Vanya, B

von Simon Stephens nach Anton Tschechows “Onkel Wanja”
deutsche Fassung Barbara Christ
Komödie am Kurfürstendamm 
im Berliner Ensemble, P am 03.08.2025
mit Oliver Mommsen
Regie: Felix Bachmann, Assistenz Robert Perin, Bühne: Kaspar Zwimpfer, Kostüm: Martin Müller, Musik: Dominik Dittrich

Alle Facetten der Schauspielkunst

Das Sommerhighlight der Berliner Theaterszene ist Oliver Mommsen, der das von dem englischen Autor Simon Stephens verfasste Einpersonenstück “Vanya” am Berliner Ensemble einen ganzen Montag lang spielt. Zu Gast im BE ist die Komödie am Kurfürstendamm, deren Team auch für diese Inszenierung verantwortlich zeichnet. Tschechow hat das psychologisch-soziologisch durchdachte Drama als Komödie bezeichnet. Das ist in dieser Fassung, wenn es einen Lacher gibt, allerhöchstens dem Schauspieler in seiner zuweilen verschmitzten Ausstrahlung  zu verdanken, die in allen Facetten der Schauspielkunst glänzt.

Der aus Film und Fernsehen bekannte und geschätzte Mommsen ist diesmal ein Allroundman im Turbogang; spricht und verkörpert mit Leib und Seele,  mit faszinierender Mimik, alle Persönlichkeiten in ihren Monolog, Dialog und Tischrundendiskussion, turnt und stolpert, betrunken und heiter von Situation zu Situation, verzweifelt an der Ausweglosigkeit der selbst verursachten Misere seiner ihm sicher mittlerweile ans Herz gewachsenen Protagonisten, die. wie man von Tschechow und anderen russischen Schriftstellern leider nur allzu gut weiß, am ihrem Leben, das sie nicht bewältigen können, erbarmungswürdig scheitern.

Es sind wohl  Rollen, die aus dem Russischen in unsere moderne Welt übertragen werden: Aus dem alten kranken Gutsbeisitzer wird kurz Alexander , den Oliver Mommsen zwar gnädig in seiner Grantigkeit und egozentrischen Verbohrtheit, jedoch aus bewusst in seiner eitlen Engstirnigkeit entlarvt. Aus dem russischen Wissenschaftler wird ein vergessener Filmregisseur mit totaler Selbstüberschätzung. Helena, seine Gattin in zweiter Ehe, jung und ebenso schön, ist trotz ihrer Zurückhaltung  Ursache für die großen Gemütsaufwallungen von Vanya, dem Gutsverwalter und Michael, den ärztlichen Freund des Hauses. Für Sonja, Alexanders Tochter, die rechte Hand und eigentliche Erbin auf dem Gut, gibt es wohl keinen Ausweg mehr aus ihrer zu frühen altjüngferlichen Lage. Der geliebte Arzt sieht und beachtet sie kaum, und in ihrer sanften Zurückhaltung, die in der mimischen wie körperlichen Sprache des Schauspielers unser Mitleid weckt, wird deutlich, dass auch ihr der Mut zur eigenständigen Entfaltung fehlt.

Die schöne Helena wird in ihrer schlichten Gemütsart, ihrer gelangweilten Interesselosigkeit und allgemein russischer Landlethargie einfühlsam transparent. Und doch besitzt auch die ein Talent, das auszuformen ihr von ihrem strengen Ehemann verwehrt wurde, und das durch fernes wunderschönes Klavierspiel Deutung verleiht. Vorbei. Dass sie sich des Arztes Avancen nur mit Schwermut und letzter Kraft ihrer Ehepflicht fast bis zuletzt verweigert, wird mit Hilfe eines nervös benutzten Fächerns sehr lebhaft deutlich. Natürlich bleibt Michael, ein attraktiver Mann noch in besten Jahren  nicht ungeschoren. Und Mommsen, dem man ebensolche Attribute durchaus attestieren kann, macht ihn  durch sein Engagement für die Aufforstung seines Waldes und der behutsamen Pflege von Wild und allerlei seltenen Tierarten modern. Dass ihn  Land und Leute mit den Jahren in ihrer Eintönigkeit und Phantasielosigkeit anöden und die Politik, von wem auch immer, sein naturbewahrendes Engagement zerstört, treibt ihn leider nicht auf die Barrikaden, sondern ebenfalls in die Resignation. Haben wir Liam, den verarmten Nachbarn und Zechgenossen von Michael und  Vanya vergessen, der sich mehr  unter dem Tisch als anderswo im Raum aufhält oder Marina, die liebevoll besorgte und immer verständnisvolle Haushälterin oder gar Elisabeth , die greise und verwirrte Mutter von Iva-Vany und die überhaupt kein Verständnis mehr für die Nöte ihres Sohnes oder die Enkeltochter Sonja aufbringen kann.

Oliver Mommsen gibt allen ihre Individualität, formt ihre Persönlichkeit aus wenigen Worten und Gesprächen, durchleuchtet ihr Schicksal mit Charme und Empathie, ohne zu urteilen. Keiner ist lächerlich, alle hinderte eine eigentümliche Entschlussfähigkeit und innere Migration daran, ein neues Leben zu wagen, das Vanya in jahrzehntelanger Selbstaufopferung für den von ihm blind verehrten Schwager Alexander, (der in erster Ehe mit Vanyas Schwester, Sonjas Mutter, verheiratet war) vergeudete. In einem verzweifelten großen Aufbegehren brechen alle Enttäuschung, alle Wut, alle Sehnsucht und verlorene Lebensfreude aus ihm heraus, als der Schwager der Familie einen ungeheuren Vorschlag unterbreitet, dessen Ausführung ihm weiterhin ein nobles Leben bescheren, alle anderen aber brot- und heimatlos machen würde. Da endlich, viel zu spät, wehrt sich der ohne Visionen zurückgelassene Vanya gegen ein Leben, das er nicht gewollt hat und das ihm seine Fähigkeiten, seinen Geist, seinen Besitz und sein Seele genommen hat.

Für Oliver Mommsen, der sich keine Pause gönnt, sondern seine Protagonisten vorantreibt, und dies auch sogar mit einer Dynamik, die der dramatischen Gesetzmäßigkeit einer sich steigernden Spannung gezollt ist.

Natürlich – riesige Ovationen für den beliebten Schauspieler, dessen Freunde und Verehrer ihn an allen Abenden feiern werden. A.C.

 

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