Wallenstein, B

von Friedrich Schiller
Schaubühne am Lehniner Platz, 2016
Regie: Michael Thalheimer
Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede; Dramaturgie: Bernd Stegemann, Licht: Norman Plathe.
Mit: Marie Burchard, Ulrich Hoppe, Ingo Hülsmann, Urs Jucker, Laurenz Laufenberg, Peter Moltzen, Lise Risom Olsen, Felix Römer, David Ruland, Andreas Schröders, Alina Stiegler, Regine Zimmermann

Warum ein Feldherr kein Politiker ist

Das Gespenst des Krieges ist hier ein halber Pferdekadaver, der von der Decke herunterhängt, und von dem die halbnackten, verwundeten Krieger Abschied im Morgengrauen nehmen. Der treue Freund ist ihnen vorangegangen. Das schreckliche Ungetüm pendelt volle drei Stunden lang im Raum, später im Halbdunkel, wenn sich der Scheinwerfer voll auf den Feldherrn richtet, der mit Wortbergen um eine Entscheidung ringt. Das Lager ist hier ein undefinierbares Dunkel, von Nebelschwaden und Pulverdampf  durchzogen und von schmerzend kratzendem Dröhnen des Kanonendonners in ein gruselndes Inferno verwandelt. Der Höllenlärm verflüchtigt sich nach und nach, um am Ende wieder zu voller Gewalttätigkeit anzuschwellen. Krieg ist Krieg, daran läßt der Regisseur keinen Zweifel. Hier gibt es keine Lagerromantik, kein soldatisches Frotzeln und Saufen und rohe Späße, sondern magere, versehrte Gestalten sind es, die im schummernden Schein an die Rampe treten und sich verwundern, was es denn mit ihrem Feldherrn auf sich habe. Unsicher sind die einfachen Landser und ihre Befehlshaber, was denn nun geschehen soll, warum der Krieg stagniert, warum sie weder Sold noch andere Vergünstigungen erhalten. Dunkel ist der Sinn, Gerüchte gehen um, dass Albrecht von Wallenstein dem Kaiser den Treuebund brechen und sich dem Schweden anschließen wolle… Man weiß das aus der Geschichte als auch aus Schillers Drama, dass der Herzog sich nicht mehr vom Kaiser gestützt fühlte und fürchtete, vom Cesarenthron gestürzt zu werden.

Ingo Hülsmann ist ein Wallenstein, der die atemlosen Zuschauer in einen gewaltigen Strudel sich mehrender und wachsender Wortgefechte auf seine Seite zieht. Man hat Verständnis für die Berserkerwut des ungeduldig auf Unterstützung des Kaisers wartenden Feldherrn, der große Siege errang, sein eigenes Vermögen in das Heer steckte und sich nun im Stich gelassen fühlt. Kein Wort, kein Geld, kein Vertrauen mehr, denn man hat dem Kaiser Gerüchte überbracht, die Wallenstein als unsicheren Bündnispartner denunzieren.

Das Gedankenspiel, das Zeitgeschichte schrieb und vielleicht die Welt hätte verändern, aber ganz sicher den 30 Jahre während Krieg nach der Hälfte der Zeit hätte beenden können, beginnt. Es geht, und hier wird der Mensch leider klein und niedrig, nicht nur um die leidende Menschheit, sondern ganz gewaltig auch um verletzten Stolz, verlorenes Ansehen und eine sich verflüchtigende Königskrone. Welch ein bleicher Schatten flüstert da neben ihm ständig in sein Ohr, weist ihn auf die Sterne, die  Entscheidenes ankündigen (Sene Risom Olsen) – Kaisertreue oder Lagerwechsel, Rettung von Tausenden, Ende der Verwüstung der Länder, nebenbei auch Ruhm und Ehre und Macht oder am Ende gar wieder Seitenwechsel und die Schweden ins offene Feuer laufen lassen? Weisst der Astrologe den wahren Weg? Was die Soldaten vermuten, verdichtet sich erst nach und nach im Kopf des Feldherrn, der noch immer siegesgewohnt und den unbehaglichen Ahnungen trotzend, sich als Herr der Lage wähnt, alle Generäle in den Bann seiner Autorität zieht und keinen Widerspruch duldet, mit nicht versiegenden Argumenten sich selbst und die anderen reizt und auffordert, über sein Schicksal ( und damit auch das Ihrige) nachzudenken. Dieser Wallenstein kämpft vor allem mit sich selbst, um die richtige politische, aber vielleicht doch dann mehr persönliche Entscheidung. Aber er zögert, ein rauher mutiger Soldat durch und durch, ein erfahrener Stratege, aber die Schachzüge der Diplomatie sind ihm nicht vertraut.

