Francesca da Rimini, B
Riccardo Zandonai (1883-1944)
Tragödie in vier Akten und fünf Bildern
Libretto von Tito Ricordi nach Gabriele D’Annunzios gleichnamigen Verstragödie
Uraufführung am 19.2.1914 in Turin
Deutsche Oper Berlin, 24.19.2025, 8. Vorstellung nach der Online Premiere am 14.3.2021
Musikalische Leitung : Ivan Lopez-Reynoso, Orchester und Chor: Inszenierung Christof Loy, Dramaturgie Dorothea Hartmann, Licht Olaf Winter Spielleitung Eva-Maria Abelein, Constanze Weidknecht, Bühne Johannes Leiacker, Kostüme Klaus Bruns, Chor Jeremy Bines
Künstler: Sara Jakubiak (Francesca), Maria Vasilevskaya (Samaritana), Philipp Jekal (Ostasio), Ivan Inverardi (Giovanni lo Sciancato, genannt Gianciotto), Rodrigo Garull (Paolo il Bello), Thomas Cilluffo (Malatestino dall’Occhio), Meechot Marrero (Biancofiore), Hye-Young Moon (Garsenda), Arianna Manganello (Altichiara), Martina Baroni (Adonella), Lucy Baker (Smaragdi), Kangyoon Shine Lee (Ser Toldo Berardengo), Dean Murphy (Il Giullare), Michael Dimovski (Il Balestriere), Artur Garbas (Il Torrigiano), Michael Dimovski (Il Prigioniero), Jan Gerrit Brüggemann (Schauspieler), Farouk El-Khalili (Schauspieler), Hanno Jusek (Schauspieler), Marcus Mundus (Schauspieler), Andrea Spartà (Schauspieler), Koray Tuna (Schauspieler), Benjamin Werth (Schauspieler), Maximilian Reisinger (Schauspieler), Kay Bretschneider (Schauspieler), Niall Fallon (Schauspieler), Eric Naumann (Schauspieler), Pablo Nina Toculescu (Schauspieler), Chor der Deutschen Oper Berlin (Chöre), Orchester der Deutschen Oper Berlin (Orchester)
Weitere Vorstellungen bis Fr, 14.11.2025
Dezent inszeniertes Drama mit stürmischem Orchester
Die Geschichte ist kompliziert: Vielleicht ist sie wahr, wofür eventuell eine Episode in Dantes Komödie mit Francesca und ihrem geliebten Paolo in der Hölle spricht, sowie deren große Präsenz in der bildenden und darstellenden Kunst und umfassenden musikalischen Variationen. Vielleicht weil es ein zeitloses Drama ist, wenn Töchter und Söhne nach dem kühlen wirtschaftlichen und standesbewussten Kalkül ihrer Eltern miteinander vermählt werden und Liebe selten dabei eine Rolle spielt.
Hier beginnt das Drama schon im 14. Jahrhundert, in einem sehr kriegerischen Klima in Italien, wo sich die Familien schon aus reinen existenziellen wie auch Machtgründen eine Liaison sicherten, die ihnen Wehrhaftigkeit und Schutz versprach. So auch bei der in Ravenna lebenden Sippe der Polentá, die sich mit der ursprünglich verfeindeten einflussreichen Familie der Malatesta aus Rimini durch die Heirat ihrer schönen Tochter Francesca mit dem ältesten, behinderten Sohn Giovanni vermählen soll. Taktisch gerissen, empfiehlt der ehrgeizige Bruder Ostasio der Familie, seine (unwissende) Schwester solle mit Hilfe des schönen jüngeren Bruders Paolo geworben und zur Vertragsunterzeichnung bewogen werden.
So nimm natürlich das Drama seinen Lauf. Mit der sparsam dekorierten Bühne, die ein bisschen Jugendstil und Fin de Siècle erkennen lässt, haben zwei Bühnenmaler ein berühmtes Landschaftsbild von Claude Lorrain kopiert. In ihrer weißen Kälte, die Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und emotionale Einsamkeit suggeriert, sitzen sich die beiden Menschen im weiten Abstand gegenüber und fühlen sich doch spontan zu einander hingezogen, was sich im Näherkommen beinahe schon gefährlich verdichtet, zumal die nichtsahnende Francesca ihren Gefühlen glücklich vertraut und in den Augen Paolos auch dessen Liebe erkannt hat. Doch der muss sich distanziert in schmerzliches Schweigen hüllen.
Nach der stumm beendeten und dokumentierten Eheschließung auf der oberen Ebene, auf einer zweiten eingefassten Bühne, wird dann der erwartete Krieg, der ja mit Hilfe der neuen Familienbande erfolgreich beendet werden kann, abgespult, wobei der zweite Bruder Paolos und neue Schwager Francescas schwer verwundet, Paolo selbst aber heil aus der Schlacht hervorgeht. Natürlich berühren sich die Liebenden in kurzen Momenten mit zärtlicher Behutsamkeit, aber die Angst vor einer Offenbarung ist zu groß.
