Die Entführung aus dem Serail, HB
Singspiel in drei Aufzügen
von Wolfgang Amadeus Mozart, Text von Johann Gottlieb Stephanie dem Jüngeren nach Christoph Friedrich Bretzner, Uraufführung 1782 am Burgtheater Wien
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2018
Es spielen die Bremer Philharmoniker unter der Leitungvon Hartmut Keil, Inszenierung: Alexander Riemenschneider, Dramaturgie: Caroline Scheidegger, Bühne: Jan Stêpánek, Kostüme: Emir Medic´, Licht: Christian Kemmetmüller
mit: Alexander Swoboda: Bassa Selim; Nerita Pokvytyté: Konstanze, Sängerin; Stephanie Schadeweg, Konstanze, Schauspielerin; Blonde: Ina Yoshikawa, Sängerin; Schauspierlerin: Anna-Lena Doll; Hyojong Kim: Belmonte,Sänger, Ferdinand Lehmann: Schauspieler; Joel Scott: Pedrilli, Sänger, Parbet Chug Schauspieler; Osmin: Christoph Heinrich Darstellung, Steven Clark Sänger; Kind: Jenna Blume, Ester Gerken, Esther Kim.
Im Dschungel der Gefühle
Bereits mit der schön schmelzenden Overtüre gerät man ins Zweifeln: was spielt sich da oben im Guckkkasten auf der Bühne eigentlich ab? Partygewirr, Gläser, Tanz, eng an eng hocken die Leute auf einem braunen Kunststoffsofa, alles ziemlich trist. Die Kleidung ist auch nicht gerade das, was man vom Rokoko kennt. Überhaupt ist diese ganze Aufführung gewollt farbarm, der schöne Schein ist seines Glanzes beraubt. Man ist so eine Entzauberung zwar gewöhnt, und nicht immer erschließt sich sofort der Sinn, dieses Mal aber schon nach kurzer Zeit: denn die Partygesellschaft von heute ist die gleiche Amüsiergesellschaft von gestern und vorgestern, und auch die zu Zeiten Mozarts, der, als er dieses scheinbar märchenhafte Spiel in seiner Phantasie in Noten umsetzte, dabei weitaus tiefsinnigere Absichten hegte als in erotisch überspannten oder gefühlsduselig strapazierten Inszenierungen auf deutschen Bühnen oft vorgeführt worden ist.
Zweimal ist jedes Paar besetzt: Da ist einmal das nach Außen gezeigte Denken und Fühlen, dem hier die hinreißenden Sänger mit der musikalische Übernahme aller sinnlich-erotischen und überschwenglichen Arien und Duette den gebührenden Raum geben – und da ist ihr anderes Ich, ihre Psyche, ihr zwiespältiges Empfinden hinter der Fassade endloser Liebes- und Treuebeschwörungen, die einen schönen Schein vorgaukeln und doch nur die halbe Wahrheit sind.
Denn, so ist es zwischen den Zeilen und dem sehr austarierten Notenspiel zu vernehmen: die von “Seeräubern” entführte Konstanze und ihre Dienerin Blonde finden es im Harem des Sultans Bassa Selim nach anfänglicher Fremdelei eigentlich doch irgendwie faszinierend und die beiden Mannsbilder eigentlich auch recht attraktiv: Da ist der sanft schmeichelne Selim, von Aleander Swoboda mit norddeutschem Charme gespielt, der zwar auch zuweilen die Peitsche schwingt, aber das sind nur leere Drohungen, möchte er die widerspenstige Konstanze eigentlich nicht nur körperlich erobern. Während sein Oberaufseher, offensichtlich kein Eunuch, mit so herrlichem Bass verzaubert, dass seine wütenden Gebaren die kecke Blonde eigentlich überhaupt nicht erschüttern können und sie gar zu gern auch mal an seine Brust sinkt. Für Christoph Heinrich als Raufbold Osmin ist in dieser Vorstellung die Pille doppelt bitter: muß er doch nicht nur auf seine angekränkelte eigene schöne Stimme verzichten, die Steven Clark an der Seitenfront mit inbrünstiger Ausformung übernimmt, sondern auch auf das smarte Mädchen, das er zu gern besitzen würde.
