Elternabend, B

von
Peter Lund
und Thomas Zaufke
Neuköllner Oper, Berlin

Regie: Bernd Mottl,  Musikalische Leitung: Hans-Peter Kirchberg/Nicolai Thärichen, Bühnenbild: Jürgen Kirner, Kostümbild: Nicole von Graevenitz, Choreografie: Nicola Wendt

mit Saskia Huppert – Gabi; Guido Schmitt – Kurt; Christine Rothacker – Vera; Kay Rode – Gerd; Nicole Rößler – Irene; Gerd Lukas Storzer – Dennis; Yara Blümel – Anouschka

Eine Geschichte beinahe aus dem wirklichen Leben

Dieser Elternabend geht unter die Haut. Und wäre er nicht mit so viel Humor und treffsicheren Gags einerseits und einer einfühlsamen  Musik andrerseits durchwoben, man würde schier an dieser Konfrontation mit der Wirklichkeit verzweifeln. Denn diese Kinder sind wahrhaft kleine Monster – und leider das Spiegelbild ihrer Eltern. So viel ist klar: Natürlich wollen die tüchtigen, engagierten Betreiber eines alternativ-privaten Kinderhorts die bittere Wirklichkeit ihres eigentlichen Versagens als Erziehende nicht wahrhaben; und so fliegen an diesem Elternabend mit selbstgefertigtem Buffet beängstigend die Fetzen zwischen den Eheleuten, den Frauen und “Freundinnen”, die sich alle nur erdenklichen Bösartigkeiten entgegenschleudern, ihre Kinder bis aufs Blut verteidigen und schließlich einen Prügelknaben finden: Der neue Erzieher wird trotz seiner Homosexualität zwar zunächst toleriert, zum Schluss aber, als es auf echte Akzeptanz ankommt, schonungslos ins Abseits geschossen.

Peter Lund hat – wenn auch mit zu starkem Gewicht auf das Problem der Homosexualität .- ein tolles Stück geschrieben; und Thomas Zaufke hat mit seiner Musik daraus ein temperamentvolles Musical gemacht. Gleichwohl ist mehr ein Theaterstück mit Musik daraus geworden, da Lunds überbordende Texteinfälle dominieren. Bernd Mottl führt zügig Regie, und es ist bewundernswert, wie er diese Fülle von Szenen auch mit Hilfe der Choreografie von Nicola Wendt in der Balance hält. Vor überdimensionalen bunten Bausteinen (Jürgen Kirner), die schwerer aussehen als sie sind und von den Akteuren gern zu Auflockerungsübungen und neuer Geländegewinnung benutzt werden, steht der Tisch, an dem sich die Gruppe an diesem Abend zusammenfindet.

Es geht nicht nur um die Tagesordnung, bei er es bereits den ersten Streit gibt, sondern vor allem um ein schwerwiegenden Ereignis: Die kleine, ruhige Marie hätte sich an einem Spielgerät beinähe am Anorakbändchen aufgehängt, wenn der Erzieher nicht rechtzeitig alarmiert worden wäre. Für eine Weile tritt das traurige Thema allerdings zunächst in den Hintergrund, weil die Mütter sich angiften, die Väter sich nutzlos wehren und  die Wortführerinnen Irene (Nicole Rößler) und Gabi (Saskia Huppert) um die Vormacht streiten. Der Zuschauer lacht zwar herzhaft, aber ihn überläuft zugleich eine Gänsehaut. Die emotionalen Wechselbäder werden musikalisch entweder von eindringlich-atonalen, jazzartigen oder absurd vertonten, scheinbar harmlosen Kinderreimen temperiert oder blitzschnell – jetzt spannungsverstärkend – zum tatsächlichen Kampf in der Kindergruppe aufgeheizt.

Die Eltern spielen im Szenenwechsel zugleich ihre Kinder, und nun offenbart sich dem Zuschauer, was er in banger Vorahnung (oder aus Erfahrung) bereits erspürte: Die schüchterne Marie wird als “Neue” von Irenes Tochter Meret-Claudelle mächtig drangsaliert, die als “Bandenchefin” auch die anderen Kinder unter ihrer Knute hat. Der behinderte Phillip – Sohn von Gabi und Gerd, die sich unablässig schreckliche Szenen einer Ehe liefern – kompensiert seine Schwäche durch kumpelhafte Gefolgschaft zur kindlich-grausamen Anführerin. Die Kinder der unsicheren Vera und des zwar couragierten, aber letztlich doch resignierenden Kurt heißen Emma und Kevin und stehen für die Menge der mutlosen Mitläufer. Sarah schließlich zeigt schon als Kind deutlich jenen kompromisslosen Eigensinn, der sie später als Erwachsene gegen ihre Umwelt wüten lässt.

Auch Maries Mutter Anouschka ist wie ihre Tochter still und schüchtern, ohne Zutrauen zu sich und anderen. Der junge Erzieher Dennis ist um die Anwendung psychologisch-pädagogischer Grundkenntnisse bemüht, scheitert schließlich zwangsläufig an seiner ungemein verletzbaren Außenseiterposition. Wahrlich keine liebenswerte Elterngruppe, die sich selbst und einen armen Erzieher zerfleischt, aber sie zeichnet ein deutliches, wenn auch stark übertriebenes Bild der Blindheit, der Vorurteile und der Eigenliebe in unserer Gesellschaft. Nur die naive Vera lässt uns eine vage Hoffnung auf ein besseres Morgen und Miteinander, sofern wir lernen wollen, unsere Kinder uneigennützig zu lieben und uns unseren eigenen Lebens- Erwartungen und Enttäuschungen stellen.

  A.C.

 

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