Tancredi

von Gioacchino Rossini
Deutsche Oper
Musikalische Leitung: Alberto Zedda, Regie und Ausstattung: Pier Luigi Pizzi
Co-Regie: Massimo Gasparon, Chor: William Spaulding


Ein strahlendes Beispiel des Belcanto

Ein paar Tempelsäulen vor blauem Meer, sonniges Sizilien, doch der schöne Schein trügt: Die feindlichen Sarazenen sind in beinahe schon in Sichtweite. Da gilt es, möglichst rasch entsprechende Bündnisse zu schließen, die verfeindeten Herrscher miteinander zu versöhnen, als Preis die eigene Tochter einzusetzen und die Heirat so schnell wie möglich zu vollziehen, damit es sich der neue Bündnispartner nicht noch anders überlegen kann.

So weit so gut. Doch König Argigio und sein angehender Schwiegersohn Orbazzano sind ein wenig vorschnell gewesen, denn Amenaide, das zartbesaitete Königskind, hat längst einen anderen im Herzen und auch im Visier, dessen Rückkehr aus der Verbannung vorerst ein wohlgehütetes Geheimnis und daher nur ihr bekannt ist. Denn Tankredi, einst vertrieben als die Fürstenväter miteinander haderten, ist sich nicht so sicher, ob er nicht immer noch auch als Feind gesehen wird, von dem man Rache befürchtet. Und weil keiner wirklich ausspricht, was sich da abspielt, geht alles gründlich schief und ist somit eine opera seria, die erste, die der begnadete Rossini bereits mit 18 Jahren verfasste. Sein erster Schluß, ein nettes Happy End, kam zwar beim Publikum besser an, aber die stets zeitorientierten Kritiker befanden ein Werk nur dann als dramatisch gelungen, wenn es alle in Schmerz und Asche zurückließ.

Und so muss der arme Tankredi durch vielerlei Missverständnisse, vor allem aber wegen der allgemeinen Sprachunfähigkeit glauben, dass der Liebesbrief der Geliebten nicht ihm, sondern dem Sarazenenfeldherrn gegolten habe. Doch sich über das eigene Misstrauen erhebend, rettet er die die scheinbar zur Staatsverräterin gewordene Geliebte vor dem Tod, schlägt  – stets inkognito – im Zweikampf den Nebenbuhler und gleich anschließend im Feld das feindliche Heer, aber leider stirbt dieser Held, tödlich verwundet, jedoch nicht ohne noch die erfreuliche Wahrheit zu vernehmen, dass der Brief des Unglücks eigentlich sein Glück hätte bedeuten können.

Das Ganze sinkt wie ein musikalischer Goldregen auf Bühne und Publikum hernieder, dank des inniglichen und gewohnt temperamentvollen Dirigats von Alberto Zeddi, Liebling der Berliner und aller Rossinifreunde zwischen Pisaro und Berlin. Denn von dort, der Geburtsstadt des Komponisten hat der 84jährige Altmeister auch diese Inszenierung und seine Hauptsänger mitgebracht, die an der Deutschen Oper einen starken Eindruck hinterließen. Da ist die zarte Amenaide von Patricias Ciofi, die mit ihrem zunehmenden stabiler tönenden hohen Barocksopran, den üppigen Kadenzen und anstrengenden Oktavsprüngen uns den Atem, ihr aber glücklicherweise nicht die Luft nehmen. Wenn auch zunächst noch etwas vorsichtig, so erwärmt sich die Stimme der Liebenden und  Verzweifelten, je enger sich die Schicksalsschlinge um ihren schönen Hals legt. Ihrer Gefühlslage und Ausweglosigkeit entsprechend, ergreift allerdings ihr Klagen nur insofern, als man sie mit Christa Wolff’  ermahnen möchte: Wenn Du geredet hättest, Desdemona. Aber das war später. Zu Zeiten der Sarazenenüberfälle auf Sizilien war es des Weibes Pflicht, den Mund zu halten – es hätte ihr auch niemand zugehört, wie in dieser charakterbetonten und in allen Tönen des Wohllauts ausgefeilten Oper nur schnell deutlich wird. 

Neben dem wie stets hervorragend integrierten Chor als aufbegehrendes Volk fällt der zwar wohltönende, aber sehr behutsam ausschwingende Mezzo von Hadar Halévy nicht so energisch aus wie man vielleicht von einem Helden der alten Oper erwartet hätte, während  Alexey Dolgov als gütiger Vater wie auch als konsequent urteilender Herrscher das Leid um seine Tochter mit tiefer Empathie darzustellen vermag – dem konträr steht der Haudegen Orbazzano mit dem unnachgiebig festem Bariton von Krzystof Szumanski. Überraschung des Abends aber sind die wunderbar klaren, feinsinnigen neuen Stimmen von Clémentine Margaine und Hila Fahima, Stipendiatinnen des Förderkreises der Deutschen Oper. A.C.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


fünf + = 9