Dieses HIn- und Hergeplänkel wird allerdings nur in dem von den Schauspielern übernommenen Parallelspiel deutlich. Es führt den Beobachter schnell auf den Pfad der Doppelbödigkeit, der dieses Spiel durchläuft – und für Mozarts Opern mehrheitlich Geltung hat: Denn der umtriebige Amadeus, menschlich oft so verzweifelt wie musikalisch genial, wußte durchaus um die Gefahr, die ein Rollentausch mit sich bringt und machte dies Thema in mehreren seiner Opern zum Plot, – danach werden die Karten der Beziehungen allzu oft neu gemischt wie etwa auch in Cosí´fan tutte oder Le Nozze de Figaro usw.) In diesem für die Außenstehenden zunächst unsichtbaren Gefühlskonflikt platzen die beraubten Liebhaber trickreich in den Palast ein, wo sie sich ihrer Schönen schnell zu erkennen geben, und die mozarteischen unnachahmlichen Liebersduette und Quartette unter dem einfühlsamen Dirigat von Hartmut Keil zu einem musikalischen Höhenrausch führen. Doch Hyojong Kim als Belmonte muss alsbald feststellen, dass seine sehnsüchtige Anbetungsarie die Wiedersehensfreude seiner Konstanze in Grenzen hält. Mehr überrascht als erfreut beteuert Nirita Pokvytyté ihr Glück und ihre Treue in jublilierenden Kaskaden, und auch Ina Yoskikawa als des Dieners Liebste zeigt sich ob des jähen Auftauchens von Pedrillo hoch erfreut, während ihr alter ego Anna-Lena Doll sich bereits, so hat es den Anschein, mit ihrer Gefangenschaft arrangiert hatte und an dem Wiederauftauchen kaum so viel Gefallen findet, wie das wundervoll harmonisierende Orchester uns suggerieren möchte. Und als die beiden Männer dann doch irgendwann misstrauisch werden, können die gewitzten Damen mit endlosen Treuebeschwörungstiraden und weiblicher Finesse ihren Argwohn alsbald entkräften.
Man ist ja nicht nur bei Hofe und zu Zeiten Mozarts an das Schauspiel auch im Alltäglichen gewöhnt, der schöne Schein musste allenthalben gewahrt werden. Und ewig lockt dann doch wohl das Fremde, die Exotik des geheimisvollen unbekannten Landes, wo im Harem die Damen nicht nur für die Liebe bereit sind, sondern auch allerlei Politik betrieben…( Zu der Zeit mochte man gerade die Türken auch nicht so recht) Magalso die drastische Raub der Damen auch eine politische Komponennte beinhalten, so setzt die Regie ihre recht drastischen Momente auf eine andere Ebene, indem sie wieder die moderne Party-und Beziehungbliebigkeit der modernen Gesellschaft vor Augen führt: Was ist, wenn die zurückeroberte Braut heimgekehrt ist ins häusliche Allerlei? Sie verabschiedet zum Beispiel als besorgte Ehefrau allmorgentlich den Mann ins Büro, bürstet noch einmal sein Jacket, reicht ihm die Akltentasche, ein flüchtiger Kuss – und das war`s – ach, was hätte in der Fremde alles sein können, wäre man seiner Illusion nachgegangen und nicht wieder in den Alltagstrott zurückgekehrt. Aber der Regisseur kennt kein Erbarmen und warnt vor einer grauen Realität. Nach der unglaubwürdigen Freilassung der Feinde durch des Sultans Güte (beinahe von Lessing’scher Qualität!), werden die beiden Männer nicht nur nicht geköpft, sondern erhalten ihre Frauen zurück, samt guten Wünschen für die Rückreise…
Und somit ist diese heitere Oper eigentlich ein großes Drama, nur so zuckerwatteleicht verpackt, dass durch die rosa Wölkchen das kleine rote Hackebeilchen, dass eines Tages alle Liebe zerstören wird, nicht wirklich ernst gemeint ist, nur so, als Mahnung. Denn letztlich sitzen sie alle mit ihren alter egos wieder nett beisammen in ihrer Partygesellschaft – doch es ist nichts mehr so wie es vorher war! A.C.