Das flammende Herz
von Felix Mendelssohn Bartholdy
Staatsoper unter den Linden
Ballett von Patrice Bart – Staatsballett Berlin
mit: Vladimir Malakhov, Anastasia Kurkova, Martin Szymanski, Iana Salenko, Dini Tamazlacaru, Nadja Saidakova, Corinne Verdeil, Dariusz Prill, Polina Semiionova, Sarah Mestrovis, Beatrice Knop, Martin Buczko, Elisa Carrillo Cabrera, Elena Pris, Dimitry Semionov, Sebnen Gülseker, RainerKrenstetter u.a.
Der Dichter und die freie Liebe
Weiße und schwarze Vorhänge gleiten wie Trennwände von Zeit und Ort zwischen die Bühnenflächen, teilen sie in immer neue Räume, zeigen Enge und Weite, verschleiern und enthüllen, geben Raum für die Transparenz seelischer Tiefen und Untiefen frei und offenbaren Liebe und Enttäuschung, Unrast und Leidenschaft, Kälte, Eigenliebe und Kompromisslosigkeit eines Mannes, dessen Poesie wir seit mehr als 200 Jahren schätzen, wenn sie auch nicht mehr unserer heutigen emotionalen Wahrnehmung entspricht.
Der englische Poet Percy Shelley (1792—1822) vertrat bereits, recht aktuell, das Prinzip der freien und ungebundenen Liebe. Wie viele seiner Freunde und Künstlerkollegen hielt er nichts von engen Moralvorstellungen, sondern lebte in wechselnden Lebensgemeinschaften mit mehreren Frauen, engagierte sich kompromisslos mit revolutionären Ideen in der Politik und bereiste schließlich rastlos und ohne Einkünfte den Kontinent, lange verfemt von seinen englischen Landsleuten. Aber die brauchte er auch nicht, denn mit seiner Schönheit und seiner dichterischen Begabung faszinierte er Frauen wie Männer gleichermaßen und pflegte eine verzehrende Freundschaft zu Lord Byron, der ihm seine Existenz für lange Zeit sicherte.
Für Vladimir Malakhov, Ballettdirektor und russischer Tanzmagnet, scheint es eine ganz besondere Herausforderung zu sein, die Charaktere großer Künstler wie Tschaikowsky, Caravaggio und nun auch Shelley in tänzerischer Psychologie zu verkörpern, sie mit so viel Eleganz und Grazie, so großer Feinfühligkeit darzustellen, dass man meinen möchte, er hat nun für sich eine neue künstlerische Herausforderung entdeckt. Und dass er nun die großen, hohen, weiten Sprünge, die Tanzakrobatik und die Dynamik weitgehend den jüngeren Tänzern überlässt, zeigt nicht nur Einsicht in die körperliche Endlichkeit, sondern vor allem pädagogischen und psychologischen Weitblick.
Natürlich ist sein Percy Shelly wohl ein Frauenheld, ein Treuloser, ein Verführer, aber er hat eben ein “stets neu entflammtes Herz”, dessen er nicht Herr werden kann und sicher auch gar nicht möchte. Denn jede neue große Liebe zu den Schönen der Welt gibt ihm neue dichterische Impulse, lässt Worte wachsen und Sätze reifen, die ein solch genialer Mensch wohl benötigt. Ähnliche Inspiration vermerkte man nicht nur bei Mozart, Goethe, Wagner etc. Shelley also hier auf der Bühne der alten Lindenoper: ein ästhetischer Hochgenuss – eine Brillanz der Darstellung, ein faszinierend flirrendes Spiel der großen Tanzkunst, aber auch ein ausdrucksstarkes Gemütsdrama, das in Episoden die Begegnungen des Dichters mit den jeweils neuen Musen zeigt. So, wie auch die Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse bisweilen undurchschaubar sind, weil die Tänzerinnen, ob Geliebte, Schwester oder Freundin, ihn eben alle wie Schmetterlinge umflattern – schön und wundersam fremd ätherisch – so bleiben auch Konflikte und versteckter Kummerum gebrochenn Herzen weitgehend außerhalb.
Auf der Suche nach einem festen Halt – den aber ein Mensch wie Shelley wohl niemals finden konnte, weil Beständigkeit und Bürgerlichkeit, Treue und Altruismus nicht in seiner schnellen, launigen, wechselhaften Natur lagen – trieben ihn unbestimmte Sehnsucht und Rastlosigkeit von Ort zu Ort trieb. Der homoerotische Konflikt mit dem Freund und Verführer, Lebenskünstler und Bonvivant Lord Byron wird im Tanz hier nur zaghaft und eher verschämt angedeutet. Es bleibt alles ein bisschen sehr klassisch-fein, bemüht, diese klinische Reinheit durch keinen Flecken anzutasten. Man hätte sich aber durchaus schon modernere Ausdrucksvariationen gewünscht, denn die jeweils heiß geliebten und dann jäh verschmähten Damen werden die Treulosigkeit des Mannes wohl doch nicht so sang- und klanglos hingenommen haben. Auch der Selbstmord seiner zweiten Frau tänzelt relativ unspektakulär über den Bühnenrand.
Obschon natürlich ansatzweise sehr temperamentvolle und dynamische Talente wie Dinu Tamaziacaru als Jugendfreund Shelleys oder Martin Buczko als Lord Byron so einige Grenzen zu sprengen imstande sind und auch Shelleys letzte Musen Mary und Jane, sozusagen in Doppelehe an ihn gekettet sind, ohne sich die Augen auszustechen, bleibt alles außerhalb überbordender Dramatik.
Ezio Toffolutti hat das dezent in den Hintergrund tretende Bühnenbild der prachtvollen Erscheinung des Corps de Ballet zugedacht, das mit ausgesuchten historischen Kostümen von Luisa Spinatelli geschmückt wird. Mit fließenden Stoffen, sanften Farbtönen und schmucken folkloristischen Trachten verwandelt sie die feenhafte Anmut der Tänzerinnen in eine bezaubernde Augenweide. Für die Solotänzerinnen des Staatsballett eine Gelegenheit mehr, miteinander zu wetteifern, nicht nur um die Liebe von Malakhov-Shelley, sondern wohl auch um ihre Rollenplacierung. Aber keine von ihnen konnte und kann gewinnen. Sie zeigen unisono, höchstens noch mit Nuancen in der Skala olympischer Feindifferenzierung gemessen, unbestrittene Perfektion und grazile Spitzenklasse.
Musikalisch beruht das “Flammende Herz” auf Kompositionen von Felix Mendelssohn Bartholdy, die von Ermanno Florio zusammengestellt wurden, der das flexible Orchester der Deutschen Oper in exakter Abstimmung mit der eleganten Choreographie temperamentvoll führt. A.C.