Die Hose, B
von Carl Sternheim
Renaissance Theater Berlin, 2016
Regie: Tina Engel, Bühne: MömmeRöhrbein. Kostüme: Eva Dessecker, Musik: Klaus Christian Schreiber, Dramaturgie: Gundula Reinig
Mit: Klaus Christian Schreiber (Maske), Christiin Nicols (Luise Maske), Anika Mauer (Gertrud Deuter), Guntbert Warns (Frank Scarron), Boris Aljinovic´ (Benjamin Mandelstam)
Ein Spießer aus Kurpfalz, die auch in Berlin liegt
Pralle Spiellust und unbändige Leidenschaft bestimmen diese Aufführung, und man glaubt es nicht, dass irgendwo auch ein Zipfel Aktualität unter der flotten Groteske steckt, die, wie man zu glauben versucht ist, einer längst vergangenen Epoche angehört. Und doch mag die überbordende Selbstgefälligkeit des tyrannischen Biedermanns hier und da noch treffen, denn Sternheims geistreiche Sprachkapriolen machen aus jedem der Charaktere aus der Kaiserzeit einen durchaus möglichen Vorfahr unzähliger Ableger für weitere Jahrzehnte. Dass die bewährte Tina Engel der Regie lockere Zügel anlegt und ihre Leute voranstürmen läßt, was ihre Kunst (und die ist bekanntlicherweise überragend) hergibt, mag auf die Dauer dann doch zu viel des Guten sein und den Witz der Komödie über Anstand und Tugend, Geldgier und Scheinheiligkeit chargierend übermalen.
Als da sind natürlich der wunderbare Klaus Christian Schreiber als Theobald Maske, ein kleiner Beamter, der sich mächtig ins Zeug legt, um seiner jungen Frau Luise explodierend vor Empörung die Leviten zu lesen. Wie konnte sie es nur wagen, ihre Hose nicht fest genug zuzuschnüren und inmitten der Menge zu verlieren! Der Lächerlichkeit habe die Frau ihn, Maske, preisgegeben, Reputation und Würde habe er verloren, und um diesen Frust abzureagieren, setzt es erst einmal einige Stockhiebe auf den Allerwertesten. Frau Maske beugt sich brav und zuckt tapfer zusammen, scheint ansonsten aber nicht sonderlich beeindruckt von der Züchtigung, die der Gatte ihr schnaubend und lamentierend angedeihen läßt. Augenscheinlich findet sie alles nur halb so schlimm, denn schließlich schenkten die Leute der Kutsche des Kaiser doch weitaus mehr Aufmerksamkeit als ihrem weißen Spitzendessous. Ohnehin bis zum Hals verpackt und geschnürt und in mehrene Partien Unterwäsche eingehüllt, fühlte sie augenscheinlich nicht entblößt. Was Herr Biedermann überhaupt nicht begreifen kann. Ohnehin läßt er sie ja gar nicht zur Wort kommen, und so setzt Christin Nicols alsLuiseMaske einfach nur die Waffen eines sich naiv-mädchenhaft gebenden Frauchens mit blitzeblauen Unschuldsaugen und zarten rosa Wangen als vorbildhaft ein.
Aber der Wüterich ist auch Geschäftsmann und vermietet flugs ein ZImmer der Wohnung zugleich an zwei Herren, die vor allem auf die sich verselbständige Hose neugierig sind und sich auf ein Frauenzimmer kaprizieren, das ihr Gatte augenscheinlich nicht unter Kontrolle hat… Mit wunderbar gedrechselten Schmeicheleien und Höflichkeiten versuchen sie sich bei der Frau des Hauses einzuschmeicheln. Da ist der selbstverliebte, elegant aufgemachte Frank Scarron, ein Herr mittleren Alters, ein selbstverliebter Poet, der in der Gestalt von Guntbert Warns fesch daherkommt, wie ein Gockel frisiert, geschraubt und gestelzt und mächtig Eindruck macht auf das vernachlässigte Frauenzimmer. Luise macht sich tatsächlich Hoffnung auf eine kleine Liebelei, zumal ihr der Gatte bislang noch sämtliche eheliche Gunstbezeugung auf Grund pedantischer Lebensplanung versagte. Und der nimmt den gut zahlenden Poeten mit Freude auf, als Patriarch ohnehin für Rivalen nicht anfällig. Doch dann kommt noch ein Aspirant, der sich Hoffnung auf ein Techtelmechtel, vor allem um eine warme Mahlzeit zu machen scheint. Den verbannt Maske jedoch in die Abstellkammer; aus seiner gesellschaftlichen Perspektive ist der Untermieter ja nur ein kleiner Frisör namens Benjamin Mandelstam, glücklicherweise nicht jüdischer Herkunft, wie Maske zunächst befürchtet! Und doch stellt Boris Aljinovic dem zum Trotz gerade die Inkarnation aller Vorurteile dar, gibt sich als hilfloser, schüchterner, unterdrückter, sich liebedienerisch beugender, armseliger kleiner Mensch, eine Jammerfigur einer hohlwangigen, ewig hungrigen unterdrückten Kreatur – von Maske hochmütig wie ein lästiger Parasit behandelt, von Scarrion so gut wie nicht beachtet, von Luise doch letztlich mit Mitleid bedacht und gefüttert.
Doch irgendwann vereinigen sich die drei Herren in kumpelhafter Kurpfälzer-Jäger-Deutschtümelei. Die Frau wird nurmehr als Sklavin für das eigene Wohlergehen behandelt. Obwohl, und da merkt man doch plötzlich auf, die ganze Naivität nur die eine Seite dieser eigenwilligen Dame ist, die sehr wohl weiß, wie sich sich am geschicktesten verhalten muß. Da bedürfte es gar nicht erst der aufdringlichen Überzeugungsversuche der Frau Nachbarin, der Anika Mauer alle Facetten einer grellen, klatschsüchtigen, im Leben und in der Liebe zu kurzgekommenen, aufgetakelten Fregatte gibt, die, nachdem sie endlich die kurzfristige Aufmerksamkeit des von ihr verehrten Maske gewonnen hat, wie ein Kleidungsstück zur Seite geworfen wird. Da helfen ihr alle Koch- und Kupplerinnenkünste nur wenig aus dem eigenen Elend.
Spießertum, Unterdrückung der Frauen und der Schwachen in der Gesellschaft, blinde Kaiserverehrung, Überheblichkeit des Bürgertums und Armseligkeit der Außenseiter – das war schon eine gewaltige Plattform für mutige Künstler und kritische Intellektuelle zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das gut gemachte Programmheft überzeugt mit authentischen und erhellenden Artikeln aus jener Zeit, als Theater noch ein Wagnis war! A.C.