Die Entführung aus dem Serail, OL
Singspiel in drei Akten von Wolfgang Amadeus Mozert
Libretto von Johann Gottlieb Stephanie d.J. nach dem Textbuxh von Christoph Friedrich Bretzner zu “Belmont und Constanze oder die Etnführung aus dem Serail von Johann André”; Uraufführung 1782 in Wien
Oldenburgisches Staatstheater, 2017
Musikalische Leitung: Vito Christofaro, Hendrik Vestmann, Inszenierung und Dialogfassung von Kateryna Sokolova, Bühne und Kostüme: Christian Andre Tabakoff, Chorleitung: Thomas Bönisch, Dramaturgie: Valeska Stern, Licht: Bernd Engel
mit Sooyeon Lee: Konstanze, Philipp Kapeller: Belmonte, Johannes Sima: Bassa Selim, Alexandra Scherrmann: Blonde, Timo Schnabel: Pedrillo, Ill-Hoon Choung: Osmin
Die geraubte Braut in den Bergen
Das kommt vor: dass eine Premiere nicht so läuft, wie erwartet. Aber die Ursachen liegen diesmal auf der Hand: Es ist üblich, dass hervorragende Partien, Soli, Duette, Terzette, Chornummern etc. mit Szenenapplaus honoriert, aber der Ablauf der Handlung dadurch nicht behindert werden darf. Aber selten wurde so oft und an zu vielen Stellen Beifall geäußert, wie an diesem Abend. Vielleicht, weil die sehr jungen Sänger nicht stringent genug geführt wurden, obschon an der einfühlsamen, ebenso lebhaften wie behutsamen Orchesterführung nichts auszusetzen war, die Einsätze absolut übereinstimmend und die Hingabe der Sängerinnen und Sänger stimmig waren – wo also lag und liegt der grundsätzliche Mangel, der sich vermutlich auch bei weiteren Aufüfhrungen zeigen wird?
Es liegt nahe, die Inszenierung verantwortlich zu machen. Dass sie sich von der mittlerweile nicht mehr akzeptablen kitschig glamorösen oder verruchten Haremsüberzeichnung gelöst hat – (was bei Calixto Bieixto zu einer als oriental gedachten Bordellvariation, mit sadistischen Aufsehern und in Ketten gelegter Konstanze vor einigen Jahren zu heftigen Protesten führte), ist absolut notwendig. Aber dass die kühle Architektur eines luxuriösen Bungalows in idyllischer Bergwelt nun eine Verbesserung ist, kann man auch nicht behaupten. Dazu fehlt die Phantasie, der neuen Fassung auch die Konsequenz einer flotten Handlung folgen zu lassen, einer neuen Geschichte, in der die Leidenschaftlichkeit der Gefühle neue Glut in ihrem Kampf gegen die Macht- und Besitzansprüche einer modernen Gesellschaft erhält. Hier trennt nun eine schräge Bücherwand das schlichte Vestibül vom weitläufigen Wohnraum, von dem aus große Fenster den weiten Blick auf die dunkelgrünen Hänge und die blumenreich dekorierte Terrasse öffnen. Eine seitliche Treppe führt in das obere Stockwerk, was bedeutet, dass sich die Sänger hier auf den Stufen im Auf und Ab ihres jeweils unerwarteten Erscheinens zuweilen treffen, somit mehr Lebendigkeit in einem weitgehend statischen Handlungsablauf entsteht.
Ansonsten wird viel mit Büchern hin und herhantiert, mal aus ihnen zitiert, aber meistens scheint der Lesehunger begrenzt und sie als Requsiten lediglich dazu zu dienen, die Mitwirkenden zu beschäftigen, wenn sie nicht gerade singen. Abgesehen von dem Entführer Bassa Selim, der ein ziemlich moderner Playboy zu sein scheint, Frauen liebt, sie in sein Bergreich entführt oder zu Parties einlädt und gleich bei sich behält, ansonsten überhaupt kein Bösewicht ist, sondern ein netter moderner junger Mann, der keine einzige Note zu singen braucht. Das soll zeigen, dass er in einer anderen, fremden Welt liebt und lebt, fernab von den anderen, von der zarten, seelisch völlig verwirrten und verirrten Konstanze im weißen Flatterkleidchen und hohen Stiefeln – Unschuld, aber modern – sowie ihrer Freundin Blonde, die hier sogleich zur Partymanagerin hochsteigt und sich sehr wohl – wie üblicherweise das kesse Kammerkätzchen – auf Highheals auch in dieser Umgebung sicher zu bewegen und mit klangklarer Energie zu behaupten weiß.
Auch der schreckliche Oberaufseher und böse Eunuch Osmin ist ein eher wunderlicher, skurriler Hausknecht, dem man seine verbalen Hasstiraden nicht so recht abnimmt, zumal sie in spaßigen Reimen und zauberhaften Noten daherpurzeln. Eigentlich hat er mehr eine Bufforolle als die des düsteren Haremswächters. Und er kann das Heim seines Herrn auch gar nicht so recht verteidigen. Zum einen, weil er ständig in der Bücherwand stöbert und sein witziges Wortgefecht mit Konstanzes Verlobten Belmonte ihm gleichermaßen Genugtuung und Spaß verspricht. Seine grausamen Andeutungen treffen musikalisch voll ins Schwarze, woran alle ihre Freude haben, und Belmonte kann mit seinem poetischen Charme, vielmehr vielleicht sogar Sturheit, auch ganz gut punkten, und vor allem, durch die schlecht bewachte Haustür schlüpfen, um seine geraubte Braut aufzustöbern.
Wo also ist nun die Moderne, wie glaubwürdig ist das melodramatische Bangen und die Angst vor dem angeblich bösen Entführer, der Konstanze vielleicht doch nicht gar so unangenehm ist, denn ihre Verzweiflung, so scheint es – weniger dem Musiktext entsprechend als der tatsächlichen Darstellung – ist ziemlich ambivalent, und es scheint ihr gar nicht so unangenehm, von dem verliebten Hausherrn umschmeichelt zu werden. Und so ringt sie eigentlich mehr um ihr zweigeteiltes Herz, und weiß nicht recht, zu wem sie sich denn nun wirklich hingezogen fühlten soll – Mozart schreibt es ihr (seiner echten späteren Frau Konstanze) vor, und aus dem Orchestergraben verstärken die zärtlichen Tiraden recht eindringlich, dass ihr rechter Platz bei Belmonte ist, der zwar im Vergleich zum eleganten Selim eher einfach, aber doch überzeugend werbend daherkommt und auch wohl der Verläßlichere ist. Denn er ist gütig und verständnisvoll, treu im Glauben, dass der verführerische Hausherr die glockenhelle Reinheit seiner Braut nicht zu trüben vermochte, und er freut sich zusammen mit dem anderen glücklichen Paar, Blonde und seinem sanft ergebenen Diener Pedrillo, dass dies hübsche Quartett seine “Befreiung” jubelnd besingen und dem hilflos-überrumpelten Bassa zu seiner unendlichen Großzügigkeit gratulieren darf, weil er sie allesamt, auf tödliche Rache verzichtend, von dannen ziehen läßt. Kurios. A.C.
Ach ja, und so paßt endlich zusammen, was musikalisch zusammen gehört.