Imagine, HB

Ein John Lennon-Liederabend von Yoel Gamzou und Tom Ryser
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2021
Musikalische Leitung und Arrangements: Yoel Gamzou, Szenische Einichtung:Tom Ryser, Dramaturgie: Brigitte Heusinger, Ausstattung: Stefan Riekhoff, Chor: Alice Meregaglia, Licht: Christian Kemmetmüller
mit Annemaaike Bakker, Martin Baum, Christoph Heinrich, Bernd Hölscher, Marysol Schalit. Band:Andy Einhorn, Heiko Pape, Andy Pilger, Thorsten Drücler, Hans-Jürgen Osmers/Donato Deliano;
es spielen die Bremer Philharmoniker

Poesie des Lebens und der Liebe

Imagine, there is no heaven – der sanfte melodische Trauergesang des frühen Bandleaders und späteren   Komponisten und Weltstars John Lennon –  ist auch der Absang auf eine einst verherrlichte Nation, die im Vietnamkrieg zum Feind der friedensuchenden Jugend der Welt wurde und die aufmüpfigen, enttäuschten Frauen und Männer auf ihren Demonstrationen knüppelhart bestrafte, erbarmungslos aus dem Land wies, wenn es möglich war. Es war für tausende Frieden und Freiheit Suchende der Tod eines Traums.

