Lady Macbeth von Minsk,
Komische Oper, Berlin
Musikalische Leitung: Vassily Sinaisk, Inszenierung: Hans Neuenfels, Bühnenbild: Gisbert Jäkel, Kostüme: Elina Schnizler ,Beleuchtung: Franck Evin, Chöre: Robert Heimann, Dramaturgie: Antje Kaiser
Besetzung: Jens Larsen (ein wundervoll tiefer Bass und ein prächtig gemeiner Macho-Schwiegervater); Andreas Conrad ( als melodisch feiner Tenor, dem man die mehr Männlichkeit zutrauen würde, wenn ihn sein Vater nicht gleichsam despotisch behandeln würde); Anne Bolstad (eine leidenschaftliche und bildschöne Katerina, die alle Sympathie auf ihrer Seite hat als sie sich der schrecklichen Demütigungen als minderwertiges Weib in der russischen Gesellschaft gewaltsam erwehrt). Jürgen Müller als Sergej – ein lederner Liebhaber, dem man von Beginn an nicht so recht traut, Gebaren und tenorales Werben können nur eine im höchsten Maße vernachlässigte und frustrierte Gutsbesitzerin betören; Beatrice Niehoff als Zwangsarbeiterin, der man bös mitspielt, Christoph Späth als schäbiger Verräter, James Creswill als fröhlicher, weltlichen Genüssen durchaus zugewandter tiefstimmiger Pope; Carsten Sabrowski, der als smarter Polizeichef die Ironie des Komponisten gegenüber einer behördlich personifizierten Dämlichkeit samt chic uniformierter Truppe überzeugend wiedergibt; Caren van Oijen kommt als verführerische Sonjetka mehr körperlich als stimmlich zur Geltung. Orchester und Chor haben sich den Extra-Applaus verdient.
Vorweg bemerkt: es gab ein ausgezeichnetes Programmheft mit detaillierten Beiträgen zu allem, was man zu dieser Oper, ihrer Entstehungszeit, ihrem Komponisten, seiner Intention und ihrer Interpretation durch Hans Neuenfels und Co wissen möchte. Es ist mit sehr illustren Szenenaufnahmen sowie einem beidseitigen Abdruck eines Franz Marc-Gemäldes in Hochglanz ausgestattet, allerdings in einem unmöglichen Format gestaltet.
Ein mängelfreies, modernes Format aber hat diese Inszenierung von Hans Neuenfels – und das tut sowohl der Oper als auch seinem Hause gut, nachdem sich dort einiges an Widerwärtigkeiten eingeschlichen hatte.
Diese Lady Macbeth von Mzenk ist keine männermordende Viper, es fließt wenig Malerblut, nur ein großer Stoffpenis ist zu belachen. Und die Shakespear’schen Hexen, die als vampirartige Inkarnationen von Leidenschaft, Rache und sexueller Gier nach den Menschen greifen, um ihren Trieben und ihrem Gewissen tüchtig einzuheizen, sind dringend nötig, um der liebestollen und -tragischen Emanzipationsgeschichte noch einen kleinen Schauder mitzugeben.
Schon Dimitri Schostakowitsch hat dieser Gutsbesitzerin, die aus Leidenschaft zu einem Mann aus dem Gesinde, ihren Schwiegervater und Ehemann ermordet und hierfür ins Gefängnis und später nach Sibirien gebracht wird, die Schärfe der gewissenlosen Mörderin genommen, wie sie in der Vorlage, einer Novelle Leskows, noch ohne psychodramatische Innenansicht der unterdrückten Frau dargestellt wird. Neuenfels nennt diese Lady (im Kontrast zur machtgierigen und mordlüsternen „Original” Macbeth-Furie) „eine Frau, die sich in einem verzweifelten Amoklauf zwischen Traum und Realität, zwischen Erfüllung und Zerstörung, zwischen einer Person und der Gesellschaft befindet” und die daran und darin konsequenterweise zugrunde gehen muss.
