Rigoletto, B

Giuseppe Verdi (1813-1901)
Meldodramma in drei Akten
Libretto von Franceso Maria Piave
nach Victor Hugos Schauspiel “Le Roi s’amuse”
Uraufführung am 11. März 1851 im Teatro La Venice, Venedig

Deutsche Oper Berlin, 2025 – 38. Vorstellung seit der Premiere am 21.4.2013

Musikalische Leitung: Michele Spotti, Orchester und Chor (Jeremy Bines) der DOB
Inszenierung: Jan Bosse; Dramaturgie: Jörg Königsdorf; Bühne Stéphane Laimé; Kostüme Kathrin Plath, Spielleitung: Eva-Maroia Abelein

mit Andrei Danilov: Herzog von Mantua, Etienne Dupuis: Rigoletto, Hofnarr; Brenda Rae, seine Tochter; Geon Kim: Graf von Monterone; Jared Werlein: Graf von Cetranao; Alexandra Oomens:  Gräfin von Ceprano; Marullo: Kyle Miller; Kieran Carrel: Matteo Borsa; Tobias Kehrer: Sparafucile, Räuber/Mörder; Stephanie Wake-Edards: Maddalena und Giovanna; Stephen Marsh: Gerichtsdiener, Maria Vasilevskaya: Hofdame

Barbarisch schön!

Der hämische, bucklige Narr von einst ist einem stattlichen Mann (Etienne Dupuis) gewichen, der zwar noch im pfauenartigen Glitterkostüm äußerst lächerlich daherkommt, aber schon sehr bald hinter der liebedienerischen Fassade eine kraftvolle, herzensgute Seele durchscheinen lässt, wäre er nicht gar so blind gegen die Intrigen der Höflinge und die Erotomanie des Herzogs. Ein an Stimme und Gestalt kraftvoller Rigoletto, dessen Häme den Adel karikiert und der doch der eigenen Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit tragisch unterliegt. Denn die Höflinge verachten den scheinbar beflissenen, tumben Liebediener des brutalen Herzogs von Mantua, der rüde mit der Dienerschaft und herzlos mit den wahllosen Damenopfern und ihren gehörnten Ehemännern verfährt.
Ganz große Stimmen sind in dieser ebenso kontrastreichen wie effektvollen Aufführung zu Gast an der Deutschen Oper, die nicht mit allen Inszenierungen dieses Glück hat, aber wohlweislich den großartigen Regisseur Jan Bosse engagiert hat, der die Charaktere dieser Oper im Sinne Verdis formt, sicher näher am Herzen des Komponisten orientiert als am Zeitgeist, der für Rigoletto die Schwarzweißzeichnung bevorzugte – nicht grundlos, denn vor 200  Jahren und noch länger herrschten nicht nur an den italienischen Adelshöfen Willkür, Verschwendungs- und Vergnügungssucht auf Kosten der Untertanen. Ein Fest wird anschaulich mit allerlei goldenen Konfettischlangen und gleißendem Licht bis ins Publikum hinein zelebriert. Verdi war immer politischer und sozialer als man ihm anhören könnte. Dennoch, seine Orchestrierung, die Führung der Instrumente, die begleitende Sicherheit und Intensität verzaubern eine Aufführung von einmaliger Schönheit und Ausdrucksstärke.

Rigoletto also, der noch eben den Grafen von Ceprano höhnt, dessen junge Frau der Herzog vor aller Augen gewaltsam in sein Gemach hat zerren lassen, wird dafür nicht nur durch den Fluch des Grafen bitterlich büßen. Denn die Höflinge, in der gefährlich irrigen Annahme, die in Rigolettos Mansarde versteckte Frau sei dessen heimliche Geliebte, werden ihn betäuben und zum Raub der eigenen Tochter verführen. Mit verbundenen Augen wird er Gilda aus dem engen Gefängnis ihrer Weltfremdheit und Einsamkeit in das herzogliche Bett  entführen…

