Kinder des Paradieses, B

Nach dem Film von Jacques Prévert und Marcel Carné

Berliner Ensemble, 2018

Regie/Bearbeitung: Ola Mafaalani, Musik: Eef van Breen, Bühne: André JoostenKostüme: Johanna Trudzinski, Choreografie: Maria Marta Colusi,Licht: Ulrich Eh,Dramaturgie/Bearbeitung: Alexandra Althoff,Musik: Eef van Breen (Blechblasmusik, Sänger, Komponist), Biliana Voutchkova (Violine), Antonis Anissegos (Tasteninstrumente), Akrobatik: Marula Bröckerhoff, Kristina Francisco, Lukas Flint, Marvin Kuster, Mitja Ley, Karlo Janke, Marc Unruh.
mit: Kathrin Wehlisch, PeterMoltzen, Ilse Ritter, Felix Rech, Antonia Bill, Tilo Nest, Sascha Nathan, Martin Rentzsch, Veit Schubert, Mitja Ley, Marc Unruh, Marula Bröckerhoff, Karlo Janke, kleine Paptiste Sam Hinzmann/Liam Kinli

Ein altes Spiel in neuer Zeit

        Kinder des Paradieses – doppeldeutig, jene, die fern des Geschehens oben auf der Empore der Technik und des Lebens sind, geschützt, aber abseits stehen.

 Jahrmarktsatmosphäre herrscht auf der Bühne und auch im verstaubten historischen Saal des Berliner Ensembles, der der alte geblieben ist auch unter neuer Intendanz. Nur die Taube über dem Bühnenportal ist fortgeflogen. Eine neue Zeit, in der ein köstlicher Duft frisch gebackener Waffeln, die zuvor an die Zuschauer verteilt wurden, in der Luft liegt. Derweil stelzen Komödianten über die Bühne, die mit einigen schäbig-bescheidenen Requisiten dekoriert ist, jonglieren Ballkünstler, zeigen junge Tänzerinnen ungewöhnliche Elastizität, schwirren andere Artisten in der Vorbereitung für ihren Dreh durch den Raum. Denn darum handelt es sich im Film, dem Vorbild dieser Bühnen-Inszenierung, im Jahr 1944, als im besetzten Frankreich jedes Künstlerengagement mit Vorsicht gehandhabt werden musste. So wurde dieser Film unter der Maske eines Gauklerdaseins, der die lebensgefährliche Arbeit der Künstler unter den misstrauischen Augen der deutschen Besatzung, speziell der Gestapo ausleuchtet, ins Ambiente des 19. Jahrhundert verlegt. Uraufgeführt wurde er erst 1945 im befreiten Paris. In Berlin gelingt es der Regisseurin nicht, die Brisanz, die Atmosphäre, die Bedrohlichkeit des Lebens im beetzten Frankreich, transparent und nachfühlbar zu machen. Es bleibt bei einem eleganten Liebesdrama, hinter dem die politische Dramatik verschwindet.

Denn was sich in dem vielgerühmten Leinwandwerk (Kinder des Olymp) – es galt als der schönste Film, der seither in Frankreich gedreht wurde  – als Allegorie auf das besetzte Frankreich abspielt, galt als bedrohlich und kompromittierend, dokumentierte nicht nur das scheinbar unbeschwerte Leben der Künstler, sondern vor allem ihre seelische und materielle Not unter den Augen der Besatzer unter dem Mantel eines Varietélebens: wie die Verhaftung der beiden jüdischen Regisseure und die Festnahme einiger verdächtiger Kollegen, die nur dank des deutschen Liebhabers der berühmten Schauspielerin Arletty mit dem Leben davonkamen. Auch die Arletty wurde inhaftiert, und erst zwei Jahre danach 1946 wieder rehabilitiert – doch ihre Kariere war ruiniert.

Diese ganze bedrohliche Angst, dieses intensive Leben für den Augenblick angesichts des über den Künstlern schwebenden Damoklesschwertes, bleibt nun aber in der Bühnenadaption dezent im Hintergrund. Was  der Gauklertruppe als Provokation gegen die Besatzer ausgelegt werden könnte,  würde unweigerlich zur Schießung des Varietés führen, also entscheidet man sich für die Pantomime. So argumentiert Pierrot Baptiste (von Peter Moltzen elegant gespielt) so stumm wie beredt, lässt den ganzen Körpersprechen, um die des Diebstahls bezichtigte, geliebte Kollegin vor der Verhaftung zu bewahren. Dafür gibt es um so mehr und dramatischere Szenen hinter den Kulissen, wo nicht nur Baptiste die schöne Garance liebt, sondern auch der quirlige Neuling der Gruppe, Frederic, den Felix Rech köstlich quirlig und lässig modern und fest von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugt spielt. Ein Mann, dem das Schweigen hörbar schwer fällt, und der in seinen Avancen für die amüsierte Garance  dann doch zeitweilig die Neugier und Gunst der Umworbenen gewinnen kann. Dass er sie später als Othello zwischen Welten von Spiel und Wirklichkeit aus nicht bezähmbarer Eifersucht die Diva mit seiner Desdemona in eine Kategorie verbannt, bleibt allerdings auch mehr im  grotesken Bereich dieser Aufführung stecken.

