The Silence, B

The Silence – zum Schweigen gebracht
von Falk Richter, Autor und Theatermacher an der Schaubühne;
In diesem Autofiktiven Stück beschreibt Richter mit Einspielung von Videos, u.a.Interview mit seiner Mutter, die eigene Familiengeschichte. Richter führt auch Regie
Schaubühne am Lehniner Platz, Premiere 2023/2025

Darsteller: Dimitrij Schaad

Sohn und Mutter – Mutter und Sohn 

Das Bühnenbild zeigt eine kleine Schneelandschaft inmitten der Lüneburger Heide, denn in Buchholz ist Falk Richter als Kind und junger Heranwachsender zuhause. Hier leben seine Eltern und seine Schwester, auf Videobildern festgehalten, in einem gutbürgerlichen Eigenheim, in gepflegter Umgebung und sorgfältig beschnittenen Büschen und Pflanzen im eigenen Garten. Der Ort ist beschaulich und übersichtlich, jeder kennt jeden, und für junge Teens geradezu ein Albtraum. Idylle ist das Allerletzte, was der junge Falk wünscht, er will gehört, gesehen, akzeptiert werden in seinem Sosein und vor allem in seinem Anderssein. Die Eltern haben mit ihrer Vergangenheit seit langem abgeschlossen und sind nicht in der Lage, ihr Leben, ihre Verantwortung, ihre Einstellung zu den immerwährenden bohrenden  Fragen ihres Sohnes nach ihrer Lebensgeschichte Antwort zu geben. Das treibt ihn um bis er, längst erfolgreich und angesehen in seinem Theatermetier, eine autofiiktives Stück schreibt und einen großartigen Darsteller für sich selbst findet: Dimitrij Schaad.

Dieser eröffent den Abend, mal wieder vor einem vollen Haus, mit einigen Späßen und leichtem smal talk wohl zur Einstimmung für sich selbst und das nicht einfach zu verdauende Thema. Vorab: er spielt fantastisch, versteht es, die emotionalen Höhen und Tiefen im Leben des ruhelosen Forschers nach sich selbt und seinen Wurzeln nachzuempfinden und dem Publikum nahezubringfen. Es ist natürlich eine Selbstreflektion, wenig nett gesagt, eine Nabel- und Befindlichkeisanalyse. Das könnte ein jeder der Zuschauer auch für sein Leben beanspruchen. Nur, es ist eben ein Theaterautor, eine sensible Künstlernatur, die sich selbst und ihre Vorfahren ergründen möchte und damit aber auch zugleich allen  Zweiflern, Lebensstrategen etwas auf ihrer Suche mit auf den Weg gebt: Rüttelt nicht an den Festgungen der älteren Generationen; sie haben und mußten für ihr Leben, ihre existezielle Behauptung mit und nach zwei Weltkriegen festigen und absichern, damit sie weiterleben und eine Familie gründen, neue Berufe ausüben konnten – alles nach altem Schema, gewiss. Keine Experimente, sondern in gestandener (preußischer?) Tradition. Sie haben ihre eigene Resilienz aufgebaut, die ihre ganze Daseinsbewältigung ins Wanken bringen würde, könnten und wollten sie ihr Leben, so wie es nicht nur ein Sohn, sondern sicher vierle Kinder versuchen, aufzuwirbeln, zu hinterfragen und damit hilflose Zweifel hinter ihr gesamtes langes, mühsam bewältigtes Leben setzen.

Und so nimmt es nicht Wunder, dass ein mehrheitlich verunsichertes Publikum mit dieser nach vielen Sitzungen bewußt erarbeiteten Schlußanalyse der involvierten Therapeutin (auch hier mit einem Fünkchen Humor mit obligatorischem Kaffeebecher und ebenso lebenserfahren), diese ihren Klienten damit vielleicht nicht zufriedenstellt, aber sicher einsichtvoll wieder in sein Leben zurückschickt, für das er nun selbst Widerstandskraft aufbauen muß.

Eindrucksvoll sind viele Szenen in dieser Retrospektive, aber äußerst wichtig scheint das Gespräch des erwachsenen Mannes Falk mit seiner Muter zu sein. Eine Videoaufnahme zeigt eine gepflegte ältere Dame mit ihrem Sohn am Tisch im bürgerllichen Wohnzimmer in nachdenklichem Frage- und Antwortspiel. Frau Falk erinnert sich an das beschwerliche Leben der Großeltern, an den Vater, der verstört aus dem Krieg zurückkehrt und kaum ins Leben zurückfand, die Mutter, die sich mühte, Kinder und Existenz irgendwie zu meistern, dann an Falks eigenen Vater und ihre eigene Jugend und Ehe,  mit sorgfältig gewählten Worten, freundlich, ernst, ihrem Sohn zugewandt, doch auch sehr sicher in ihrer Darstellung und der Akzeptanz für die Unausweichlichjkeit ihrer aller Schicksale. Differierende Erinnerungen sind, wie man das allenthalben kennt, natürlich vorhanden; der Sohn erinnert sich an Situationen, die für ihn sehr diffamierend waren, die Mutter hat diese nie derartig wahrgenommen oder ausgeblendet. Auch ihrer vom eigenen Vater wohl abgeschaute und für Falk mit jugendlichem Aufbegehren kaum zu ertragende Kontrollsucht entzieht sie sich mit rationalen Argumenten.  Es ist nur allzu deutlich, dass zwei sehr verschiedene Ansichten und Erinnerungen einander gegenüberstehen, so wie es bei den meisten Erinnerungen zwischen den Generationen der Fall ist, aber auch unter Geschwistern, die sich zumeist sehr unterschiedlich an ihre gemeinsame Kindheit erinnern.

Das eigentliche Drama aber ist ein sehr persönliches wie grundsätzliches gesellschaftliches Problem, das Dimitrij Schaad ebenso humorvoll wie bewegend, der sensiblen Persönlichkeit des Mannes, den er hier verkörpert, zu beschreiben versucht: die noch in den 60er Jahren in kleinbürgerlichen und prüden Verhältnissen oftmals mit Gewalt und Ausgrenzung bekämpfte Homosexualität.  Das Unverständnis, das noch sehr lange Zeit in unserer Gesellschaft die Situation der Betroffenen begleitete, zwar in Literatur, auf der Bühne, im Gespräch weithin erkannt und verändert worden war, bestand noch lange in den Köpfen der Altvorderen und widersetzte sich nur mühsam der Einsicht, dass Schläge und Diffamierung nichts gegen eine andere biologische Veranlagung ausrichten würden.

A.C.

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