Der nunmehr nur noch einäugige Maletestino wird sich später als grausamster Sieger zeigen, wenn er aus Wut über die Ablehnung seiner Avancen gegen Francescsa einen Gefangenen foltert und tötet und dessen blutigen Kopf auf der feinen Tafel drapieren, und aus verletzter Eitelkeit ihrem Ehemann ihr nächtliches Zusammensein mit Paolo verraten wird. Denn dieser ist mittlerweile nach zehn Jahren aus Florenz zurückgekehrt, und nun haben die beiden Liebenden ihre Erfüllung gefunden, was szenisch sehr behutsam und einfühlend und och auch sehr leidenschaftlich in wunderbar schelgende begleitende Musik eingebettet ist.
Es sind also drei Brüder, die die Frau lieben und das Unglück vorprogrammierten. Alle Szenen bis auf das Schlachtgetümmel und den Mord an dem Gefangenen, sind sehr zurückhaltend choreografiert – aber auch und vor allem in der behutsamen und ängstlichen Liebesannäherung. In der unerfüllten Sehnsucht und Leidenschaft begegnet sich das Paar mit nur sehr vorsichtigen körperlich behutsamen wie zärtlichen Berührungen; Sie wissen, dass ihre Liebe unmöglich ist, solange der eifersüchtige Ehemann gegenwärtig ist. Es bedarf langer Jahre des Leidens bis sie den Mut haben oder auch nicht mehr in der Lage sind, ihre Liebe länger zurückzuhalten.
Alle Gefühle, alle Handlungen sind in einen ungewöhnlich poetischen Text gefasst, der die Liebe in blumige Weisen verwandelt und die Natur für eine Sprache der Zärtlichkeit und Schönheit zu formen versteht. Für Francesca, die “zwischen Gewaltfantasien und Rosen“ (Christof Loy) leidet, zwischen endgültiger Aufgabe ihres Widerstandes und Hingabe zu einer Liebe, die sich mehr geahnten als bewussten Konsequenzen der grausamen Männerwelt aussetzt, ist das eine schwankende emotionale Gratwanderung. Was sich bereits gleich zu Beginn der Aufführung verstörend zeigt, als sich ein harmloser Musikant (Dean Murphy) vielleicht als bleibender Unterhalter für die Damenwelt sich am Hofe vorstellt, von den leibreizenden Mädchen (die alle über eine vielversprechende Stimmmelodie verfügen) emphatisch begrüßt wird, aber sogleich von den Schergen der Familie brutal der Spionage verdächtigt wird.
Aber- das ganze Drama, seine ungeheure Erotik und Liebesglut, seine Verstörung, sein Entsetzen, seine Grausamkeit, sein menschliches Versagen und Schicksal spielt sich nicht in erster Linie auf der Bühne ab, sondern führend, vehement und mitreißend im Orchestergraben, wo Iván López-Reynoso seine Musiker alle Ereignisse udn Emotionen in Höhen und Tiefen, in Rausch und Vergänglichkeit umsetzt, auf die Bühne hebt und auf Sänger und Darsteller überträgt, die wieder das Publikum betören und ihre Sinne überwältigen.
Es ist eine unbändige, grandiose Musik, die eine tosende wie schmelzende Sprache zwischen den unterschiedlichsten Zeiten und Epochen verarbeitet: ein bisschen Renaissance in der Melancholie, die Härte des Verismo, die Marschrhythmen, die an D‘Annunzios Beteiligung im zweiten Weltkrieg gemahnen, aber auch Strauss und Wagner lassen grüßen.
Unglaublicher Fakt an diesem Abend: weil die Sängerin der Francesca krankheitsbedingt ersetzt werden musste, lehnt an der Bühnenseite im Halbdunkel, zart und ganz in Schwarz, ein zierlicher „Schnell-Import” aus Italien, frisch an diesem Tag eingeflogen: Ekaterina Sannikowa, die nach ihrem Einsatz in Turin diesr Rolle nun in Berlin mit großer Hingabe sang, während sich Eva-Maria Abelein kongruent die darstellende Partie so einverleibte, dass beide Damen eine großartige Symbiose ergaben.
Unglaublich anspruchsvoll sind auch die anderen Sängerpartien. Der neue Paolo Rodrigo Garuli konnte seinem Beinamen, der Schöne, wohl in jeder Hinsicht gerecht werden. Denn auch seine Stimme betört nuancenreich mit einem tiefen Tenor, während sein Kontrahent, im Märchen zwar ungeliebt, aber Ivan Inverardi als Darsteller verleiht seinem Giovanni sympathische Autorität und fällt wie ein Tornado in seiner Wut als betrogener Gatte und Bruder über das ahnungslose Paar her. Thomas Cilluffo musste seinen Charaktertenor in der undankbaren Aufgabe des Bruders einsetzen, was sich noch in jeder Geschwisterkonstellation als problematisch herausgestellt hat. Philipp Jekal sang mit fester Überzeugung den Ostasio Polentá, der für das Unglück von Ehe und Liebe verantwortlich war.
Man könnte sich an den Rausch der Musik und der Gefühle ewig weiter erinnern. Dafür gibt es, so.o.,glücklicherweise noch eine nächste Aufführung! A.C.