Dass diese elfenhafte, in einem dunklen Verlies gehaltene und bewachte Tochter (Brenda Rae) längst dem väterlichen Herzen entfremdet und auf einem – erlaubten Kirchgang – sich in erster Liebe gleich Hals-über-Kopf in den fremden schönen jungen Mann verliebt hat, kann der arme Narr nicht ahnen, wähnt er doch Gildas Unschuld bei Giovanna bestens behütet. Dass diese  – hier in einer passenden Doppelrolle – später als rigide und berechnende Schwester des von Rigoletto gedungenen Mörders ganz anderes im Schilde führt, als ein junges Mädchen vor seinem Schicksal zu bewahren, ist die explodierende Tragik und die doppelte Wahrheit von bösen Intrigen in diesem widersprüchlichen Spiel um Liebe und Ehre. Ein Kontrast zu dem engelhaften Wesen, das mit seinen Liebesarien die Himmelsleiter erklimmt,  seine Stimme so zärtlich behutsam wie seelenvoll variieren kann, dass die Töne sphärenhaft verklingen. Dass der Herzog erstmals auch sein Herz verliert, gibt Andrei Danilov mit leidenschaftlich-trauernder Selbsterkenntnis preis. Hier erfolgt der Schnitt zwischen denkbarer Romanze und der diabolischen Rolle des Schickals. Denn irgendetwas ist an den herzoglichen Arien, der besessen nach Liebe sucht, höchst volkstümlich und schlicht – denn was könnte seine schnell zum Gassenhauer mutierte große Anklage weiblicher Treulosigkeit anders bedeuten, als dass er Gilda fast ernsthaft hätte lieben können – wäre sie ihm nicht von väterlicher Wut entzogen worden. Und ob ihr Verlust sie für ihn eventuell nicht erst recht begehrenswert gemacht hat, bleibt dahingestellt. Ein einsamer rastoiser, unglücklicher Verführer.

Seelisch verwundet also sind beide, Liebhaber und verratener Vater, und als Antagonisten bühnenfüllend und – unbelehrbar. Die Kulisse ist wie ein Spiegelbild des Zuschauersaals aufgebaut mit einfachen Stuhlreihen, auf denen die Gesellschaft in recht unterschiedlichen Kostümen, ebenso glitzernd wie abwechselnd schlicht, Zeitlosigkeit spiegelnd, der Obrigkeit willfährig dienend,  die Hilflosen und Verzweifelten noch tiefer ins  Elend stürzend, höhnisch und mitleidlos.
Eine Inszenierung also, in der nichts Überflüssiges vom Zauber der Musik ablenkt oder der szenischen Entwicklung die Spannung raubt. Eigentlich sind in dieser Welt der Dichter und Komponisten alle behindert – in ihrer Würde, ihrer Wahrnehmung der Wirklichkeit, ihrer Menschlichkeit und Wärme, die sie selbst wohl nie erfahren haben, die sich aber alle sehnsüchtig wünschen und ihre Hilflosigkeit mit Wut und Hass kaschieren.
Die Liebe Gildas, die Verführerin Maddalena/Giovanna und der wankelmütige Mörder Sparafucile, (Tobias Kehrer mit profunder Tiefe!) werden den Herzog vor der Vergeltung Rigolettos bewahren und diesen somit in unsägliches Leid stürzen. Für alles aber bietet die Musik eine Variation: auf die Liebe voller Zärtlichkeit, auf Betrug und Verlust mit größter Wehmut und Trauer und auf den Tod als endgültige Erkenntnis der Vergeblichkeit von Rache und Vergeltung. Allerdings ist es fraglich, ob Rigoletto sich wirklich von dem Fluch (“La Maledizione”) mit der Einsicht der eigenen Schuldhaftigkeit befreien kann. Wäre die Musik nicht so himmlisch schön, man könnte ob dieser diabolischen Verstrickung der Menschen endlos trauern. Aber in der Oper bricht ja immer zu schnell der brausende Beifall aus für eine subtile Regie-  und Stimmenführung und eines in allen Facetten glänzend gestimmten Orchesters. A.C.

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