Madama Butterfly, HB

Oper in drei Akten von Giacomo Puccini
Uraufführung 17,2.1904, Teatro alla Scala, Mailand
Text von Luigi Illica und Guiseppe Giacosa, nach der gleichnamigen Tragödie von David Belasco, unter der Vorlage der japanischen Novelle von John Luther Long.

Theater am Goetheplatz, Bremen, 14.9.2025

Musikalische Leitung: Sasha Yankevych, Regie: Ulrike Schwab, Dramaturgie: Frederike Krüger, Caroline Scheidegger, Bühne: Rebekka Dornhege Reyes; Kostüme Martha Lange, Lena Schmid;, Licht: Norman Plathe-Narr; Chor: Karl Bernewitz mit dem Opernchor des Theater Bremen. Es spielen die Bremer Philharmoniker.

Mit: Angela Shin als Cio-Cio San I; Sarah-Jane Brandon als Cio-Cio San II; Brigitte Hahn als Cio-Cio-San III; Nathalie Mittelbach als Suzuki, Butterflys Dienerin ; Oliver Sewel / Ian Spinetti als F.B.Pinkerton; Michal Partyka als Sharpless, am. Konsul in Nagasaki; Fabian Düberg als Heiratsvermittler; Arvid Fagerfjäll/Sumwoong Park als Fürst Yamadori; Jasmin Rammal-Rykala als Onkel Bonze ; Paul J.Ham als Yakusidé;  Daniel Ratchev als Kaiserlicher Kommissar; Yosuke Kodama als Standesbeamte; Krassena Velkova als Mutter Cio-Cio-Sans; Andrezza Reis als Base, Zlatina Genova.-Wol fals Tante, Imogen Weidinger/Anna-Lena Kramer als Kate Pinkerton, Leon Mache/Rika Hirose/Toma Foppe als Dolce

 Das Leben leben- dem Leid trotzen

Es ist des Leidens beinahe zu viel. So schmerzvoll, verzweifelt, stets zwischen Wahn und Hoffnung schwebend, durch ihre Tradition an eine Scheinrealität gefesselt, hilf- und haltlos ihren Emotionen ausgesetzt, ergibt sich diese Chio- Chio San in allen drei Facetten ihrem vernichtenden Schicksal.

Wer aber trägt die Schuld, die Verantwortung? Das Leben war so, nämlich zu Zeiten als die Amerikaner sich ein vergnügliches Leben in einem für sie exotischen Land erlaubten, dessen fernöstliche Reize sie betörten und denen sie unkritisch erlagen. Und die japanische Moral- und Ethikvorstellungen der niedrigen Situation einer Geisha erleichterte es den Männern, sich eine Scheinheirat zum Vergnügen zu erlauben. Aber es sind immer Zeiten, in denen Verantwortungslosigkeit, Verlassenheit, Verrat einer großen Liebe im Mittelpunkt des Lebens stehen können. Das hat die Regisseurin mit der Aufteilung der 15jährigen, der 40jährigen und der reifen Frau als Butterfly mit drei Persönlichkeiten auf zwei Ebenen verlagert und auch die Un- Möglichkeiten eines anderen weiblichen Selbstbewusstseins angedeutet.

Sie alle erleiden zunächst das gleiche Schicksal: von einem Mann fremder Nation und Tradition geheiratet, benutzt und verlassen worden zu sein – in ihrer Erinnerung, die zur Gegenwart auf der Bühne wird; in den engen Zimmerkäfigen, die ihre Unfreiheit hervorheben, in ihren wehmütigen Klagen und schließlich in der Konsequenz ihrer Entscheidung, die eine Entwürdigung und Ehrlosigkeit zu ächten befiehlt.  Auf der Bühne des Bremer Theaters am Goetheplatz entfaltet sich ein Melodram wie es Puccini gedacht und komponiert hat, in vollster Wucht und Dynamik. Während sich Angela Shim als die junge Chio-Chio San I und die erfahrene Brigitte Hahn als Chio-Chio San III  in ihren Gesangspartien als mitleidende Schicksalsschwestern begleitend zurückhalten, entfaltet die Amerikanerin Sarah-Jane Brandon als Chio- Chio San II die fatale Hingabe einer zutiefst verwundeten Frau an eine aussichtslose Liebe. Ihr zur Seite begreift ihre Dienerin Suzuki mit Nathalie Mittelbach, die der unheilbaren Seelenpein ihrer Herrin und Freundin mit ihrer Liebe berührenden Trost zu geben versucht.

