Die Mitschuldigen
von Johann Wolfgang von Goethe
Theater im Palais ,2009
Regie: Yves Jansen,Komposition und musikalische Leitung: Ute Falkenau
Ausstattung: Franz Zauleck,Kostüme: Franziska Zauleck,Maske: Helga Rönsch
Regie: Yves Jansen, Komposition und musikalische Leitung: Ute Falkenau; Ausstattung Franz Zauleck, Kostüme: Franziska Zauleck, Maske: Helga Rönsch
Darsteller: Bianca Baalhorn, Jan Becker, Maximilian Claus und Carl Martin Spengler
Tugend ist nicht immer Mangel an Gelegenheit
Das Kammertheater im Palais am Festungsgraben geht mit Goethe in die neue und zugleich 18. Spielzeit 2009/10, und hat ein Jugendwerk des Dichters aus dem Jahr 1769 ausgewählt, das eine klare Anlehnung an die spöttische Humanbetrachtung des Franzosen Jean Baptiste Molière zeigt. Noch ist es nur eine kleine, erste Fingerübung, doch sie zeigt bereits die Genialität des 19jährigen, der mehr von seiner Umgebung belauschte und in seinem Gedächtnis bewahrte als es wohl den Leuten lieb war. Er spielt mit Worten und Versen in gereimten Alexandrinern, jongliert hin und wieder auch gern mit “Schüttelreimen” , aber so ganz brillant waren sie noch nicht, seine dichterischen Künste; doch voller Scharfsicht und Leichtigkeit wickelte er Ehrlichkeit und Verrat, Tugend und Laster des städtischen Lebens in ein Knallbonbon und ließ es zu aller Leute Vergnügen platzen. Denn mit Schadenfreude schaute man damals wie heute nur allzu gern hinter die Fassaden des ehrbaren Bürgertums.
Auf der abwechselnd in ein zeitloses Entré eines nicht mehr ganz gut florierenden Hotels und dann in ein elegantes Gästezimmer verwandelten Bühne kämpft eine junge Dame (Bianca Baalhorn ) um ihre Ehre und ihren verlotterten Ehemann, der sich mit dem wohl nicht zufälligen outfit eines James Dean à la Horst Buchholz sogleich in die Herzen aller Jahrgänge boomt, die ihm Lotterleben, Spiel und Trunksucht und seinen handfesten Egoismus sicher eher zu verzeihen bereit sind als seine vernachlässigte junge Frau, der nichts als Verzicht und Arbeit bleibt. Aber da ist ja glücklicherweise ihr alter Liebhaber Alceste, der sich als gut zahlender Gast eingemietet hat und doch noch auf ein Liebesstündchen mit der unglücklichen Sophie hofft – und falls sie ihn nicht endlich erhört, so droht er sogar mit seiner Abreise! Das aber würde für den Etat des Hauses den endgültigen Ruin bedeuten. Ziemlich aussichtslos für die so arg in Versuchung geführte Sophie, in diesem Konflikt ihre Ehre zu bewahren, zumal sie Alceste ja immer noch liebt.
Warum, so fragt man sich natürlich, ohne dabei das strenge 18. Jahrhundert zu bedenken, verlässt diese tüchtige Frau nicht einfach ihren verflixten Ehemann, der nicht einmal den Ansatz macht, seinen häuslichen und ehelichen Pflichten nachzukommen, sondern sich als ständig verschuldeter und verschluderter Lebemann durch Maskenbälle und Spielhöllen schleicht. Doch das ist wohl nicht der Gegenstand dieser kleinen Komödie, die die Tugend der Frau an allererste Stelle setzt, dagegen die Wahrhaftigkeit bei den Herren doch stark anzweifelt, und vor allem den Vater, der sich wohl nicht so nobel verhält, wie man es von ihm erwarten dürfte, in ein ziemlich trübes Licht stellt. Für Carl Martin Spengler mal wieder eine hübsche Partie, in der er seine Spiellust mit dem Schalk im Nacken auskosten kann. Und auch Horst Buchholz alias Maximilian Claus kommt dem clownesken Typus einer Goldoni-Komödie sehr nahe. Souverän bietet Jan Becker die Rolle des Liebhabers, der vorbildliche Haltung bewahrt als er sich nicht nur um sein Liebesglück geprellt sieht, sondern auch noch um ein kleines Barvermögen beraubt wird. Und wer ist der Täter? Wer war in der fraglichen Zeit in seinem Schlafgemach? Vater und Tochter waren im Haus, der Schwiegersohn beim Ball, wirklich? Das Publikum weiß es besser und bangt und hofft, das die Wahrheit ans Licht käme…, und vielleicht der üble Gatte doch noch zu einem ordentlichen Leben bekehrt würde. Doch verrät sein qualvoll verzogenes Gesicht da nicht für diesen Unbelehrbaren ein unvorstellbar entsetzliches Schicksal? Ohne Geld an Weib und Haus gefesselt? Und so bleibt wahrscheinlich alles wie es war. Ute Falkenau hat einige hübsche Complets komponiert und saust wie die Wind über die Tastatur, um dem etwas behäbigen Spiel, das der Regisseur in die 20erJahre des vorigen Jahrhunderts versetzt hat, den notwendigen Pepp zu geben.
Kann man sich vorstellen, das zu jener Zeit eine ebenso geistvoll gebildete wie schriftstellerisch sehr begabte Dame der Gesellschaft, Sophie la Roche, ihrer Tochter Maximiliane von einer Liaison mit dem jungen Goethe ernsthaft abriet, weil dieser ohne bedeutende Herkunft, Geld und Profession war? Diese bittere Enttäuschung hat Goethe später in den Leiden des jungen Werthers verarbeitet. Maximiliane aber sollte die schriftstellerische Begabung ihrer Mutter an ihre Kinder vererben. Sie heiratete später den vermögenden Frankfurter Kaufmann Peter Anton Brentano, und wurde die Mutter von Clemens Brentano und Bettina, die den Freund ihres Bruders, Achim von Arnim, heiraten sollte. A.C.