Schwarze Schwäne, OL
So 09.10. 18.00 Uhr
Ältere: Franziska Werner
Jüngere: Julia Friede
Und dann kam Rosi
Sie ist die Hauptperson und tritt doch nie in Erscheinung. Sie ist der schwarze Schwan und bringt mit einer Perfektion ohnegleichen den chaotischen Haushalt mit der dementen Mutter zur Ruhe. Sie weiß immer, was zu tun ist, kennt alle Bedürfnisse, verliert nie die Nerven, ist freundlich und arbeitssam. Ihre Antworten sind zuweilen etwas kryptisch, aber immer korrerkt und logisch. Sie ist eine absolut wünschenswerte Nanni.
Aber sie bringt die jüngere der beiden Töchter, – Julia Friede als bedauernswertes Nervenbündel in hellster Auflösung – an den Abgrund der Verzweiflung; und nicht nur, weil Rosi noch perfekter ist als sie selbst, sondern, weil sie so perfekt ist, dass sie allen anderen das Gefühl vermittelt, überflüssig zu sein. Sie ist ohne Frage noch perfekter als es eine hingebungsvolle, liebende Tochter es je sein könnte. Denn die Hilfe, die Rosi ihrem Haushalt bringt, verurteilt sie selbst zur Machtlosigkeit, denn auch die Kinder werden nun von der Nanni bestens versorgt, der Mann bleibt nachts außer Haus, und sie selbst greift in der scheinbaren Sinnlosigkeit ihres Daseins hilfesuchend zum Alkohol. Nicht nur die Mutter, sondern die ganze Familie, ihr Selbstwertgefühl, alle und alles ist abhanden gekommen.
Aber was ist wirklich passiert? Denn eigentlich könnte sie doch ganz zufrieden sein und sich, wie ihre ältere Schwester, endlich um sich selbst kümmern, ihre Überveranwortlichkeit und Überforderung durch die anspruchsvolle, nörgelnde, niemals zufriedene alte Dame im Hause getrost Rosi überlassen. Und sie könnte ihrer großen Schwester dankbar sein, die mit sehr viel Vernunft, aber auch großer Besorgnis um “die Kleine” ihr nach manchen Disputen Rosi wie ein Geschenk im Paket serviert. Man muß sie nur noch auspacken und aufziehen. Dann funktioniert sie, wie das Roboter so zu tun pflegen…
Aber da gibt es nun ein neues Problem: Ist das ethisch und moralisch zu verantworten, eine alte Frau einem Roboter zu überlassen, auch, wenn er noch so perfekt ist? Augenscheinlich ja, denn die Mutter ist höchst zufrieden, lacht und singt und freut sich augenscheinlich dieser Gesellschaft, denn Rosi wird nichts zuviel. Sie rastet niemals aus, ist ein Vorbild und Paradebeispiel für eine funktionierende Tochter.
Aber so geht das nicht. Töchter sind Menschen und voller Gefühle, wie Mütter auch, und darin liegt nicht nur Konfliktpotential, sondern auch ein wunderbarer und hilfreicher Gedanke, der in dem Gespräch zwischen den ungleichen Geschwistern aufblitzt: wie man sich wohl fühlen mag, als alter kranker, hilfsbedürftiger Mensch, mit all seinen Defekten, Defiziten und Ängsten auf andere angewiesen zu sein, wie ist es da um die Würde bestellt? Wie schnell verliert man da die Selbtbeherrschung und seinen Gleichmut? Beide Seiten werden sichtbar und verständlich.
Zwei weiße Schwäne sind von einem schwarzen Schwan verdrängt worden. Was nun? Einer der Weißen segelte davon, zurück bleibt ein Häufchen Unglück. Das ist zwar ergreifend, aber nicht traurig oder vorwurfsvoll inszeniert, denn es spiegelt ja das wirkliche Leben: Da wird eine Mutter alt und hinfällig und bedarf der Pflege. Zwei Töchter sind da und sich nicht einig; die jüngere möchte die Mutter bei sich in die Familie integrieren und pflegen, die Ältere, vernünftig von Geburt und durch das Los, Ältere zu sein, geprägt, hält dagegen und sieht nur dann und wann nach dem Rechten und sieht plötzlich, das die Kleine Schwester restlos erschöpft und überfordert ist. Franziska Werner ist eine wunderbare, wenn auch strenge, aber immer behutsame und einfühlsame Schwester, aber mit einer distanzierten Einstellung zur Mutter, die in ihrer Erinnerung einen anderen Stellenwert als bei der Schwester einnimmt. Und als das Leid der kleinen Schwester zu schwer auch für sie zu ertragen ist, greift sie zur scheinbar besten aller Lösungen und engagiert Rosi, die großartigste Helferin aller müden Mütter und überforderten Töchter.
Nur, Rosi ist ein Roboter. Und als der Roboter übergriffig zu werden scheint, jedenfalls empfindet das die um ihre Macht und Vormachtsstellung beraubte jüngere Schwester, da kommt es zur heftigen Auseinandersetzung der beiden Frauen, in der es um den Stellenwert von Rosi und die Reaktionen geht, die für den Roboter als Menschenersatz mit dieser Situation und Aufgabe einhergehen.
Betroffenheit, aber auch heiterere Momente beleben dieses kleine Drama, und sie werden am Ende ein großes Problem aufgreifen, vertiefen und doch niemals wirklich zuende bringen: Ein Robter tut, was ihm eingegeben wird, er führt feste Algorithmen* aus, denkt nicht, fühlt nicht, gehorcht der Logik. Und damit bleibt er fern aller Ethik und Moral. Er denkt nicht: Was wollen wir? Was können wir, was verlangt die Gesellschaft von uns, und was sind wir in der Lage, zu bewältigen?
Ein wirklich nicht leichtes Thema, aber so lebensnah, empathisch und verständlich von zwei ungemein engagierten Schauspielerinnen zu einem kurzweiligen und sehr nachdenklichen Spiel umgesetzt- vor einer dunklen Wand, auf der helle, sich wellenartig bewegende Linien vielleicht die menschlichen und technischen Gehirnströme zeigen sollen, während schneeweiße Plastikformen wie Monumente die Bühne in das Geheimnis des Lebens hüllen. A.C.
Herzlicher Applaus.
* Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems oder einer Klasse von Problemen. Algorithmen bestehen aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten. Damit können sie zur Ausführung in ein Computerprogramm implementiert, aber auch in menschlicher Sprache formuliert werden. Wikipedia