Nicht nur im zaristischen Russland, sondern auch später noch nach der großen Revolution und der angeblichen Selbstbestimmung der Proletarier ist und bleibt die Frau praktisch Leibeigene. Sie ist nur Dienerin der Sache – zuerst als Geburtenmaschine für den Erhalt der Arbeiter- und Bauernpopulation, später als Mutter für das Volk. In perfekter Übereinstimmung befinden sich Musik und Erzählung (Die deutschsprachige Fassung ist sehr schlicht gehaltenen, aber dafür ausgezeichnet zu verstehen!), in einer leidenschaftlichen Anklage gegen die gesellschaftlichen und moralischen Verhältnisse der alten und der neuen Zeit, die Schostakowitsch dazu treiben, sein Werk in der ersten Hlfte des 20. Jahrhunderts der alten, müden und verkommenden Welt mit einer neuen Sprengkraft entgegenzuschleudern ( was ihm Stalins Verbot und die Ignorierung seitens der europäischen Musikwelt einbrachte).
Diese Lady Macbeth heißt Katarina und ist so blutjung, so lebendig, so einsam und „auf Eis” gelegt, das sie auch in heutiger Zeit nur noch eine langwierige Therapie oder ein feuriger Liebhaber heilen könnte, was sie uns bereits in einem verzweifelten Monolog zum Auftakt kundtut. Trauer, Schwermut, Melancholie legt sich über die Handlung und wird sie fortan bis zum Ende begleiten – ausgenommen die orgiastischen Momente und die Totenklage um den Schwiegervater. Der Liebhaber Sergej, der sich ihr aus dem begrenzten Umkreis der Menschen, die ihr zur Verfügung stehen, anbietet, ist zwar ein erotisch anziehender, aber auch ziemlich grober Kerl. Jedenfalls stillt er ihre Leidenschaft, was in sich einem ungeheuren musikalischen Liebesakt abspielt – vor dem geschlossenem dunklen Vorhang, der ein pfostenumrahmtes großes Bett mitten auf der Bühne verbirgt. Wie sich überhaupt alle tiefen seelischen Bewegungsabläufe in wuchtigen Bläserkaskaden, Hörnern, Trompeten, Fanfaren und Pauken ausagieren – dazu bedarf eines keiner weiteren Darstellung. Es ist erstaunlich und richtig, wie sehr sich der Regisseur hier zurücknimmt! Denn wenn allein die Musik es schafft, mit verlangsamten und gesteigerten Tempi die Folgen aller tiefen Emotionen, die sowohl niederen Exzessen als auch allen tiefen Sehnsüchten folgen, bereits vorauszunehmen, dann erübrigen sich wahrlich alle weiteren Ausformungen auf der Bühne.
Erwähnenswert sind vor allem die Glanzleistung des Orchesters und die schauspielerischen Dynamik der Protagonisten, aber auch die ebenso einfache wie wirkungsvolle Ausstattung der Kostüme: Alle Körper sind mit Stricken umschlungen, nur Katarina legt diese Fessel ab, wenn sie sich zu Bett begibt und auch Sergej, der sich frei, vor allem frei von moralischen Bindungen fühlt, entledigt sich sehr schnell der Symbole des Untertanen, als er Katarina erobert. Unnötig zu erwähnen, dass die beiden Gutsbesitzer und der Pope ohne Zeichen des Zwangs gekleidet sind.
Schostakowitsch hat, seiner Zeit voraus, eine musikdramatische Sprache vorgestellt, die auf lange auf ihre Akzeptanz – auch in der westlichen Avantgarde warten musste. Heute flammt sie über uns hinweg wie ein Feuersturm der Seelentiefe, während uns leise, zarte Tonabfolgen als Ausdruck der Ironie erscheinen, folkloristische Anklänge eine volkstümliche Idylle andeuten oder beschwingte Walzerklänge die tiefe Diskrepanz zwischen dem Schein einer „heilen, alten Ordnung” und der Brutalität ihrer Unterdrückungsmechanismen deutlich werden lassen.
Befreiend ist diese musikalische Orgie allemal, und damit legt das Orchester, ohne Zweifel aufkommen zu lassen, die Qualität der Aufführung fest: Verzweiflung, Enttäuschung, Einsamkeit gipfeln in aufgewühlter Leidenschaft und unüberlegten, spontanen Taten, die sich schwer auf Katarinas Gemüt legen und sie letztlich sogar vor ihrer möglichen Rettung durch eine schnelle Flucht abhalten. In dieser Inszenierung hat sie hat unsere ganze Sympathie. A.C.