Auch und besonders für John Lennon und seine Lebensgefährtin Yoko Ono, die man heute als Muse, früher als Macherin, als Führerin an der Seite des hochbegabten, sensiblen John verherrlichte, eine Frau, die den sensiblen Poeten mit Verve, Energie und sicherer Musikalität leitete und lenkte, was vor allem nach dem katastrophalen Bankrott der Beatles von Nöten war, der aber, so sagt man, nicht der Grund für Lennons  Ausstieg aus der Gruppe war.
Gemeinsam stürzten Yoko und John sich in ein neues Leben, in einem Freiheits- und Unabhängigkeitsrausch, der ebenso exzessiv war wie ihre Leidenschaft für Musik, Kunst, Performance und für einander. Nach der unerträglichen Fan- und Stalkerbedrängnis seitens der Öffentlichkeit und vor allem der Enthusiasten der alten Beatle-Fangemeinde,  emigrierten John und Yoko 1971 in die USA, aber wohl auch, weil Yoko sich schon zuvor als treibende Kraft für die Friedensbewegung „make peace not war“ verstand und sich für die aktive intellektuelle Auflehnung gegen einen unerträglichen Krieg engagierte. Lennon zog mit und verfaßte in den ersten Jahren mehrere Soloalben mit den schönsten Liebesliedern eines neuen Trends. Er verbalisierte und vertonte Gefühle und Weltsicht, die zwar vor allem die eigene Befindlichkeit in den Mittelpunkt stellten, doch zugleich eine ganze Generation in ihren Emotionen erfasste. Träume, Liebe, Lust, Zärtlichkeit, wenn sie sich verloren, folgten Trauer, Entsagung, Enttäuschung, Verzicht; die „Unerträglichkeit des Seins“ wechselte mit künstlerischen und persönlichen Höhen und Tiefen, bis seine Alkohol und Drogenexzesse sowie verschiedene Liebschaften Yoko vertrieben. John verbrachte zwei Jahre in verzweifelter Sehnsucht nach Yoko, die Zeit für sich benötigte, um neue Kraft zu gewinnen. Aber, so wird von Kennern bestätigt, Lennon fand zum „normalen“ Musiker, zu seiner alten Kreativität  zurück, und er habe  gerade in dieser Zeit seine besten Songs geschrieben..
Gegenwärtig werden in dieser Inszenierung die verschiedenen Phasen eines getriebenen Künstlerlebens ohne Sentiment und Pathos, das begleitet wird von großen Erfolgen vor riesigen Mengen jubelnder Fans bis hin zum väterlichen Glück mit dem Sohn, das allerdings bald auch schon den Zwiespalt zwischen häuslicher Gebundenheit und dem Drang zu kreativer Selbstverwirklichung widerspiegelt. Während Yoko komponiert und zeichnet, spielt und leitet John seinen Sohn Sean und gibt ihm all das, was er als Kind ohne Vater leidvoll vermissen mußte.
Das alles vermag das kleine Bremer Ensemble singend und spielend, mit Schauspielern und Sängern, mit Orchester und mitreißender Band abendfüllend auf großer Bühne wieder ins Leben zu rufen und auch all  jene Besucher mitzureißen, die sich nicht zu den schreienden Fans von einst zählten.
Marysol Schalit ist hinreißend und versteht, ihre  stimmliche  Variationsfähigkeit mit spielerischer Hingabe auszutarieren, Zärtlichkeit in umfassenden Oktaven schweben zu lassen, Sehnsucht und Liebe in ihrer schönsten Verinnerlichung innerhalb einer verzweifelten politischen Ambition als Gegenkraft Gewicht zu verleihen. Christoph Heinrich übernimmt die Lieder Lennons, zügelt seinen schönen Bass, lässt sich auf die Zartheit des Engländers ein, um dessen Verletzlichkeit transparent auszuleuchten. Die Leidenschaft der Jugend, die Verliebtheit dieser Pop-Ikonen vermag Anne Marie Bakker als Soul- und Musicaltalent bis ins Innerste dringend, einzufordern, während Martin Baum jene Partien übernehmen kann, die Energie, Festigkeit, Neubeginn des Paares zeigen, aber auch ihre Fragen, ihre vielzähligen Zweifel, ihre Enttäuschungen ob einer Welt, die ihrem Friedensanspruch nicht entsprechen will und kann. Für Bernd Hölscher als Gast bleibt vorwiegend die Rolle des Impressarios, der die Entwicklung der Künstler begleitet und kommentiert.
Imagine ist die Hommage an eine einzigartige musikalische  Epoche mit John Lennon und Yoko Ono – zwei ungewöhnlichen, oszillierenden Persönlichkeiten, die sich in einer hoch explosiven politischen Ära in einer Friedensbewegung exponierten, die so hilflos, so rührend war und so wütend machte, dass aus einer hoffnungsfrohen eine sich verlierende Generation werden musste. Ihre Gefühle und Hoffnungen, ihre Sehnsüchte und Enttäuschungen spiegeln sich in den gespaltenen Persönlichkeiten dieses Künstlerpaares mit großer Einfühlsamkeit wider.
Welch ein Geschenk für das Bremer Theater, dass John Lennon für dessen Generaldirektor Yoel Gamzou eines der größten musikalischen Vorbilder darstellt, und dieser nun mit dem Lazarus-Regisseur Tom Ryser eine spannende und liebevolle, auch ein bisschen sentimentale  Hommage mit eigens arrangierten Songs für Gesang, Band und Orchester einstudiert hat – auf einer mit Orchester und Chor eingerichteten Bühne unter einem Sternenhimmel, der natürlich „Imagine“ spiegelt: „Stell dir vor, es gibt keinen Himmel/ das fällt ganz leicht, wenn man es versucht/ unter uns keine Hölle, über uns nur Luft“.
Dass John und Yoko mit einem gnädigen Gott nicht viel anfangen konnten, lässt sich angesichts der Grausamkeit des Vietnamkrieges in jenen Zeiten wohl nachempfinden, dass dies einen gläubigen Fanatiker Jahre später zu einem tödlichen Attentat auf John Lennon verleiten würde, könnte einer dramatischen Oper entnommen sein, wäre es nicht so real. Die Macht des Schicksals – wie auch immer, führte zu einem zu frühen Tod eines musikalischen Genies des vorigen Jahrhunderts. John Lennon war 40 Jahre alt, er hatte sich gerade mit Yoko wieder vereint und eine neue künstlerische  Zukunft im Blick, als ihn der  Mann erschoss, dem er zuvor noch ein Autogramm gegeben hatte.  A.C.

 

 

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