Der Sturm,OL
Schauspiel von William Shakespeare (1564-1616),
Letzes und poetischstes Werk
Deutsch von Jens Roselt
Oldenburgisches Staatstheater,09. 2025
Regie. Ebru Tartici Borchers, Dramaturgie: Reinar Ortmann, Bühne und Jostüme: Sam Beklik, Musik Dani Catalá, Choreografie: Azahara Sanz Jara, Licht: Philipp Sonnhoff
mit: Andreas Spaniol: Prospero, Tamara Theisen: Miranda,seine Tochter; Matthias Kleinert: Alonso, König von Neapel; Darios Vaysi: Ferdinand sein Sohn; Konstantin Gries: Antonio, Prosperos Bruder, Sebastiano, Alfonsos Bruder/ Trincolo: Esther Berke Carolina Nagel als Caliban, Katharina Shakina als Ariel
“Der Stoff aus dem die Träume sind” – Zwischen Illusion und Wirklichkeit
Die Regisseurin überrascht mit einem eigenen Team, das William Shakespeares “Sturm” mit phantastischen Kostümen und bizarren Perücken in eine verwirrende wie betörende Farbpalette taucht und die Bühne durch schnelle Lichteffekte in wechselnde Bilder verwandelt – nach Bedarf zeigt sich der Hintergrund als wütendes Meer, das die königlichen Seefahrer verstreut auf diese ferne fremde Insel wirft oder als stummes Bergmassiv, auf dessen rauen Pfaden die Schiffbrüchigen ihren Weg suchen, irregeführt von seltsamen Klängen eines gewitzten Luftgeistes und eines hinterhältigen Kobolds, der sich als versklavter Erdgeist entsprechend derb verhält, einem Golum nicht unähnlich. Warum, erfahren wir ziemlich bald. Eindringliche Rhythmen begleiten als musikalische Intensivierung und als Ausdehnung der magischen Szenen die sich fortentwickelnde Handlung, selten melodisch harmonisch, weil sich außerhalb der Liebenden und des vertröstenden Finale das verworrene Spiel ja eigentlich um Macht, Rache und Vergebung in ziemlich rauer Gegend und aufgeladener Atmosphäre abspielt.
Stürmisch also und voller Übermut stürzen sich alle Darsteller an diesem Premierenabend in ein energiegeladenes Spiel voller Absurditäten, wirr umeinander herumtanzend, als erdachte und wirkliche Geister der Vergangenheit. Auf der Insel, die den von seinem Bruder Antonio verbannten König von Mailand, Prospero, mit seiner dreijährigen Tochter einst als Neuankömmlinge und schon bald als Eroberer aufnahm, spielt sich ein volles Menschen- und Seelendrama ab. Denn der Fürst, vielleicht nicht ohne Grund vertrieben, galt doch sein ganzes Interesse vornehmlich der Wissenschaft mystischen Naturerscheinungen und der Magie und weniger der Staatsführung. Wenngleich auch jedwede Intrige schändlich ist und ihn diese Schmach alle Jahre hinweg verfolgte. Er machte sich dank seiner Kenntnisse die beiden Geister der Insel, den Nachfahren archaischer Ureinwohner, den auf Rache lauernden Erdgeist Caliban und den Intelligenten Luftgeist Ariel als Sklaven untertan, dabei ließ er seine Tochter bis zum heutigen Tage in Unwissenheit ob ihrer Herkunft und ihres gemeinsamen Schicksals.
Da haben wir auch schon die Hauptagitatoren: Andreas Spaniol gibt einen nachdenklichen, aber in seiner Wut auch unbeherrschten und vorerst noch auf gnadenlose Rache sinnenden Prospero, der seine Tochter zwar innigst liebt, aber ihr doch schon in Gedanken in seinem Racheplan eine Rolle zudenkt, eine Liebesfalle, in die Tamara Theisen als lebenslustige und liebreizende Tochter natürlich mangels Menschenkenntnis – auf der Insel gibt es ja nur sie und ihren Vater- brav hineintappen wird. Und auch als Sklavenhalter ist er ziemlich rigoros, verspricht dem wie ein prachtvoller Schmetterling umher schwirrenden Ariel – von Katharina Sakina so gewitzt wie beharrlich auf seine Recht pochend gespielt – nun endgültig die Freiheit bis auf…Ja, eine letzte schwierige Aufgabe. Er soll das herannahende königliche Schiff in Seenot bringen und die Menschen auf dieser Insel verstreut landen lassen. Und unversehrt. Ein Fünkchen Menschlichkeit zeigt auch diese Überlegung des zum verhärteten Einsiedler gewordenen klugen Mannes.
