The Turn of the Screw, OL

Musik von Benjamin Britten (1913-1976)
Text von Myfanwy Piper nach der gleichnamigen Erzählung vonn Henry James;
Uraufführung 1954 Teatro la Fenice, Venedig
Staatstheater Oldenburg, Premiere März 2025
Oldenburgisches Staatsorchester unter der Leitung von Hendrik Vestmann, Regie Georg Heckel, Dramaturgie Anna Neudert, Ausstattung Okara Perter, Timo Dentler, Licht Carsten Lenauer, Studienleitung Paul Plummer, Einstudierung Miles: Sigmund Bothmann

Flora: Neimar Fischer, Mrs.Grose: Monika Walerowicz, Miss Jessel: Andréana Kraschewski, Gouvernante: Melanie Biosvert, Prolog/Quint: Johannes Leander Maas, Miles: Elias Nickel (Knabenchor Gütersloh), Miles Soul (Knabenchor Gütersloh),Flora: Neiman Fischer, Gütersloh
Statisterie des Oldenburgischen Staatstheaters

Malo,Malo,Malo – nur ein Kinderlied?

Mit einer Musik, die zwischen zärtlicher Melancholie und dissonaler, unheimlicher Untermalung diese knisternde Aufführung spannungsgeladen begleitet und den Sängern in ihren äußerst anspruchsvollen Rollen, Monologen, Dialogen, Quintetts exakten Beistand leistet, haben Intendant Georg Heckel als Regisseur und seine Protagonisten das Publikum mit dieser subtilen Psycho-und Geisternovelle von Henry James in ihren Bann geschlagen. Ein schon unwirliches Raumgebilde mit wechselndem  Lichtspiel auf der mit leeren Rahmen für Fenster und Türen dekorierten Bühne zeigen das ländliche  Anwesen im Nirgendwo, das in sich heimatlos und einsam wirkt. So ist große Leistung aller Künstler,  in dieser fremdartigen Ödnis die Bühne mit der Intensiität  und Energie ihrer Stimmen die Absurdität  der  Erzählung zum Klingen zu bringen.

Denn aus dem Gleichgewicht ist und sind hier alle Personen: Die langjährige zuweilen verängstigte Haushälterin, die Monika Walerowicz als Mrs. Grose mit einem ausdruckstarken Sopran als sympathischen ruhenden Pol darstellt, der die junge neue Gouvernante zu beruhigen versucht. Denn  diese herzensgut, doch verwirrt nach einem dubiosen Einstellungsgespräch, ahnt, dass ein Geheimnis sie hier erwartet. Melanie Boisvert gleitet sorgenvoll durch alle Höhen und Tiefen ihrer ängstlichen Ungewissheit. Zu fern aller Zivilisation liegt das großherrschaftliche Anwesen in seiner kühlen Atmosphäre mit der distanzierten Haushälterin und den sehr artigen und höflichen Kindern. Sie darf dem Auftraggeber, dem Onkel oder Paten dieser Kinder, der sein eigenes Leben nicht belasten möchte, nichts berichten von dem, was sie hier erleben oder erfahren wird. Was vom Autor psychologisch und dramaturgisch gut aufgebaut ist und nicht nur die arme kleinen Gouvernante in nervöse Spannung versetzt.

Und was ist das? Ein Mädchen und ihr kleinerer Brüder, die sich allerlei kindliche Spiele einfallen lassen, die aber bei Kenntnis der Texte und ihrer Symbole doch recht unheimlich und merkwürdig erscheinen. Der Junge, Elias Nickel, verkündet mit einer engelshaften Unschuldsstimme, doch mit ergreifendem Nachklang in langgezogenem Klagetönen das Lied von Malo, als ein Apfel, der den Menschen die Erkenntnis von Gut und Böse bringt oder heißt das  Wort übersetzt eher „schlecht“? Ist er, der Junge schlecht und klagt sich selber an? Eher hilflos erweisen sich die Erwachsenen in ihrer Aufgabe des Abtastens der kindlichen Psyche, ihrer Eigenarten, ihrer Fremdheit.

Und die reizende, so unerfahrene Gouvernante wird sich bis zur Hysterie steigern, als nach und nach die dunklen Geister der Vergangenheit als Schatten, die nur sie und die Kinder wahrnehmen, aus dem Jenseits erscheinen und versuchen, die Kinder in ihre Gewalt zu bekommen. Da war einst etwas Böses, Unerlaubtes, Gefährliches, das Quint, den früheren Diener des Hausherrn und die einstige Gouvernante Miss Jessel – Andréana Kaschewski als wehender Hippiegeist mit unheimlicher Präsenz – miteinander verband. Und die Kinder auch nach deren beider Tod noch immer in ihrem Bann hält.

