Herz der Finsternis

nach Joseph Conrad
Deutsches Theater Kammerspiele
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne und Kostüme: Johann Pfau
Dramaturgie: John von Düffel

 

Romane bleiben auf der Bühne ein Fragment

Was offensichtlich vielen Drehbuchautoren und Filmregisseuren gelingt, nämlich die dramaturgische Umsetzung literarischer Vorlagen in ein spannendes Filmszenario, das läßt sich einfach nicht so effektvoll auch auf die Sprechbühne übertragen. Nach Armin Petras’ Version der “Wahlverwandtschaften” am Maxim-Gorki-Theater und Marius von Mayenburgs “Nibelungen” an der Berliner Schaubühne, liefert nun auch Andreas Kriegenburg an den Kammerspielen zum Auftakt der neuen Saison eine nur ansatzweise gelungene dramatische Fassung einer Romanvorlage ab: Joseph Conrads überwältigenden, höchst poetischen und leidenschaftlichen Roman “Herz der Finsternis” aus der Zeit der erbarmungslosen Eroberung und Ausbeutung des schwarzen Kontinents durch die Weißen. Kriegenburgs Dramaturg John von Düffel hat sich zudem in einen Satz des Kapitän Marlowe verguckt, den Protagonisten in Conrads Roman und wohl auch dessen Alter Ego: “Und ich entschied mich für den Alptraum meiner Wahl”. Damit wird ein intellektueller Anspruch erhoben, der, wie auch bei den anderen oben genannten Inszenierungen leider nicht erreicht wird. (Die Boulevardbühnen haben es da leichter, sie erheben erst gar nicht solch stolze Zielsetzung!)

Die kunstvoll und spannend konstruierte Erzählung, die menschliche Seelenabgründe und zugleich das tiefste Innere des afrikanischen Kontinents erforscht, wird von sechs Darstellern teilweise solo oder im Chor sehr schnell, oft sehr hart gesprochen und szenisch untermalt mit raumhohen, alptraumhaften Fantasiepuppen. Die Schauspieler bestreichen deren und ihre eigenen Körper und Anzüge zeitweilig überdies mit sehr viel Schlamm, den man wohl noch in den Magazinen von der unerträglichen Shakespeare-Inszenierung (Was Ihr wollt) im Zelt übrig hatte, und der nun als Symbol für Verrohung und Verwahrlosung dient und zugleich auch allen Beteiligten die uniforme Hautfarbe des dunklen Kontinents anpasst. Vor dem üblichen kahlen, nur fleckig weiß getünchten Bühnenraum sind Leitern aufgerichtet, ähnlich den geflochtenen Tauen, wie sie einst die Segelschiffe hatten, damit die Matrosen in die Rahen klettern konnten. Hier dienen sie vorwiegend der verbalen Präsentation und den Kletterkünsten der Erzähler. Historisch sind die Leitern zwischen den Wanten nicht ganz getreu, denn zu Conrads Zeit umkreisten bereits Dampfschiffe die Welt und kündigten die Eroberer durch schwarze Rauchfahnen bereits von ferne an – was für diese bei einer feindlich gesinnten Bevölkerung durchaus üble Folgen haben konnte.

Eine weitestgehend sprachlich lebhafte und mit großer Intensität vorgetragene Geschichte, die angesichts des fortgeschrittenen Bewusstseins für die unfassbaren Schrecken späterer Gräueltaten folgender Zeiten leider in dieser Version nicht mehr so erschüttert. Die Naivität der frühen Jugendlektüre hat ein weiteres Jahrhundert grausamer Kriege und ethnischer Säuberungen verhärtet. Und so bleiben die vorwiegend als Erzählung dargestellten und inszenatorisch untermalten Erlebnisse eines englischen Kapitäns, der im Auftrag einer belgischen Handelsgesellschaft den Kongo hinunterfährt, um einen Handelsagenten ausfindig zu machen, der dort im tiefsten Busch mit unmenschlicher Härte und Grausamkeit über die geknechteten Eingeborenen herrscht, (und ein Vermögen an Elfenbein hortet)  lediglich ein Fragment. Kapitän Marlowe gerät immer tiefer in den Wahnsinn von Hitze und Undurchdringlichkeit des Dschungels, Krankheiten und mörderischen Machenschaften der dort lebenden Weißen, für die die Schwarzen nicht mehr sind als lästige Tiere, die man nach Belieben töten kann, wenn sie ihren Dienst getan haben.

Doch der Konflikt, dem Marlowe selbst nicht ausweichen und dem er sich nur qualvoll stellt, ist in einer moralischen Fallgrube verborgen. Der Handelsagent mit Namen Kurtz ist nicht nur ein teuflischer Charakter, sondern auch ein eloquenter Zyniker, den nicht nur eine erbarmungslosen Natur und seine Gier nach Elfenbein zerstört haben, sondern auch eine zerrüttete Persönlichkeit, die unrettbar in die Untiefen ihrer Seele gestürzt ist. Hier wäre eine Chance gewesen, den faszinierenden, und nicht zu seinem Nachteil an den Schauspieler-Charakter Gert Fröbe erinnernden Markwart Müller-Elmau bühnenwirksam agieren zu lassen! Leider hat man seine Aktion überwiegend auf die musikalische Handhabung der exotisch wohltönenden Bambusrohre reduziert, anstatt ihm die charakterliche Darstellung dieses Mannes ausformen zu lassen!!  Gleichermaßen auf der ständigen Flucht vor archaischen Einwohnern und ausgezehrt von den Bedingungen im Busch, haben sich für Kurtz und seine auf der Lauer liegenden intrigierenden weißen Mitarbeiter (Harald Baumgartner und Peter Moltzen triefen vor Gemeinheit) die christlichen Wertmaßstäbe verdreht: Gut und Böse, Richtig und Falsch gelten hier nicht mehr: Überleben lautet die Maxime.

Darin sind weitaus mehr Themen enthalten als die schrecklichen Riten, die in der Wildnis herrschen, Unterdrückung, Folter und Tod, Hunger, Durst und Krankheit. Der psychologische Kern, den Conrads Erzählung enthält, die Leidenschaft menschlicher Entdeckungs- und Forschergelüste, die Gier nach Ruhm, Macht und Geld, die erbarmungslose Analyse der eigenen an den Rand der Menschlichkeit gebrachten schwachen Persönlichkeit – der hohe Preis, den Menschen dafür zahlten (z.B. als erbärmliches Wrack: Daniel Hoevels als willenloser Knecht von Kurtz) – das alles bleibt in dieser Inszenierung nur ein zu schnell daher deklamierter Anriss, wenngleich auch von faszinierender Vortragskunst durch die neuen Ensemblemitglieder, die der neue Intendant Ulrich Khuon aus Hamburg mitbrachte. Es wäre der Stoff, aus dem man großes Theater machen könnte. A.C.

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