Das Leben ein Traum, OL

von Pedro Calderón dela Barca (1600-1681)
1630 Uraufführung in Madrid
Oldenburgisches Staatstheater, 2016
Regie: Tim Tonndorf, Bühne und Kostüme: Anna Bergemann; Dramaturgie: Marc-Oliver Krampe, Licht: Ernst Engel u.a.
mit: Lisa Jopt als Rosaura, Caroline Nagel als Clarin, Johannes Lange als Sigismund, Klaas Schramm als Clotaldo, Kammerschauspieler Thomas Lichtenstein als Basilius, Pirmin Sedlmeir als Astolfo,Yassin Trabelsi als Estrella, Karim El-Korhaly als Diener und Soldat: Michael Sutor, Leo Pahl, Olaf Kreitsmann und Ebrahim Homsi als Soldaten.

Zuweilen auch ein Alptraum…

Die Bühne ist kein Traum, sondern ein Alptraum:  lichtdurchflutetet zwar, aber durch die schmalen hellen Längsstreifen, die sich über die dunklen Wände und den Boden bis zur Rampe hinziehen, dann doch eher Gefängnis als ein gemütliche Lebensraum. Und in der Mitte ragt ein Zylinder in die Höhe, ein- gezäunt mit langen Stäben, die einem schmalen Gitter gleich das Verlies für den armen Sigismund darstellen. Der lebt dort seit Säuglingstagen, nachdem die Mutter bei seiner Geburt starb und der Vaterkönig dem Kind nicht nur die Schuld am Tode der Gattin gab, sondern sogleich den schrecklichen Visionen der Sternendeuter und anderen Wahrsagern vertraute, die dem Prinzen schlechtmöglichste Eigenschaften andichteten, mit denen er König und Polen einst in das Verderben stürzen würde. Und wie bei Vorhersagen üblich, bekannt aus der Antike, wird der bedrohliche Faktor erst einmal aus dem Weg geräumt.

Nun hat der spanische Dichter im Zeitalter des sogar in seinem Land lebensfrohen Barock gelebt, und er konnte, da er geschickt genug war, begabt obendrein und von Adel außerdem, seine Weisheiten,  Lebens- und Herrschaftserkenntnisse und Kritik in lockere Verse gießen, das Märchen an den polnischen Hof transponieren – also weit fort von gefährlichen Feinden im eigenen Land –  und sie der Gesellschaft wie einen blinden Spiegel vor Augen halten. Das Ganze ist dann trotz aller Grausamkeit hübsch locker gereimt und amüsant in bunten Kostümen und unter greller Schminke versteckt, Schein und Sein vermischen sich, und so manch Kalauer und versteckte, doch wohl verstandene Anspielung auf die realen Verhältnisse bei Hofe wurden beigemischt. Zu Calderóns Zeit waren natürlich die Frauenrollen noch von Männern besetzt, eine Tradition, die man gerne auch in modernen Inszenierungen wieder aufgreift, aber nun transgendermäßig.  Man amüsierte sich köstlich, ohne sich selbst erkennen zu müssen.
Tim Tonndorf hat das ähnlich inszeniert, für uns heutzutage auch mit ein wenig Prosa im heimischen Jargon aufpoliert und mit einem Ansager als überraschende Zugabe, der sich zu Beginn der Aufmerksamkeit des Publikums bemächtigt, es  auf Bildung und die Bereitschaft abklopft, mitzuspielen. Denn so war es einstmals üblich. Das sich der heimische Theaterbesucher höflich zurückhält, muss man der norddeutschen Mentalität zubilligen. Dann findet sich aber doch noch ein Freiwilliger, der auf dem Bühne klettert, um in dieser Komödie mitzuspielen- es ist – natürlich auch ein Schauspieler.

Sodann kann sich der schlaue Narr, mit Caroline Nagel fein besetzt, über das ewig gleich-dumme Weltgeschehen, über individuelle wie gesellschaftliche und politische Kleingeistigkeit und Kurzsichtigkeit lange bedauernd auslassen, die Klage wird gehört, jedoch nicht verinnerlicht. Er tut einem leid, der Narr, und dennoch hat er eine große Macht, weil er sagen kann, was er will, dabei sein darf mitten im Geschehen, ohne Konsequenzen tragen zu müssen; denn seine Schlauheit rettet ihn wenn es brenzlig wird, immer wieder, wenn auch knapp, vor dem Schaffott. Aber da er auch wie bei Calderóns großem Vorbild Shakespeare das Alter Ego des Dichters ist, bleibt er der gute Geist, der uns im verzwickten Spiel um die Suche nach Wahrheit und Er-Lösung in Traum und Wirklichkeit durch Höhen und Tiefen des Schicksalssturms führt.