Die sensible Nachfolgerin bleibt namenlos, denn sie ist es, die mit ihrem feingesponnenem Nervenkostüm im tiefen Unterbewußsein ahnt, was nicht wahr sein darf, weil es unaussprechlich ist. Doch das Unheimliche, Unerlaubte wabert um sie herum, und, obgleich sie verzweifelt versucht, die Kinder von ihrem Trauma zu heilen und sie an sich zu binden, liebevoll und hingebungsvoll, ist die doch außerstande, die lebendig gebliebenen Verletzungen zu löschen.

Johannes Leander Maas ist ein geheimnisvoll dunkler und gefährlicher Verführer, klangschön und anschmiegsam lockend, während die Damen allesamt in ihren großartigen Höhen-Gratwanderungen etwas hysterisch daherkommen, was kein Wunder ist, denn auch die noch so gut gemeinten Bemühungen, die Kinder vor dem Geistern der Vergangenheit zu lösen, sind zum Scheitern verurteilt. Dunkle Streicher beruhigen die dramatischen Szenen, Flöte und Klarinette umhüllen die liebevolle Bemühungen, die Harfe läßt mit Quint bereits im Prolog die verschiedenen Saiten der menschlichen Seele anklingen. Streicher und Bläser verdunkeln die gefährliche Ader der Verführungsmacht. Pauken, Horn und auch die Glocken durchdringen die echten und wahnhaften Vorstellungen der Heimlichkeiten. Klavier spielt der kleine Miles wie wohl einst Benjamin Britten (1976 geadelt) selbst, der vielseitig talentiert ein sehr großes Werk an Opern und Konzerten, Oratorien und Orchesterliteratur schuf, und auch als Festivalgründer wie gesellschaftspolitisch ins Rampenlicht trat, hier allerdings auch wohl bewacht vom britischen Geheimdienst.

Britten verzichtet auf das übliche Opernorchester und wählt lediglich eine solistisch besetzte Streichergruppe, dazu die Holzbläser, Horn, üppig besetztes Schlagwerk, Harfe, Klavier und Celesta. Die Anforderungen an jeden einzelnen Solisten sind hoch, was die Mitglieder des Staatsorchester nicht daran hinderte, ganz großartig aufzuspielen. Dirigent Hendrik Vestmann konnte aber durchaus auch  einen erstaunlich großen Orchesterklang darstellen. Im Vorspiel zu 2. Akt hatten nahezu alle Instrumentalsolisten die Gelegenheit, sich auch solistisch zu präsentieren, das Klavier zudem noch in einer nach ihm benannten Episode der Oper..

Diese Bühnenatmosphäre in einer atemlosen Spannung aufrechtzuerhalten, ist hier das große Geheimnis nicht nur des Komponisten, sondern natürlich auch der Novelle, die in Zeiten spielte, als Gruselgeschichten ein beliebtes Gesellschaftsspiel waren. Versteckte Sexualität namentlich und in ihrer vielseitigen Ausrichtung standen im Verborgenen, absolut außerhalb jeder Diskussion und Wahrnehmung, aber als frühe freudianische Färbung bewußt einbezogen. Und so bleibt hinter aller unterschwelligen wie angedeuteten erotischen Ausstrahlung das Geheimnis im Hintergrund so vage wie die Schatten, die über die grauen Stellwände huschen.

Hat Quint seine übermütigen Spiele mit dem Jungen einst auf eine nicht erlaubte Weise ausgedehnt, hat der Junge im Internat ähnliche Spiele in aller Unschuld mit seinen Mitschülern “gespielt”, hat Flora , als seine Schwester, Neima Fischer mit jugendlicher Anmut, den Bruder in Schutz genommen und seine Unschuld vor Gewissensbissen zu bewahrt? Verdrängt die resolute Haushälterin, was nicht wahr sein kann, ahnt die Gouvernante, die selbst in ihrer Verliebtheit zu ihrem Auftraggeber heiße Aufwallungen verspürt und sich die Kleider beinahe vom Leibe reißen möchte, was hier im Untergrund des Nicht-Sagen-Dürfens auch in ihr brodelt?

Vielleicht hätten die Musiker auch einmal von der Bühne aus den auch ihnen geltenden herzlichen Schlussapplaus entgegennehmen können, denn sie haben eine wahre Glanzleistundg geboten.
Platz gernug gab es. Es sind ja nur 15 ! RA

Das englische Strafgesetz gegen Homosexualität änderte sich erst Mitte der 50er Jahre, und das Antidiskriminierungsgesetz trat erst 2003 in Kraft. AC

 

 

 

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