La Cenerentola, OL
von Gioachino Rossini
Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto Jacobo Ferretti – Uraufführung am 24. Januar 1817 am Theatro Valle, Rom
Oldenburgisches Staatstheater 2017/18 Wiederaufnahme
Musikalische Leitung: Carlos Vázquez, Inszenierung: Axel Köhler, Dramaturgie: Christina Schmidt, Bühne und Kostüme: Arne Walter, Einstudierung Herrenchor: Felix Pätzold, Licht: Ernst Engel
mit: Philipp Kapeller: Don Ramiro, Daniel Moon: Dandini, Joâo Fernandes: Don Magnifico, Jennifer Porto: Clorinda, Melanie Lang: Tisbe, Hagar Sharvit: Angelina, Tomasz Wija: Alidoro
Oldenburgisches Staatsorchester, Statisterie des Olburgischen Staatstheaters
Aschenputtel kann nicht sterben
Spätestens zur letzten großen Arie der reizenden Cenerentola und dem sie umrahmenden, alles Geschehen zwischen Himmel und Erde, Schein und Wahrheit umfassenden Rondo fielen die Teenies in eine Art Schockstarre, die an diesem Abend mit ihrer Schule die Pflichtübung “Rossini” mehr abzusitzen schienen als wirklich emotional zu verarbeiten. Doch ihre Verstörung angesichts einer weit von der Harmonik und Brillianz der Oper entfernten brutalen HInterhofszenerie à la Westssidestory war durchaus verständlich – begegneten sich ja auch Welten, die so schnell nicht zu erschließen waren. Und die Erkennntis der Großartigkeit dieses psychologisch tief durchdachten “spaßigen Dramas” erschütterte dann am Ende, wie zuvor das Blitzgewitter den armseligen Baron und seine luziden Töchter, den schönen Schein der Illusionen.
Es war eine absolute Verstörung, die dem Märchenhaften in atemlosen musikalischen Wechselspiel betörender Cavatinen und Arien, ausgelassener Tutti, lautmalerischer Klarinetten und Flöten, der zärtlichen Harfe und gewandt schmeichelnder Bläser und schwirrender Streicher folgte. Die so nahen Träume, die uns über die Wirklichkeit hinwegtrösten können, blieben plötzlich doch nur eine Vision. Sowohl für die bösartig gurrenden, plärrenden, zischenden, geifernden Schwestern als auch für ihren einfältig eitlen und egoistischen Vater, der aus Himmelshöhe jäh ins Bodenlose versinken mußte, nachdem sein Traum von einer fürstlichen Traumhochzeit für eine seiner garstigen Töchter so drastisch geplatzt war und statt ihrer Aschenputtel, das hier Angelina heißt, vom gütig-gerechten Schicksal für all seine bisherige Pein mit der Liebe eines Prinzen entschädigt werden würde…
Das gab, wie in diesem Genre seinerzeit üblich und von Rossini mit fröhlichem Humor bis ins Feinste zisiliert, ausgetüftel, köstliche Szenen mit typischen Charakteren der Commedia del’Arte. War es die treffliche komödiantische Farce, in der Joâo Fernandes den verantwortlungslosen Tyrannen Don Magnifico entlarvte. Der “große Herr”, der dann ganz klein wurde, nachdem er als spöttisch eingesetzter Kellermeister aus dem Weinhimmel jäh in die bodenlose Tiefe der Wirklichkeit stürzte, gefoppt und genarrt von Dandini, der sich im vorgegebenen Rollentausch als Herr gar zu gern auch als solcher gerierte, eine Rolle, die Daniel Moon mit genießerischer Selbstherrlichkeit als Diener und Double des Fürsten umsetzte. Oder die ebenso grell geifernden punkigen Schwestern Clorinda und Tisbe (welch ein Gag ist allein dieser Name!), denen der modulationsreiche liebreizende Mezzo (und nicht nur zum Schluß zu artistischen Koloraturen auflief) von Hagar Sharvit als Angelina den Gegenpart lieferte. Und ihr Prinz, fein nach Fürstenart, zurückhaltend, konsequent nur die Eine begehrend, die er auf dem vermüllten Hinterhof einst inkognito begegnete und in deren Sanftmut und Güte er sich sofort verliebte. Dieser Prinz von Philipp Kapeller versetzte seine Liebesarien behutsam in bedeutende Höhen, während der sonore gütige Geist in seinem Boten Alidoro auferstand, den er zur Sondierung möglicher Bräute ebenfalls verkleidet, als zerrissenen Vagabunden wie auch als mysteriöse Vaterfigur, zu Angelina schickte, um sie mit Kutsche, Schuhen und Schmuck samt Brautkleid in eine Prinzessin zu verwandeln.
Und dann: welch ein Spektakel in dem erdachten Ballsaal – dem zwar kostbares Interieur fehlte, aber dafür Musik einsetzte, die menschliche Abgründe freimachte: Ein Durcheinander par excellance – wer war der Prinz, wer die Braut, die Aschenputtel so ähnlich sah, aber unmöglich, wer der Diener, und warum wollte keiner der Männer so recht auf die wild herausgeputzten Schwestern anspringen – Verstörung allerseits, und alles sang durcheinander – dynamisch, mit pulsierendem dramatischen Sog, überlagernd, solistisch, mehrstimmig, tutti – wie auch im Schlussteil! Nur einer hatte weinselig in eigener Sache den besten Einfall: Don Magnifico, noch fern aller Wirklichkeit, verkündete ein neues Gesetz: Wein dürfe ab sofort nicht per gepantscht werden – bei Todesstrafe! (Das mag den Zeitgenossen Rossinis überhaupt nicht gepasst haben!?)
Sie alle – dann doch ganz anders als im sehr alten Aschenputtelmärchen – ließen Rossinis Werk an diesem Abend zum xmale nach seiner Uraufführung wieder auferstehen: sowohl in hinreißend zärtlichen Arien und mitreißenden crescendi als auch in furiosen, rasanten Rhythmen im Super-DZug-Tempo als ob so eine Stimm- und Spielakrobatik selbstverständlich wäre. (Zu Zeiten der Komponistenherrlichkeit – und die sind eigentlich immer – mußten und müssen Sänger oft unglaubliche Kapazitäten und Reserven haben, um den Anforderungen der Partituren zu genügen, und oftmals scheiterten auch sie an Lampenfieber oder Intrigen, aber das ist ein anderes, sehr spannendes Thema!) Was diese Inszenierung unter anderem auszeichnet, ist die Unkompliziertheit des Spiels, die choreografisch sehr geschickte Einteilung parallel laufender Szenen auf der – leider – sehr unästhetischen hinterhofartigen Bühne, der auch ein paar Vorhänge oder Stühle samt Kronleuchtern keine wirkliche Veränderung verschaffen. Die Atmosphäre muß erfühlt und erspielt werden, was zuweilen auch mit irrwitzigen Kapriolen musikalischer Fremdeinschübe und aktueller Gags – vor allem aber durch die außerordentliche Einfühlsamkeit der Darsteller bestens gelingt. A.C.