Denn in deren Mittelpunkt steht: zum einen natürlich die Hauptdarstellerin, Arletty, genannt Garonce, die im wirklichen Leben eine umworbene Liebhaberin und bedeutende Schauspielerin, in ihrer faszinierenden Erscheinung und Ausstrahlung eine femme fatale mit wechselnden Liebhabern und einem schillernden Leben war. Im Bühnenspiel zeigt Kathrin Wehlisch sie als eine in sich ruhende, beinahe somnambul wirkende selbstgewisse Frau, die sich aus der frühen emanzipatorischen Bewegung heraus definiert, völlig selbstbestimmt, „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, liebt, wen sie zu lieben begehrt , aber nicht bereit ist, bei irgendeinem Mann zu bleiben. So bleibt sie seltsam fern und fremd, verziert ihre Rolle mit faszinierendem dunklen Timbre, einer ruhigen Unschuld liegt in ihrer lasziven Art, sich mit aufreizender Selbstverständlichkeit  verführerisch darzubieten.

Was ihre eigentliche Aufgabe in diesem Varieté ist, bleibt dabei geheim.

Was auf der Bühne, in dieser eigenartig im schwarz-weiß ausgerichtetem, in  Erinnerungen und Remineszenen verhafteten Aufführung nicht dargestellt wird, das erfolgt erzählerisch im Gespräch der älteren Garance mit einem Kind, das das Ihre hätte sein können, dem sie am Rande des aktuellen Bühnengeschehens ihre Lebensgeschichte und Moral erläutert. Mit sanfter Herzlichkeit nimmt Ilse Ritter auf, was ihre junge Kollegin im Leben wie im Film so einzigartig machte: die zufriedene Gelassenheit, ihr Freiheitsdrang, die absolute Hingabe an ihr selbstgelebtes Ich, ihre Erfahrungen, von denen sie nur die schönen Seiten aufbewahrt hat.

Die Liebeskandidaten der Garonce die sich diesen Künstlernamen in der Erinnerung an die rote Unform  ihres ersten Geliebten, der als blutjunger Soldat im Krieg starb, gab, sind zahlreich, im Leben, wie im Film. Auf der Bühne sind es der Dichter und Kollege Pierre-Francois Lacinaire, der von Thilo Nest gespielt, nicht aufgibt, sich sinnbildliche Ohrfeigen der Umschwärmten einzufangen, da ist der eher väterliche, doch besitzergreifende wohlhabende Graf de Montray von Martin Rentzsch energisch wie nobel gezeichnet, vordringlich eine pekuniäre und politische Sicherheit für die unbedarfte Garonce , die immer emotional handelt, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Die lebenslange, dramatische Verbindung der echten Schauspielerin Arletty mit einem deutschen Offizier, der nicht nur ihre Kollegen, sondern auch der Geliebten aus den Fängen der Gestapo half, wird hier nicht weiter thematisiert. Die packende und reale Dramatik im politischen Bereich bleibt in der Bühnenversion auf die Liebesaffären reduziert.

Also überschneidet sich hier allerlei, nicht immer durchsichtig, denn es ist mehr eine nacherzählte Aufzeichnung, kein spannendes Zusammenspiel, es fehlt zwischen den Akteuren an Bindung, deren Mangel sich mit einer ängstlichen Distanz der Künstler zueinander außerhalb ihres Arbeitsmetiers schließen lässt. So bleibt beispielsweise die Figur der Nathalie, der schönen Gastwirtstochter, seltsam abseits, ist sie doch unermüdlich ihrerseits im  Werben um den geliebten Baptiste, bewegt ihn auch zur Familiengründung bis er eines Tages wieder auf Garonce trifft und ihr erneut verfällt. Antonia Bill hat somit ihre liebe Not, ihr Leben als Zweitfrau zu akzeptieren und nebenbei für ihren kleinen Sohn noch ein harmonisches Idyll zu Dritt vorzutäuschen. Die einzig wahrnehmbare Tragödie in diesem Spektakel – das trotz der Intensität der Darsteller seltsam fern an einem vorüberzieht. A.C.

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