Le Nozze Di Figaro, B
Opera buffa in vier Akten (1786) von Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto von Lorenzo Da Ponte
basierend auf der Komödie La Folle Journeé,ou Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Komische Oper Berlin, 2024
Musikalische Leitung James Gaffigan, Inszeirung Kirill Serebrennikov, auch Bühnenbild und Kostüme, Spielleitung Werner Sauer, Choreografie Evgeny Kulagin, Dramaturgie Daniil Orlov, Julia Jordà Stoppelhaar, Licht Olaf Freese, u.a.
mit: Graf Almavivia: Hubert Zapór, Gräfin Almavivia: Marie Smolka, Susanna: Penny Sofroniadou, Figaro: Günter Papendell, Cherubina: Susa Zarrabi, Marcellina: Ulrike Helzel, Bartolo: Tijl Faveyts, Basilio: Ivan Tursic, Antonio: Peter Lobert, Cherubino: Georgy Kudrenko u.a.
Oben: Grausige Vernissage auf der Bel Etage – Unten: Aufstand der Dienerschaft…
…doch ebenso tempo- wie einfallsreich – angefeuert von einer brodelnden Ouvertüre – geht es weiter nach einer sehr vergnüglichen ersten Hälfte in diesem entzückenden und dramatischen Wirrwarr, mit dem es dem Mozarteischen Genie gelang, die revolutionäre Gedankenwelt von Beaumarchais doch auf eigene Faust so zu zelebrieren, so dass der gute Monarch Leopold nichts monieren konnte. Zumal der bei der ersten Premiere auch glücklicherweise abwesend war. Aber die neueste Fassung in der Komischen Oper, von Kirill Serebrennikov nun höchst kunstvoll und ebenso modern wie zeitlos auf die Bühne gezaubert, ist nun doch politisch weitaus kritischer als es dem Original möglich war.
Also, die obere Etage ist sehr elegant, mit nur wenig Interieur ausgestattet, nämlich zunächst nur mit einer silbernen Skulptur, die sich am Ende vervielfacht und unerträglich nicht nur im übertragenen Sinn blendet, sowie einem großen Gemälde zeigt sie herrschaftliche Dominanz. Die untere Etage, eigentlich mehr ein niedriges Kellergewölbe, indem sich Wasch- und Bügelküche sowie das künftige kleine Zimmerchen mit riesiger Matraze von Susanne und Figaro befindet, ist vorerst und lange Zeit noch das Domizil der Domestiken. Auch die mucken zeitnah auf, während oben die Performance als radikale Messerstecherei inszeniert wird, in der die illustren Gäste der Vernissage niedergemetzelt werden, geht unter Tage die Dienerschaft wütend auf die Barrikaden. Was sie fordert, ist bekannt und harrt noch heute in vielen Ländern der Erde auf seine Umsetzung.
Danach läuft auch eigentlich für das Hochzeitspaar nichts mehr so richtig rund. Der zum Botschafter berufene Conte will nicht auf das längst abgeschaffte Recht der ersten Nacht verzichten und deshalb Susannas Bräutigam Figaro als Adjutant nach London entführen. Seine Leidenschaft für die einst heiß umworbene Gattin, hat sich grundlegend gewandelt seitdem er sich als Erotomane entpuppt hat. Und Figaro, der ehemals listige Helfer bei der gräflichen Brautwerbung, muss nun um seine eigene Braut, bangen und mitansehen, wie diese und die Gräfin eine höchst fragile List ersinnen, um einmal den Grafen zu brüskieren und zum anderen die jungen Bräute vor dessen Begierde ein für allemal zu schützen.
Doch Figaro, der von deren Intrige nichts weiss, verfolgt wütend wie Susanna auch noch vor aller Augen mit dem Grafen flirtet und das in sehr aufreizenden süßen Tönen flirtet. Auch die Gräfin, Marie Smolka, leidet zärtlich und hingebungsvoll und noch jemand: Cerubino – bisher in allen Inszenierungen als Hosenrolle gespielt, ein durch die Liebesintrigen bei Hofe verwirrter Jüngling, der meint, die Gräfin verführen zu können und dabei in die Fänge der listigen Frauen und in die Gefangenschaft des Militärs gerät. Beim eifersüchtigen Grafen zudem in gefährliche Ungnade gefallen, doch dank der fröhlichen Frauen landet er immer wieder in ihren Gemächern, mal verkleidet, mal völlig nackt flüchtet er aus dem Fenster in den Garten und hinterlässt dort doch leider Spuren… diesmal eine stumme Schauspielerrolle, die sehr heftig gestisch bewältigt wird. Was etwas merkwürdig erscheint, zumal Susann Zarrabi als Cherubina in der Schattenrolle alle Partien voller Eifersucht singt. Diese zwiespältige Emotionalität auch läßt die schönste, und hier leider sprachlich stark veränderte Arie Mozarts nicht ganz so hinreißend erklingt wie gewohnt, da sich wohl jugendliche Leidenschaft anders äußerst als die einer eifersüchtigen Partnerin.
Eine andere Schattenrolle ist weitaus komischer, und auch so lebendig, dass man ebenfalls ganz verwirrt wird. Was ist dieser kleine Diener, von Nikita Kukushin bewunderswert gespielt – der mit artistischer Behändigkeit um den Grafen herumturnt und in Gesten der Verzweiflung, der Bösartigkeit, Wut und Rache, dessen innere Liebesglut und Zerrissenheit celebriert – das zweite Ich des coolen Grafen, der elegant und scheinbar unberührt, sich den Weg zu Susanne bahnt und – zwar sich innerlich krümmend – doch seine traurige Gattin belügt. Nur der Narr weiß davon und verbiegt sich in skurriler Verzweiflung.
Es sind erstklassige Sänger, die Serebrennikov für dieses turbulente Spiel auf die Bühne geholt hat, und es ist ein wahrer künstlerischer Genuss, die Kongruenz zu bewundern von den stark auf die Personen fixierten Orchesterklängen, den Sängern und ihrer ausdrucksvollen Darstellung aller Liebesnöte in letztendlich doch zeitlosen Stimmungen. Da ist Penny Sofroniadou als sehr präsente Susanna, die in Arien, Duetten und den größeren Ensembles ihre Persönlichkeit als listiges und liebendes Weib, als kluge Menschenkennerin und als Realistin einbringt und vom ersten Moment an die führende Rolle in der Handlung übernimmt.
Da ist der kluge, verliebte und männlich dominante Figaro von Günter Papendell mit starkem, schönen Stimmvolumen, der wie ein Schiffbrüchiger zeitweilig hin- und hergeworfen in den emotionalen Schwankungen zwischen Chaos und Hoffnung und eigentlich bis zum Ende darauf warten muss, dass Susanna ihn endlich von seinen Qualen erlöst. Aber zuvor muss auch die zarte Marie Smolka als Gräfin alle Untreue des Gatten spürbar in auswegsloser Melancholie verharren. Auch das scheinbare Happyend wird ihr letztendlich nicht die künftige Treue ihres umtriebigen Gatten garantieren können, auch wenn Mozart allen in ernsthaften Soloarien sozusagen ins Gewissen redet. Auch Marcellina, diesmal als Dame des Hauses in allen Ehren gehalten, und Bartolo wie auch Basilio als Intriganten und Antonio als braver Diener seines Herrn und Verräter des geflüchteten Cherubino sind gut gestimmt und am Ende auch gut gelaunt, wenn sie sich den überraschenden verwandtschaftlichen Erkenntissen beugen müssen. A.C.