Hamlet (DT)
von William Shakespeare
Deutsches Theater Kammerspiele
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Julia Kurzweg
Kostüme: Anika Marquart, Dramaturgie: Juliane Koepp
So macht Theater wieder Spaß
Hamlet als Comedy? Als gruselige Grufty-Horror-Show? Das ist schon einmal etwas anderes, setzt aber Kenntnis des klassisch heroischen Shakespeare-Originals voraus sowie ein wenig englische Sprachkenntnis. Denn die Studenten der Ernst-Busch-Schule bieten fantasievolles, fantastisches Theater wie man es lange hier nicht sah. Aber Regisseur Andreas Kriegenburg hat ja immer schon mal Inszenierungen geboten, die sich außerhalb der minimalistischen Sprechkunst auf toten Bühnen bewegen. Und diesmal hat er Anleihen bei der Maskenbildnerklasse der Hochschule und auch beim Theaterzauberer und Kollegen Robert Wilson genommen. Skurriler Spaß liegt diesmal über dem Ernst der blutigen Familientragödie im düsteren Dänemark. Gleichwohl stammt das Thema aus der Antike: Vater-, Gatten-, Brudermord, Rache durch Generationen, Vernichtung eines ganzen Geschlechts – man kennt das zur Genüge. Und doch kann es uns immer wieder neu in seinen Bann schlagen.
Der Einfall ist superb: aus bühnenbedeckenden Kaninchenstall ähnlichen Bretterkisten erheben sich zu mitternächtlicher Stunde die Geister der Vergangenheit: Hamlets Familie und Freunde, alle mausetot, wie man weiß, mit den Jahren bleichgesichtig und fahl geworden, frostroten Mündern und Nasen, ewig traurigen Clownstränen und vergilbten Kleidern und letztem Kronentand auf den wirren Haaren. Zwei Totengräber liefern sich links und rechts des vollbesetzten Gräberfeldes ein heiteres und schnelles Wortgefecht, und aus zwei Grabkisten kommentieren höchst witzig zwei typische Shakespeare-Spaßvögel – die devoten Herren des Hofes Rosencrantz und Güldenstern hier wie aus der Rocky-Horror-Show entlehnt – den Ablauf der Geschichte, die die armen Untoten nun Mitternacht für Mitternacht als Buße wiederholen müssen. Das Drama kennt kein Ende. Wir wissen es, seit gut über 400 Jahren verwirren Brudermord, mütterliche Untreue, Verlust und Verrat der geliebten Braut sowie tödliche Missverständnisse den hilflosen jungen Königsspross Hamlet in immer wieder in immer neuen Variationen; oftmals als Beweis für die Selbstdarstellung der Regisseure, die auf die Frage nach Hamlets Zaudern, die traditionelle Blutrache für den ermordeten Vater an dem Onkel zu vollziehen, nach einer aktuellen Antwort suchen. Was läge da näher, als den ebenso hitzköpfigen wie zerrissenen jungen Mann nun auch sichtbar aus der Gruft zu holen, um die zwischen Rache und Sühne schwankende neue Moral jener Zeit auf ihre Wirksamkeit und Gültigkeit hin vorzuführen!
Diese Inszenierung nun jagt das Publikum durch ein Potpourri an Eindrücken und Gefühlen: Überraschung, Verwunderung, Spannung, Irritation, Amüsement, Ungeduld, auch Entsetzen und Mitleid. Alles in allem Anerkennung für eine vitale Ensembleleistung, die den Tod buchstäblich (die beiden Totengräber in einem makabren, aber durchaus nicht so realitätsfernen Spielchen!) auf die Schippe nimmt, sich über ihn erhebt und über ihn hinauswächst. Wie Hamlets Vermächtnis, das ihn zwar schuldig werden läßt, vor allen an Ophelias Tod, aber der letztlich doch dem väterlichen Rachegeist trotzt und somit einer neuen (christlichen) Weltsicht den Boden in den blutigen Königsdramen bereitet. Man hat erkannt, dass es endlich an der Zeit ist, mit deutschen Aufsatzthemen zwar nicht leichtfertig, aber doch ein wenig leichthändiger umzugehen.
Die Inszenierung, die überwiegend aus Studenten von “Ernst-Busch” bestritten wird, zeigt Talente, die verblüffen. Neben den “alten Hasen” Markwart Müller-Elmau (würdevoller, verständlicherweise missmutiger Vatergeist), Michael Schweighöfer (munterer Intrigant Polonius, versehentlich von Hamlet mit der Lanze durchbohrt) und Natali Seelig ( dem Alkohol und der Liebe verfallene bedauernswerte Königin) ist und bleibt neben allen Faxen Thomas Halle trotz der schwarzen Luftballons, die an seinem Rücken haften, der Mittelpunkt als ernsthafter, glaubwürdig verzweifelter und nach Wahrheit suchender Hamlet. Und Maria Wardzinska als Ophelia ist ein selten wundersames Porzellanpüppchen. Als eigenständige Persönlichkeit missachtet und misshandelt, tänzelt und flattert sie fern aller Realität auf unsicherem Boden – auf den Prinzen hoffend, seinen Wahnsinn missverstehend und ihn verdammend, von der bösartigen Wirklichkeit erschlagen wie ein Blatt vom Wind. Ihr wird sogar als Tote noch übel mitgespielt. A.C.