurotiker nur schwer als Studentinnen-Vernascher und aufregenden Professor vorstellen kann, der sich unentwegt in Selbstmitleid und Bemutterung sonnt, wundert es auch nicht weiter, dass er aus dieser seinen großen Helden hervorholt: Aus dem Jenseits aufgetaucht ist der Gegenstand seiner Promotion, der dekadente österreichische Dichter Huisman, der sich jetzt als zotteliger Alt-68er mit mühsamem Wiener Zungenschlag als unersättlicher Lustmolch geriert, sich im entscheidenden Moment jedoch rasch auf ein stilles Örtchen verkrümelt. Da, schau her…Ganz sicher ist dieser Huisman kein lebenstüchtiger Mann und Liebhaber gewesen, aber in der Gestalt von Johannes Rieder zumindest ein vergnüglicher Luftikus und Musiker.

Aus dem Uni-Professor, der bei Houllebeque als wendiger Über- und Mitläufer sehr schnell in Kleidung und Gesinnung der islamischen Bruderschaft schlüpft – sogar noch bevor diese in Frankreich gegen die Rechtspopulisten und die Linkspartei an die Macht gekommen sind, ist ein windelweicher Hypochonder und Egomane geworden. Aber nun sind sie da, und ihr Programm, noch in groben Umrissen zunächst durchaus akzeptabel, erhält schnell die Feinfassung, die nur diejenigen Bürger begünstigt, die auch der neuen Religion angehören. Und François überaus vitale, lebendige und charmante Freundin Miriam, die ihn mit allerlei Liebesspielchen aus der Lethargie zu locken versucht, muss sogar als Jüdin mit ihren Eltern das geliebte Paris verlassen und nach Israel auswandern, weil François, lahm und unentschlossen wie eh, sich nicht überwinden kann, mit ihr seine viel zu große Wohnung zu teilen. Miriam gelingt es nicht trotz allen liebreizenden Werbens und Lockens den Mann, den sie wirklich liebt, aus seiner egozentrischen Isolation herauszuholen.  Annemaaike Bakker hat die ungeteilte Aufmerksamkeit und Sympathie in diesem Spiel. Wie ihr Übermut langsam dahinsiecht und sich in einer abgrundtraurigen Verlorenheit auflöst, das Turteltaubenlachen aus den Augen verschwindet, die Verlockung der frech gespitzten Lippen gefriert, das sind lebensnahe, traurige Momente, die sonst ja eher rar auf diesem Kinderspielplatz sind. Und wie sie sich dann fängt, den gewaltigen Schmerz hinunterschlockt und mit großer Tapferkeit sich selbst überwindend ihr Liebesgeständnis zu François auf kulinarische Banalitäten ausweitet, wie Käse, Cracker rund Schinken, die sie gleichwohl “liebt”. Wie dieses Wort verballhornt, verhunzt wird, wie Gefühle im Schlund der Unempfindsamkeit versinken – das ist berührend. Frau Bakker hat große Momente, in denen sich ihre weibliche, zu Verlockung und Verzicht gleichermaßen bereite Welt noch einmal widerspiegelt, bevor sie unter dem Zwang zur Verhüllung verloren gehen wird.

Insgesamt leidet diese Inszenierung unter Textnot, es wird viel und leider auch unverständlich improvisiert, herumgehopst, geschrien, auf dem Boden herumgetollt und in bizarrem Vaginakostüm  koboldartiger Übermut getrieben (so kriecht  François eifrig wieder zurück in den Mutterleib, wird jedoch jäh wieder herausgeschleudert). Aber alle und alles sind überwiegend laut und lustig, und es bleibt eigentlich rätselhaft, um was es sich hier eigentlich handelt: hat die Jugend nun  Angst und Sorge vor der großen politischen und sozialen Veränderung oder fügt sie sich wie François und der Dekan seiner Universität in ein für Machomänner geradezu ideales neues Leben mit gesicherter Anstellung und Zuweisung der künftigen Aufgabe (Huismann-Forschung), einer gesellschaftlich anerkannten Position, der absoluten Vormachtsstellung als Mann, dem mehrere Ehefrauen zugestanden werden?  Der ansonsten immer gern für zarte Jünglingsrollen ausgesuchte Justus Ritter darf hier den übereifrigen Uni-Mann spielen, der recht resolut den neuen Kollegen in das Ritual der Aufnahme in die Bruderschaft einweist.

Was man mitnimmt, ist die Verweichlichung eines Mannes, die Aufgabe früher Ideale der intellektuellen Elite, die Oberflächlichkeit und Egozentrik einer sich amüsierenden Gesellschaft, deren emotionale Lässigkeit und beliebige Hinnahme des scheinbar Unausweichlichen. Diese Inszenierung stellt zwar viele Lacher zufrieden, aber sie reibt nichts auf und greift nicht wirklich tief. Sie bleibt an der Oberfläche und will uns wohl gerade damit treffen, dass sie uns diesen Spiegel vorhält. Aber dieses Bild ist zu verzerrt und unscharf. A.C.

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