Es landen also nacheinander die Protagonisten dieses Versteck- und Offenbarungsspiel orientierungslos auf Prosperos vereinnahmter Insel, wobei der junge Sohn des Königs von Neapel, allein und abseits der anderen gestrandet, auf Weisung von Luftgeist Ariel zufällig auf das herumwandernde Mädchen trifft, und Tamara wie auch Ferdinand entbrennen sofort für einander, wobei Darios Vaysi sich in seiner fröhlichen Unbekümmertheit Tamara durchaus anzupassen versteht. Das also ist schon mal erledigt, und Prospero lässt jetzt nach und nach die gehasste Clique irrlichternd, hungernd und durstend, langsam aber sicher von dem unsichtbaren Ariel zu seiner Hütte führen. Wobei jetzt neben dem jammernden neapolitanischen König und Gefolge der alte Freund Gonzalo einen schönen Monolog halten darf, wie ideal er sich als Herrscher verhalten würde – ohne alle Vorschriften und Einschränkungen, ein jeder solle nach seiner Fasson leben – ernährt durch die Natur und geführt von einem weisen Kopf. Nicht grundlos also – ist er eben ein Prospero gleichgesinnter Fantast.
Nun gibt es daneben in der gestrandeten Crew auch noch zwei Trunkenbolde und Dummköpfe, denen sich der schlaue Caliban nähert, um mit ihrer Hilfe Rache an dem verhassten Prospero zu üben. Caroline Nagel gibt dieser armen Kreatur hinreißend alle charakterlichen Facetten, die durch Tradition, Gene, Schicksal, Erniedrigung und mangelnde Bildung solch einen unbedarften Typus in den von der westlichen weißen Welt eroberten Länder oft kennzeichneten. Und so naiv auch berät er die beiden Saufkumpanen, wie sie Prospero töten und sich selbst zu Herrschern machen könnten. Nur, alles läuft dumm, weil Ariel überall zugegen ist und sogleich das ganze Spiel vereiteln wird. Dass der Inselfürst die Matrosen der königlichen Gäste mit Strafe verschon, ist schon ganz fürstlich nett. Auch der Erdgeist wird trotz seiner Intrigen und Schmeicheleien, in seiner erbarmungswürdigen Unterwürfigkeit geschont. Wie auch die ganze königliche Sippe mit versöhnlicher Umarmung davonkommt, und Ariel tatsächlich endlich frei sein wird..
Und wie geht es weiter? Die letzte Szene erinnert zunächst an ein folkloristisches Hochzeitsfest. Aber dann versinkt Prospero in Nachdenklichkeit. Er weiß, dass er sich nun ohne Mystik und Magie behaupten muss. Der Stoff, aus denen seine Träume bestanden, ist dünner als Spinngewebe. Wie wird die Treue seiner königlichen Freude und Verwandten aussehen, werden Tochter und Schwiegersohn den Thron Neapels erben und er selbst heil in die Heimat zurückkehren? Was kann er ohne Magie nun wirklich bewirken und bewältigen? Dunkelheit herrscht jäh auf der Bühne, und die tanzenden Figuren gleichen nun Schatten, Schemen einer zweifelhaften Zukunft.
Alle Facetten dieser schwierigen fantastischen Vision einer Der Natur zugewandten Wirklichkeit können wohl kaum gänzlich transparent gemacht werden. Doch alle moralisch – ethischen Anspielungen und Ansprüche auf eine Staatsführung, die mit der idealistischen Vorstellung einer humanistischen Menschenführung agieren könnte, zeigen eine Alternative auf – vor 400 Jahren, in der königlicher (und religiöser) Absolutismus mit Kriegen und Machtintrigen ganz Europa beherrschten, die uns heute überraschend gegenwärtig erscheint.. A.C.