Die Familie Schroffenstein, Potsdam

von Heinrich von Kleist
Hans-Otto-Theater Potsdam

Regie: Markus Dietz, Ausstattung: Ines Nadler, Dramaturgie: Helge Hübner

Mit: Peter Pagel (Rupert, Graf von Schroffenstein), Rita Feldmeier (Eustache, seine Gemahlin), René Schwittay (Ottokar, ihr Sohn), Eddie Irle (Johann, Ruperts natürlicher Sohn), Armin Dillenberger (Sylvius, Graf von Schroffenstein aus dem Hause Warwand), Bernd Geiling (Sylvester, sein Sohn, regierende Graf), Andrea Thelemann (Gertrude, seine Gemahlin), Elzemarieke de Vos (Agnes, ihre Tochter), Wolfgang Vogler (Jeronimus von Schroffenstein), Friedemann Eckert (Aldöbern), Jan Dose (Santing, Vasall Ruperts) u.a.

 

Die Folter lügt nicht – von Rache und Hass und Tod

Es waren einmal zwei verwandte und verfeindete Familie, die jede auf ihrer Burg saßen und einander argwöhnisch belauerten ob der wirklichen und vermeintlichen Misse- und Attentate gegen einander. Und wie im wirklichen Leben ging es natürlich um das wohl beträchtliche Erbe, dass sich ein jeder Clan erhoffte, sobald die andere Linie ausgestorben wäre.
Dem Hause Rossitz steht Graf Rupert vor, ein düsterer, misstrauischer Mann, den in Potsdam Peter Pagel bis zum schmerzhaften Wahnsinn vorstellt. Der glaubt fest, dass sein jüngster   Sohn vom Familienfeind hinterrücks ermordet wurde. Schließlich habe man zwei Ritter aus dem Hause Warwand bei der Kindesleiche angetroffen. Und der eine habe unter Folter den Namen seines Herrn, des Grafen Sylvius erwähnt – was zu jenen Zeiten als ein Geständnis galt, auch, wenn der Befragte kurz danach (an den Folgen der brutalen Befragung) starb!

  So war das damals, im späten Mittelalter, in der Heinrich von Kleist seine erste, düstere Story angesiedelt hat, um in seiner machtvollen, bildreichen Wortkomposition eine allgemeingültige Moral aufzuzeigen: Misstrauen und Verdächtigungen, Unversöhnlichkeit und Hass führen zwar nicht immer zu tödlicher Gewalt, und wie hier gleich zur Ausrottung zweier Familien, aber allgemeinhin bis zum heutigen Tage, zu Rache und Vergeltung im Namen falsch verstandener Gerechtigkeit, und sie rufen stets neu aufflammendem Zorn hervor. Besonders, wenn es um ein bedeutendes Erbe geht.

Ines Nadler hat eine große, mit weißem Papier bespannte Sprossenwand in die Mitte des Raumes gestellt, die sich verschieben und erklettern sowie durchbrechen läßt, je nachdem, ob sie nun das die Burgen umschließende Gebirge oder die – ausweglosen -Fluchtwege der eingeschlossenen Menschen darstellt. Auf der einen Hälfte sitzen in Reih und Glied in schwarzen Kleidern die trauernde Familienmitglieder von Rupert, auf der anderen die ob dieses Verdachts fassungslosen Angehörigen des Grafen Sylvius, den Armin Dillenberger fest und entschlossen zunächst als Mann der Versöhnung ausweist, der später aber, als das Rad der Vergeltung sich unausweichlich dreht, als gebrochener Charakter ebenfalls dem mörderischen Wahn verfällt.

Die beiden ungleichen Familienhäupter umgibt jeweils eine furchtlose Familie, Söhne, die zwar gehorsam ihrem Vater folgen und dem Feind ewige Rache schwören, insgeheim aber toll verliebt um dessen Tochter Agnes buhlen. Und die beiden vom frühen Tode ihrer Kinder geschlagenen und tief verwundeten Mütter erhoffen sich, dass endlich Friede und Vergebung zwischen den rachsüchtigen Kontrahenten eintreten möge. Sylvius’ Gattin Gertrude wird von Andrea Thielemann mit mehr Schärfe und auch Realitätssinn verkörpert als Eustache, Rupers Gemahlin, der Rita Feldmeier sehr viel Sanftmut gibt.

 Den couragierten, zwischen beiden Lagern unermüdlich vermittelnden Jeronimus, auch ein Verwandter aus dem Stamm der Schroffensteins, spiegelt Wolfgang Vogler fast zu naiv, so dass er Ruperts tödlichem Hass keine Waffe mehr entgegenhalten kann. Er könnte als Diplomat die Fäden in der Hand halten, um sowohl die Versöhnung der beiden Clans als auch die Verlobung zwischen Ottokar und Agnes vorzubereiten. Doch ein Happyend hatte Kleist keineswegs im Sinn. Er wollte letztendlich eine Parallele zu Shakespeare’s unglücklichem Liebespaar Romeo und Julia ziehen, und auch Verdis “Rigoletto” mag er im Sinn gehabt haben, als er die beiden vom Hass verblendeten Väter am Ende ihre eigenen Kinder erschlagen läßt.

Das Ganze hat Markus Dietz mit starken Streichungen, schnell und stimmig inszeniert, nicht unbedingt schrecklich aufregend, aber doch mit feiner Dramatik und Seelentiefe, was sein Ensemble- auch zur Seniorenvorstellung an einem Sonntagnachmittag – hingebungsvoll umsetzt. Elzemarieke de Vos kennen wir noch von der Berliner Schaubühne – hier hat sie endlich mehr Gelegenheit, ihr Talent als tapfer um ihre Liebe kämpfende Agnes zu entfalten. René Schwittay, der als ein willenstarker Ottokar seine Braut aus den Klauen der brüllenden Vatertiere entreißen möchte, muss zunächst alle Knäuel entwirren, bevor sich die Lage zwischen den Liebenden entspannt. Eddie Irle als Johann ist ein “natürlicher Sohn” Ruperts und ein verirrter dazu. Suizidgefährdet und zudem nicht ganz zurechnungsfähig, gerät er in seinem Liebeswahn zu Agnes in die Hände und Folterkammer ihres Vaters. Ein Versehen, eines der vielen Missverständnisse, denn er wollte nicht Agnes, sondern sich selber töten. Doch wer glaubt schon noch den Worten des anderen? Zumal auch die Boten nacheinander ihre Nachricht mit dem Tod bezahlten. Und der Mord an dem kleinen Sohn? Auch ein Missverständnis, denn das Kind fiel in den Bach und ertrank. Die falschen Beweise rührten aus einem alten Aberglauben. Doch – das ist die bittere und nicht nur mittelalterliche Wahrheit: was Zeugen angeblich gesehen und gehört haben, galt gefährlich oft als ausreichendes Indiz und genügte, um einen Menschen zu verurteilen.

Ich fand diese Inszenierung mehr abstrakt kühl als drastisch modern. Was den Vorteil hat, dass die hohe Sprachkunst und ihre häufig etwas schnelle Umsetzung als erschütterndes Familiendrama lebendig in den Vordergrund tritt. A.C.

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