Sein Freund Octavio, an dem er mit unerschütterlicher Zuversicht hängt, wetzt längst das Messer an der Gurgel des unentschlossenen und doch sich bereits sichtbar zur Seite wendenden Feldherrn. Peter Moltzen steht als Graf Piccolomini, der sich fest in seinem Recht zum Aufstand wähnt, dem vitalen Berserker und Zweifler Wallenstein gegenüber –  als verkappter Freund getarnt, als Retter des Reiches, vielleicht, aber ganz sicher als Drahtzieher der Verwörung aller Generäle. Seine Betriebsamkeit, mit der er die anderen Krieger auf seine Seite zieht, findet im Dunklen statt, wird nur halb beleuchtet, ist aber von gewaltiger, furchteinflößender Shakespear’scher dämonenartiger Atmosphäre. Auch Ocatavio ist getrieben vom Ehrgeiz, vom Ruhm, vom Fürstentitel, der ihm als Garant für die Fortführung des unseligen Krieges gilt. Noch steht allerdings Wallenstein fest im Sattel, sitzt breit und tatenlos im Feldherrnstuhl, kann den ihm entgegentretenden Zweiflern und Unzufriedenen, dem Grafen Terzky (Felix Römer) und dem Befehlshaber Illo (Andreas Schröder) standhalten. Die peitschengeschwungene Drohung des kühlen Habsburger Botschafters Questenberg, der von ihm mit schneidender Stimme feste Beweise seiner Kaisertreue einfordert, schießt dem Wallenstein gewaltig ins Blut, reizt ihn aufs Äußerste  –  und er hat einen Feind mehr.

Es ist ebenso faszinierend wie unbehaglich, mit welcher Leidenschaft und Vereinnahmung Hülsmann diesen schwerblütigen Charakter formt, der seine Umgebung und sich selber martert, von Erinnerungen der Demütigung zum Reichstag in Regensburg noch verfolgt, von Visionen seines mondbleichen Sternguckers umwoben, von  der Schwägerin Theresa (Regine Zimmermann) schlangenscharf umzüngelt, die ihm rhetorisch wie körperlich bieg-und schmiegsam den giftigen Atem des Verrats einhaucht. Furiengleich wird sie auch Theklas Liebe zum jungen Max Piccolomini (Laurenz Laufenberg) untergraben, wohl wissend, dass ihre Einflussnahme letztlich die Entscheidung Wallensteins, die Seiten zu wechseln, erfolgreich sein wird, obwohl Marie Burchard als Thekla kein dumm-naives junges Ding darstellt, das sich in romantisch-hoffnungsfreudiger Liebe verzehrt. Klar und ernst sind ihr alle jene Sätze geblieben, die ihr Urteilsvermögen und einen klaren Verstand bescheinigen. Damit erschüttert sie, still am vordernen Bühnenrand verharrend, im weißen Mädchenkleid zwar, doch längst in diesem Krieg zur illusionslosen Frau gereift. Dass Laufenbergs Max Piccolomini ein noch schwärmerischer, unduldsamer junger Liebhaber ist, der den Glauben an seinen Feldherrn als zweiten Vater nicht verlieren mag, erinnert noch am ehesten an den glühenden Sturm- und Drang-Dichter Friedrich Schiller. Als Max dann mit seinem scharf argumentierenden und kalkulierenden Vater bricht, als der ihn in sein Komplott einschmieden will, weiß er noch nicht, dass der von ihm glühend verehrte Wallenstein ihn in seinem Glauben an den ewigen Treueschwur zum Kaiser bitter enttäuschen wird.

Immer noch wehrt sich Wallenstein, wie von einem Dämon böse umhergeschleudert und um den klaren Verstand gebracht, sich den Schweden anzuschließen. Als der schwedische Gesandte von Wrangel ihm kühl und überlegen die Bedingungen für den Übertritt diktiert, weißder Herzog, was die Stunde geschlagen hat. Er kann nicht mehr zurück, und alles Absichern durch Einflüsterer ist letztlich nur noch ein äußerst schwacher Versuch, der Konseequenz nicht ins Auge zu schauen. Aber wie dieser Mann leidet, vor allem um sich selbst, wie wenig er auf Tochter und Gattin Rücksicht  nimmt, wie er sich tosend und tobend verausgabt im qualvollen Zwiespalt um Recht und Rechtfertigung, um Vergangenheit, die ihm die Gegenwart vergällt und einen gefährlichen Weg in die Zukunft weist, das steigert sich mehr und mehr. Dumpf tönt es nur noch leise im Hintergrund, der Kampf dieses Mannes mit sich selbst dagegen wird immer heftiger, und alles, auch der scheinbare Erfolg durch das neue Bündnis, mit dem er seine Männer zum Sieg an der Seite der Schweden, mit List und Tücke und geprobter Strategie führen will, kann ihm keine Gewissheit geben. Alle Zweifel scheinen beseitigt – glaubt er, denkt er, doch dann jäh der Sturz von den trügerischen Sternen in den Abgrund der Wirklichkeit: In der Tat ist keiner seiner Generäle mehr da, um Befehle entgegenzunehmen. Auch, man weiß es, die Pappenheimer des Max Piccolomini sind nicht zur Stelle. Man hat sich bereits verabschiedet und ist zum Kaiser gegangen. Schwur ist Schwur, Treue ein Wort, an das der Soldat auch noch im Tode glaubt.

Als zuletzt Wallensteins gehorsamster Gefolgsmann Buttler (Urs Jucker), der ihm zweizüngig folgt und zuletzt kaltherzig und trügerisch seine Treue nicht mit Worten, sondern mit gemeiner Tat aufkündigt, da ist es für alle zu spät. Thekla und Max nehmen sich das Leben, auch Theresa greift zum Gift, die Gattin  ist längst dement, und Piccolomini Senior läßt sich mit siegesgewissem Lächeln auf dem Regiestuhl des Heerführers nieder (der nun auf dem toten Perdekopf hängt), streichelt die blutige Pferdeschnauze und wird die Qual eines Landes und unzähliger Menschen noch um weitere 15 Jahre verlängern. A.C.

 

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