Dritte Generation

von Yael Ronen & the Companie

Eine Koproduktion mit dem Habima National Theatre of Israel, Tel Aviv und der RuhrTriennale 2009, im Auftrag von Theater der Welt 2008 in Halle

Schaubühne am Lehniner Platz

Regie: Yael Ronen, Dramaturgie: Amit Epstein, Irinia Szodruch

Mit: Knut Berger, Niels Bormann, Karsten Dahlem, Ishay Golan, George Iskandar, Orit Nahmias, Raweda, Ayelet Robinson, Judith Strößenreuter, Yousef Sweid

Und immer wieder: Trauer, Hass, Vergeltung

Dieser Abend ist verstörend, manches Mal heiter für die jüngeren Zuschauer. Was zunächst Niels Bormann als Rampenentertainer so verwirrend ins Publikum trägt, soll Kabarett sein, Persiflage, Satire. Aber es ist nicht komisch, mit Minderheiten scheinbaren Scherz zu treiben, sich selbst als deutschen Blödmann darzustellen, der in seinem Bemühen, sich “politisch korrekt” zu verhalten, von einem Fettnäpfchen ins andere tritt. Man erinnert sich zur Zeit ohnehin gerne an Bundespräsidenten, hierbei aber besonders an Heinrich Lübke, der da einst seine Ansprache mit dem legendären Worten begonnen haben soll: “Liebe Gäste, liebe Neger…” Also, das Projekt, das in Tel Aviv mit israelischen, palästinensischen und deutschen Schauspielern (der Schaubühne) erarbeitet wurde, könnte aus Ephraim Kishons Schatzkiste stammen und präsentiert einen – für mich – sonderbaren Humor, der die traurigen und wütenden Monologe der in wechselnde Identitäten schlüpfenden jungen Schauspieler karikiert und zeitweilig völlig fehl am Platze scheint. Denn man kann m.E. den Holocaust nicht durch Sarkasmus ad absurdum führen – so gern man solch ungeheuerliche Verbrechen wie schmerzliche Tentakel gleichermaßen wütend und verzweifelt ausreißen möchte; aber nicht nur für die 3. Generation der Nachgeborenen bleiben die Morde an sechs Millionen jüdischen Menschen im Dritten Reich unbegreiflich und unverzeihlich. Aber solange nicht nur Deutsche, sondern auch junge Israelis in die kaum zu ertragenden Mahnmale der Konzentrationslager geführt werden, um lebendig zu erhalten, was jüdischen Familien angetan wurde, solange werden ihre Angst und unser Schuldgefühl ein Pfahl im Fleische bleiben und von Generation zu Generation weiter getragen werden. 

In diesem Zusammenschnitt überlieferter und gegenwärtiger Historie aber ist nicht nur der Holocaust ein Thema, sondern es tritt auf zwei anderen Ebenen der lang währende, stets von Neuem eskalierende Streit um den Besitzanspruch Palästinas und Jerusalems auf. Anliegen der Darsteller ist es, drastisch aufzuzeigen, dass persönliche Schuldzuweisungen, politische Rechtfertigungen, tragische Einzelschicksale lediglich dazu beitragen, unvereinbare Animositäten, Traditionen und Schicksale zu festigen. Gleich ist Israelis und den zwischen der radikalen Hamas und der Regierung Olmert zusätzlich aufgeriebenen und von ihren arabischen Nachbarn vernachlässigten Palästinensern vor allem eines: ihr Temperament und ihre Wut, ihr zu schnelles Handeln als unreflektierte Reaktionen auf neue Aggressionen und Beschuldigungen. Ihr egozentrisches Denken ist von leidvoller Erfahrung geprägt, aber ebenso von Klischees und einer beängstigenden intellektuellen Enge. Die soll in dieser Aufführung ebenso ehrlich wie gewaltsam an den Pranger gestellt werden.

Sicher, es gibt da einige Rechtfertigungsversuche, Völkermorde aus Vergangenheit und Gegenwart aufzulisten, aber lassen sie sich wirklich vergleichen? Die Frage der Autorin und Regisseurin bleibt beklemmend im Raum stehen; und die sicherlich wichtigen und gegen alle Verbrechen, die Menschen angetan werden, banalen, hier sogar lächerlich erscheinenden Protestdemonstrationen politischer Aktivisten beispielsweise gegen Massentierhaltung und Umweltverschmutzung, zeigen lediglich große Orientierungslosigkeit. Werte zu setzen in der richtigen Reihenfolge scheint nicht mehr möglich zu sein in unserer Zeit, in der alles beliebig ist… Die Kultur spiegelt dabei unsere Gesellschaft in beängstigender Deutlichkeit.

Die Probleme können nicht bewältigt, nicht in einer solchen Reihung von polemischen und emotional getragenen Szenen – und schon gar nicht, wie an diesem Abend, an dem sie mit Frohsinn übersprüht werden. Der 90minütige Versuch zeigt, das Verständnis für die schizophrene Situation und gar Verständigung zwischen den Vertretern dieser Dritten Generation nicht möglich ist, sondern im gespielten Chaos gipfelt – einer brutalen Schlägerei mit sichtbaren Blessuren. Das Scheitern dieser Inszenierung liegt nicht an der Realität. Denn es war noch nie Aufgabe des Theaters, Realität zu zeigen. Es liegt auch nicht an den Schauspielern, die dem diffusen Regiekonzept mit solcher Hingabe folgen, dass der Zuschauer zwischen Wirklichkeit und Schauspiel zeitweise nicht zu unterscheiden vermag. Es liegt an unseren Hoffnungen und Ansprüchen, dass endlich Einsicht gefolgt von Frieden sein müsste und wir nicht begreifen können, – und das zeigt uns dieser Abend – dass Menschen nicht vergessen können und wollen. Dass Ängste, Frustrationen, Traumata jeden Ausweg blockieren, um aus einer Situation herauszufinden können, die mit der Vertreibung der Juden aus Europa am Anfang des vorigen Jahrhunderts begann und die von dem ständig glühenden – und immer wieder von vielen Seiten geschürten – Hass zwischen zwei Völkern genährt wird.

So blieb am Ende nur eine große Traurigkeit zurück. A.C.

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