Es ist nur fair, den amerikanischen Offizier Pinkerton hier als durchaus liebenswürdigen, höflichen Menschen zu zeigen, dem sowohl Oliver Sewell (Ian Sinetti in zweiter Besetzung) den durchaus realen Touch einer – typisch amerikanischen – Naivität verleihen, die den Mann vielleicht sogar entschuldigen könnte. Wäre da nicht die unmoralische Leichtigkeit, mit der er seine Verantwortung für die kleine Butterfly abschüttelt, sich  trotz der ernsthaft besorgten Warnungen des hilflosen Konsuls (Michal Partyka, so mitfühlend wie warnend) unbekümmert auf die Heimreise begibt, um nach drei Jahren mit seiner neuen, amerikanischen Frau zurückzukommen, um das Kind, das er mit Chio-Chio San zeugte, als sein „Eigentum“ mitzunehmen. Den Todesstoß, den er der liebenden japanischen Ehefrau damit versetzt, kann er selbst nicht ertragen. Und überlässt diese schreckliche Tat seiner neuen Frau, die das Kind abholen wird. Kaum vorstellbar.

Und ebenso unvorstellbar erscheint die anfängliche Zeremonie, die das Schicksal dieser Menschen bestimmen wird. Gnadenlos verkauft der Heiratsvermittler, Fabian Düberg  – dessen Rigorosität nur noch von  Butterflys eigener Mutter übertroffen wird –  das Mädchen an den Amerikaner, der mit nur wenig Empathie für die japanische Tradition gesegnet ist und die Verwandtschaft froh des Hauses verweist, indem er Türen und Fenster geschlossen hält. So kann ihm überdies sein hübscher Schmetterling nicht entfliehen.

Was der Text an Dynamik, aber zugleich merkwürdigerweise auch an Poesie enthält, ist faszinierend in seiner Unschuld. Die Musik lehrt uns allerdings die Wahrhaftigkeit aller Szenen, die Brutalität der Hochzeit, die wundersame Annäherung und das große Glück der jungen Chio-Chio San als Ehefrau eines attraktiven Fremden, eines Ausländers, eines Landes, das sie ihr Eigenes nennen möchte und sich sogar eine Madonna in ihrem kleinen Jungmädchenzimmer aufrichtet und mit einem strahlenden Kranz schmückt. Sie will Amerikanerin werden und weiß nicht, was für eine furchtbare Explosion sie damit in ihrer, den alten Traditionen erbarmungslos verhafteten Sippe anrichtet. Die sie aus ihrer Gemeinschaft ausschließt und gnadenlos als gefallenes Mädchen brandmarkt, obgleich sie sich doch alle bei der Hochzeitsfeier, noch heimtückisch von fahlen Masken verdeckt, gut vergnügten. Aber doch bedrohlich zugleich der jungen Braut mit allerlei Ermahnungen zu Leibe rückten.

Puccini ist als leidenschaftlicher Romantiker diesem Drama, als er es zum ersten Mal in London erlebte, völlig erlegen. Und sogleich entfaltete sich in ihm diese schwelgende, wuchtige, alle emotionalen Grenzen sprengende Musik, die aber auch mit leisen, zarten schmeichelnden Tönen die wunderbare Verführung der Liebe durch die Luft schwirren lässt.  Das Orchester ist grandios, und es hält die große Stimme der Amerikanerin, die es auf gleichem Sound halten kann, mit derselben Hingabe.

Aber dennoch, eine so große seelische Pein mit zu ertragen, ist auch eine starke Belastung für den Puccini-Freund, denn das Leiden um eine aussichtslose Liebe und ein leer gewordenes Leben wie in jeder dramatisch-tragischen Oper Ausmaße verlangt Distanz. Wie gut, das Chio-Chio-San I die amerikanische Flaggenparade aus ihrem Zimmer wieder entfernt, die Schnüre entspannt, kurz nur überlegt, ob sie sich diese selbst anlegen will, dann aber über die offene Dachluke in eine ungewisse neue Freiheit flüchtet. Ob die stumme alte Chio-Chio-San in ihrem eleganten grauen Kostüm, die in ihrer armseliger kleinen Küche die Blumen ausreißt, mit denen sie das Zimmer zum Empfang des geliebten Ehemannes, der niemals kam, geschmückt hat, dann doch der schmerzlichen Erinnerung trotzen kann, bleibt uns verborgen. Vielleicht erinnert sie sich auch der Pein, den sie einem Verehrer zufügte, der sich ernsthaft um sie in den letzten Jahren des Wartens bemüht hatte…Aber die Intimität bleibt gewahrt – als eine andere Seite fremdartiger Kulturen.

Herzlicher Beifall für eine Aufführung voller Hingabe und eine Inszenierung, die die Erweiterung einer engen existenziellen Perspektive anbietet, indem sie den Weg zu Selbstbestimmung und Befreiung  aus einer realitätsfernen Scheinwirklichkeit und damit aus einer lebensfeindlichen Einsamkeit freigibt.

 

 

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