Die Vögel, OL

Oper von Walter Braunfels, Libretto nach Aristophanes, 415 v.Ch.
Uraufführung 1920 München

Oldenburgisches Staatsstheater, 2025

Musikalische Leitung: Hendrick Vestmann, Vito Christofaro, Oldenburgisches Staatsorchester, Opern- und Extrachor sowie Statisterie des Oldenburgischen Staatstheaters.
Regie: Holger Potocki; Kostüme, Bühnenbild: Lena Brexendorff; Dramaturgie: Anna Neudert, Licht: Anne Waldl; Chorleitung: Thomas Bönisch, Felix Schauren, Video: Robert Emil Tappe
mit: Hoffegut: Jason Kim, Ratefreund. Arthur Bruce, Stimme des Zeus. Ryan Stoll, Prometheus. Juhyeon Kim, Wiedehopf: Aksel Daveyan, Nachtigall. Penelope Kendros, Zaunschlüpfer: Brianna Meese,  Drossel: Dorothee Bienert, Rabe: Stephen Foster, Adler: Ryan Stoll

weitere Vorstellungen 2.und 9. März sowie 14. und 26. Juni 2025

Magische Poesie und martialischer Zorn

Nach einem der vielen ermüdenden Bürotage erträumt sich der sensible Sekretär Hoffegut eine leichte, beschwingte Welt, die, wie die Vögel, die er tagsüber durch sein trübes Bürofenster beobachtet, ihm ein sorgenfreies Leben verheißen. Eine Sängerin im Multikulti-Disko-Ambiente verspricht ihm mit süßer Stimme die Erlösung von seinem ermüdenden Alltag. Und so macht er sich gemeinsam mit seinem Kollegen Ratefreund auf ins Reich der Vögel, wo sich beide eine Welt voller Beschwingheit und Sorglosigkeit erhoffen. Das allein allerdings genügt aber dem griesgrämigen “Ratefreund” nicht, der sofort die Macht und Herrschaft über die leichgläubigen geflügelten Freunde anstrebt und  sich in diesem neu zu erschaffenden Reich sogar zum Alleinherrscher über das Firmament machen möchte.

Das alles schrieb der griechische Komödiendichter Aristophanes vor zweieinhalbtausend Jahren angesichts einer den Staat in seinen Grundfesten bedrohenden politschen Überheblichkeit –  dem Volk zur Warnung. Walter Braunfels, der seine Zeit nicht minder sorgenvoll betrachtete, konnte die klassische Vorlage aber erst nach dem 1. Weltkrieg bearbeiten und in eine symbolische Parallelwelt versetzen, die uns nun mit einer phantasievollen Inszenierung des Oldenburgischen Staatstheaters in einer romantisch-besinnlichen Version nach über 100 Jahren mit beängstigender Aktualität, doch gleichermaßen wohltönend und stimmungsvoll mit diesem Problem konfrontiert.

Auf einer Bühne, die von einer mit Lehm und Pflanzen bewachsenen kleinen Mauer begrenzt wird, einem noch recht irdischen Bett an der Seite, in dem entweder geträumt oder noch einmal die Herkunft der Eindringlinge vor Augen geführt wird, gewinnen die beiden Männer den Wiedehopf als Sprecher aller Vögel für ihren großen Plan, und alle Vögel kommen zur großen Versammlung. Da haben die Schneiderwerkstätten große Arbeit geleistet: denn der Chor ist ja nun sprichwörtlich ein großer, vielstimmiger Gesangsverein geworden und kann die vielstimmigen angelegte Stimmen in geordneter Harmonie vereinen und das Palaver der vielen Paradiesvögel in Masken, Brillen, Kleidern, Federbüschen, was alles nur so einem jeden Vogel nach seiner Art gefällt, zu einem Ganzen führen..

Wunderbar stimmt sich der kühne Hoffegut in das vielfarbene Gezwitscher mit seinem kräftigen und klangvollen Tenor ein und begegnet in einem wahren paradiesischen Liebesrausch im poetischen Duett der schönsten aller Stimmen: der der Nachtigal. Für Jason Kim als bravoröser Hoffegut, Arthur Bruce, herrisch und tiefstimmig unerbittlich als machtlüsterner Ratefreund, Aksel Daveyan als gutmütiger Wiedehopf, Brianna Meese als schönstimmiger Zaunschlüpfer, Dorothea Bienter als entzückend energische Drossel, Stephen Foster als bedrohlicher Rabe, der dem windigen Versprechen der Erdenbesucher nicht traut, Ryan Stoll als gebieterischer Adler – und last not least, sondern wirklich als First Lady gedacht und gesungen die Nachtrigall von Penelope Kendros. Eine überzeugende Koloraturvirtuosin, die bis in die höchsten Tonleitern tirilieren und zwitschernd jubilieren kann, das es jeden Zweifler an Gottes großer Natur von dem Zauber in den entzückenden Stimmvariationen seiner Vogelwelt überzeugt. Sogar als alles verklungen zu sein scheint, der letzte Streicher seinen Bogen aus der Hand gelegt, die Harfen und alle anderen Instrumente nach dem wuchtigen Weltuntergangs-Finale erschöpft schweigen, da steigt noch einmal ein letzter überirdischer Ton in die Lüfte. Vielleicht haben sich Lerche und Nachtigal da in vereinigt. Für den in die Natur, speziell in seine Nachtigalfrau verliebten Hoffegut aber heißt es, Abschied zu nehmen, denn der Mensch hat seine Kompetenzen überzogen und den allmächtigen Zeus herausgefordert. Da sind wir wieder bei Äischylos.

Obwohl Juhyeon Kim als leiderfahrener Prometheus die Menschen und Vögel mit tiefer Sorge an sein eigenes Schicksal erinnert, um sie von ihrem Größenwahn abzubringen und sie vor Zeus gnadenloser Wut als höchste Instanz auffordert, die Mauer ihres kleinen Staates abzureißen und sich wieder zu bescheiden, gibt der machtbessene Mensch Ratefreund nicht auf und fordert Donner und Blitz und Zerstörung des Wolkenkuckuksheimes blindwütig geradezu heraus.

Dem folgt ist ein infernalisches, grandioses Toben und Wüten, die gleißenden Blitze zucken, die Donner zerschmettern Schutzhütten und Mauer, die Vögel flüchten in die letzten Unterschlüpfe, die Menschen verbergen sich wie einst die Ägypter vor dem Zorn Gottes. Die Vögel kehren zu sich selbst zurück und erkennen die Unerreichbarkeit der Schöpfung an. Das Orchester leistet ganze Arbeit!

Und die Menschen, die sich jäh zurückkatapultiert von den wütenden Wogen des Zorns und des rasenden Orchesters in ihrer irdischen Behausung wiederfinden? Haben Sie ihre Lehre gezogen aus dem selbst verschuldeten Desaster oder bleiben sie gänzlich unberührt, nur den eigenen Interessen iweiterhin verhaftet? Für den unruhigen, unzufriedenen Ratefreund mag das zutreffen, dieweil Hoffegut durch die Freundin des himmlischen Gesangs die Schöpfung in ihrer Schönheit erahnen durfte und die Welt nun wohl mit neuen Augen und weitem Herzen sehen wird. A.C.

 

 

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