Der Fall McNeal, B

von Avad Akhtar, aus dem amerikanischen von Daniel Kehlmann
Deutsches Theater Berlin, September 2025

Regie András Dömötör, Dramaturgie Karla Mäder, Bühne Ann-Chrsitine Müller und Julia Plickat, Kostüme Almut Erpinger, Musik Tamás Matkó, Video Zsombor Czegliédi, Licht Matthias Vogel
mit: Ulich Matthes, Julia Gräfner, Anja Schneider, Andri Schenardi, Mercy Dorcas Otieno, Evamaria Salcher, Live-Kamera Veniamin Itskovich/Mathilda Tzitzi

Was ist ein Literaturpreis (noch) wert?

Eigentlich ist dieser Jacob McNeal ein armer Tropf – trotz literarischer Meriten und nun gar auch noch Nobelpreisträger – denn als arroganter, von allen Menschen um ihn herum als sarkastisch und egozentrisch verschriener Alkoholiker kann Ulrich Matthes einfach kein Monster sein. Hier verwirrt die Inszenierung, die sich nicht nach der rigiden Wut des amerikanischen Superautors richtet, sondern seinen Protagonisten inmitten einer theatralisch auf sich bezogenen Umgebung auf die schwere Ausformung eines übersensiblen Schrifttellers und eines schon fast dem Tode geweihten Suchtkranken ansetzt.

Warum nun wird ein derart hoch angesehener und hochdotierter Mann zu solch einem charakterlich und gesundheitlich schwer beschädigten Individuum? Das ist nur schwer erklärlich, denn weder wird dies in dem sehr ausführlichen Programmbeitrag von Karla Mäder noch in der leidenschaftlichen Fürsorge der überaus besorgten und auch energischen Freundin und Ärztin deutlich. Deren realistische Diagnose und Warnung tut McNeal eher trotzig ab, mit Sarkasmus die Schwäche negierend, die seinen Selbstschutz gefährdet.

Und auch die etwas zu forsche Agentin, die ehemals ebenso tuff wie vielleicht auch verliebt in diesen Mann gewesen ist, hat ihre Empathie längst in merkantiles Businessdasein verwandelt und feilscht noch vor Bekanntgabe der Nobelpreis- Ehrung bereits heftig mit seinem Verleger. McNeal, ein menschliches Wrack im Sessel, von hell gleißendem Lichteinfall betäubt, ist ein nur wenig strahlender Held alsLiteraturpreisträger. Eitel zugleich und dann wieder betont nonchalant wehrt er eigene Begierde und Ruhmessucht ab, um dann doch der Agentin Beifall zu zollen, den sie für ihre Unnachgiebigkeit und Verkaufstaktik sicherlich verdient. Aber welch eine Umgebung!

Deutlich wird durch dieses üble Dealen um Geld und Geltung ebenso, dass das Ganze nicht nur das Drama eines Schriftstellers ist, der die Whiskyflasche als ständige Begleitung gewählt hat, sondern auch der Abgrund einer Literaturindustrie, die den Beelzebub in die Szene eingeschmuggelt und damit eine Verführung geboren hat, die dem Diebstahl von Satz und Absatz oder sonstigen Plagiatsmodellen die Krone aufsetzt. KI, künstliche Intelligenz heißt die gefährliche Versuchung, und die Inszenierung zeigt uns in Ansätzen deren verblüffende, rasante und erschreckend einfache Benutzung und Ausbeutung: Auf einer geteilten Leinwand und auch über die weißen Säulen des Bühnenraumes flirren in blitzartigem Tempo die Seiten von allen Skripten ab, die man anfordert, von Schriftstellern oder Wissenschaftlern, die man für die Recherche benötigt, können dann sofort kopiert geändert und neu verarbeitet werden. McNeal gibt der KI den Befehl, bestimmte Passagen eines Traktats zu öffnen und in seinen eigenen literarischen Stil umzuwandeln.

Das allerdings wird erst transparent, nachdem er einer Reporterin der New York Times ein ebenso süffisantes wie provokatorisches Interview gegeben hat, zu dem ihn seine furiose Agentin mehr oder minder gezwungen hat. Doch seine Aversion gegen die Journalisten, wohl ganz allgemein, verleiten ihn zu Beleidigungen ihres weiblichen Selbstbewusstseins, und die Reporterin, bisher eher schweigende und geduldige Zuhörerin, öffnet jetzt die Büchse der Pandora. Denn Sarkasmus ist nun mal nicht jedermanns/frau Sache und rhetorische Unbedachtheit für unsere aufgebrachte Welt nicht akzeptabel. Für schwache Charaktere und unausgeglichene Persönlichkeiten ganz sicher ein Grund, Rache dank journalistischer Allmacht als Entgegnung zu wählen. Die Journalistin hat aber bereits vorab seine prämierte Arbeit nach Plagiatsstellen durch eine KI untersucht – und ist fündig geworden. Gewiss sollte man auch auf eine Einlassung Mc Neals achten, die Anlass zu späteren Diskussionen zu diesem Drama gibt: Ist die Verwendung der Realität allein schon Kunst (oder Verrat an den Personen?), darf sie also eins zu eins in Literatur (Film, Malerei, Bildhauerei)  übernommen oder muß sie in einen allgemein gültigen menschlichen Erfahrungskosmos umgesetzt werden.

Damit nicht genug. Im Rückblick lasten MyNeal noch einige andere Gespenster auf der Seele, die wohl nur mit Alkohol bekämpft werden können. Sehr privat und unentschuldbar die Eifersucht auf ein Skript seiner Frau, die er nicht nur demütigte, sondern vielleicht auch in den Suizid trieb, denn irgendwann ist auch der Alkoholkonsum des Partners nicht mehr zu ertragen. Das bleibt am Rande stehen, aber in der Absicht des Autors auf Entlarvung des Literaturwettbewerbs wohl offensichtlich. Auch die Vernichtung, moralisch und rhetorisch, seines Sohnes bleibt auf der üblen Bilanzseite von McNeal. Das ist wohl der schrecklichste Moment dieser Inszenierung. Als der Sohn sich, herausgefordert bis aufs Blut, auf den Vater stürzt und diesen zu Boden schlägt. Damit nicht genug, erhebt sich McNeal Senior im kalten Zorn scheinbar ungerührt und liest aus dem Tagebuch seiner Frau eine Passage vor, die seinen Sohn in den Wahnsinn treibt – der Videomann zeigt ganze Arbeit mit zerrissenen Bildern, die in seiner Erinnerung durch Raum und Gemüt flattern.

Beifall zu zollen für ein dermaßen menschlich zerrissenes Drama scheint schwer. Doch den Schauspielern gebührt große Anerkennung. A.C.

In einem Gespräch anschließend mit dem zur Zeit in Berlin weilenden Autor geht es – ausschließlich in amerikanischem Englisch – leider nicht um die Inszenierung, sondern vorwiegend, wie meistens, um die Person des Autors, aber auch um die Endlichkeit der KI: sie wird vieles kopieren, ersetzen, und erledigen können. Aber sie stößt noch immer an ihre Grenzen, wenn es darum geht, menschliche Gefühle und Gedanken zu erfassen und  aufzugreifen. Gott sei Dank!

 

 

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


− zwei = 7