Auif der Bühne treten sie auf und ab, die herbeigewehten Figuren aus aller Welt, um des Königs Thron und Erbe gleichermaßen bemüht wie besorgt. Und da hat dieser von Thomas Lichtenstein so gutmütig und milde ins Rampenlicht gebrachte Despot einen seiner Meinung nach genialen Einfall: Er will den jahrzehntelang im Kerker wie ein Tier gefangenen und mißhandelten Sohn Sigismund freilassen, ihn zunächst betäuben und dann vor die Tatsache stellen, dass er nun, ab sofort, als Prinz regieren darf. Natürlich weiß jeder Zuschauer, auch im Spanien des 17. Jahrhunderts, dass das nicht gutgehen kann und sich sofort die alte Wahrsagung erfüllen wird: ein dermaßen an Geist und Seele deformierter Mensch wird niemals sein erlittenes Elend mit Milde und Güte vergelten  – und so wird sich natürlich die Sternendeuterei bewahrheiten, und der arme Sigismund wird, erneut betäubt, wieder in sein Verlies zurückgebracht, bevor er in seinem Rachedurst noch mehr Unheil anrichten kann. Und da kommt endlich der Titel des Stücks zur Geltung: Was ist Traum, und was ist Wirklichkeit? Für Sigismund war das kurze Zwischenspiel als Prinz ein Traum und sein gewohntes Gefängnis ist die Wirklichkeit – aber muss das so bleiben?

Eine tiefgrundige Überlegung, mit der Calderón noch Generationen nach ihm vor eine große Denkaufgabe und jedwede Gewissheit in Frage stellt. Wie Sigismund, den Joahnnes Lange temperamentvoll in variationsreichen Gemütsverfassungen in eine schwer zu ertragende Wirklichkeit stellt – mal als waidwund geschundenes animalisches Wesen, dann als brutaler, seelenloser Kurzzeitprinz, und dann als vernunftorientierter Denker, der die notwendigen Konsequenzen für seine Machterhaltung realistisch einschätzt. Dass er zugleich als aussöhnender Herrscher auch die Gefühlsverwirrungen und durcheinander geratenen Paarkonstellationen wieder zurechtrückt, wird dem Publikum von einst sehr gefallen haben. Und auch wir finden das happyend, auch wenn es so einen machiavellistischen Unterton hat, recht passend. Denn was ist Wirklichkeit und was ist Traum?

Um ihn herumkaspern mit Schalk und Charme der verwirrte Clotaldo als treuer Diener seines Herrn und verzweifelter Vater, der sein Kind irgendwo in der Ferne verlor und nun die glückliche Rückführung der Tochter erlebt, wenn auch mit Bangen und Zagen. Diese wiederum namens Rosaura ist ein tapferes, mutiges Mädchen, das seinen untreuen Verlobten aus Moskau heimholen und die Rehabilitation ihrer Ehre wieder einfordern wird. Dazu trägt sie klugerweise einen scharfen Dolch im Gewand. Lisa Jopt wie auch Yassin Trabelsi  als handfeste Prinzessin Estrella scheinen überhaupt die einzig vorwärtsstrebenden Wesen in dieser etwas hilflos erscheinenden Männergesellschaft zu sein. Astolfo wird von Pirmin Sedlmeir als russischer Fürst mit ernsthaftenen Ansprüchen auf den Thron des  polnischen Königs Basilius gehandelt, sollte der arme Sigismund in seinem Käfig sein Leben beenden. Und dass er die verlassene Braut sofort zu freien gedenkt als er von ihrer edlen Abstammung überzeugt ist, könnte durchaus dem gesellschaftlichen Zwang jener Zeit, sicher aber der neuen Staatsräson des erwachten Sigismund zu verdanken sein, der die Braut eigentlich lieber selbst anstelle der schön-herben Estrella ins Haus geholt hätte. Doch Heiratspolitik geht nun einmal vor. Die Soldaten und Diener verschmelzen mit ihren dunklen Streifenuniformen erschreckenderweise mit den dunklen Wänden zu einem unheimlichen Sinnbild von Macht und Willkür. Das Bühnenbild ist der ästhetisch passende Rahmen für diese ungewöhnliche, nunancenreiche und und geschickt choreographierte Aufführung. A.C.

 

 

 

 

 

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


4 − = eins