All das Schöne, B

Every Brilliant Thing
Schauspiel von Duncan Macmillan

mit Jonny Donahoe/Deutsch von Corinna Brocher
Vagantenbühne Berlin, 2024

Mit Felix Theissen

Regie: Fabienne Dür, Raum & Kostüm Lars Georg Vogel, Fabienne Dür, Dramaturgie Lars GeorgVogel, Künstlerische  Assistienz & Abendspielleitung Cosima Krupskin, Technische Leitung Malte Hurtig, Licht & Bühnentechnik Janis Willhausen

Das Leben einfangen und festhalten

Warum und wie man das macht? Felix Theissen zeigt es uns, einem engagiert mitwirkenden Publikum an diesem Abend in der Vagantenbühne.  Ein unvergessliches Erlebnis.

Denn Theissen spielt nicht nur die Geschichte des kleinen und später großen Jungen, der das Alltägliche, das Schöne, was sich festzuhalten lohnt, auf Papier und vielen Zettelchen festhält, um es seiner schwermütigen Mutter zur Ermutigung und Lebensbejahung jeden Tag aufs Neue anzubieten, sondern auch, um später sein eigenes Leben besser regeln zu können-. Theissen macht das voller Humor und Wärme, bezieht das  Publikum in verschiedenen Rollen mit ein, erzählt und agiert zugleich, herzerfrischend, niemals todtraurig – obschon der drohende Suizid einer Mutter ja etwas sehr Bedrückendes und Trauriges hat – aber er kann das Spiel wie eine Übung einer guten Schauspielklasse vorführen, vergibt die Rollen und verbindet das heitere Annehmen einer unerwarteten Situation mit der stringenten Fortführung dieser individuellen und doch nicht so ganz einmaligen Familientragik.

Sie beginnt für den kleinen Jungen schon sehr früh mit einem sehr traurigen Ereignis, an das sich der Edgar aber später gar nicht mehr so richtig zu erinnern vermag: er muss seinen kleinen, sehr kranken Hund einschläfern lassen. Jeder, der das selbst schon einmal erlebt hat, weiß, wie schwer ein solcher Ausschied auf dem Herzen eines Kindes lastet.  Aber es ist gott- und schicksalsergeben so gedacht. Ein Tier lebt wie der Mensch so viele Jahre, multipliziert mit der Zahl sieben, und dann ist das Ende unausweichlich.

Aber da ist das andere drohende Damoklesschwert, das über der Familie hängt, dem Vater, der so klug und doch hilf- und sprachlos  ist, der Mutter, die eine scharmante und fröhliche Gastgeberin sein kann und dann wieder zu tief in sich und ihrer Dunkelheit versinkt, um all die aufmunternden Hilfsangebote des Kindes wahrzunehmen und in ihrer müden Dämmerung verharrt. Und das Kind kämpft.

Theissen weiß, wie man ein Publikum fesselt, wie man Ertrinkende retten könnte, wie man latente Traurigkeit aus den Angeln hebt, so wie sein Autor es  hier nach den Regeln der “Sozialen Ansteckung” aufzeigt. Aber Duncan Macmillan, dessen Erfolgsstück drei Jahre lang beim Edinburgh Festival aufgeführt wurde und danach weltweit tourte, fand auch heraus, wie man diesem sogenannten “Werther Effekt” begegnen könne und gab seine Empfehlungen an die Medien weiter. Sie sollten, weil sie so wichtig und wertvoll sind, hier erwähnt werden:

Keine technischen Einzelheiten schildern- Nie vemitteln, dass eine Methode leicht, schmerzlos oder grantiert tödlich ist – Dramatische Schlagzeilen und Fotos vermeiden – Suizide nicht als “erfolgreich” beschreiben – Keine Abschiedsbriefe veröffentlichen – Die Auswirkungen auf die Angehörigen nicht ignorieren –  Nicht über Gründe spekulieren und keine vereinfachten Gründe nennen wie “er wurde entlassen”. Aber Hinweise auf Beratungsstellen und Selbsthiflegruppen veröffentlichen!

Aber so lebensermutigend wie in dieser Inszenierung wurde das Stück bisher wohl nirgendwo dargeboten, und doch bleibt es ernsthaft  im Angebot einer unendlichen Zahl von „schönen, komischen, seltsamen Dingen im Alltäglichen“. Es sind am Ende genau 253263 Dinge, die das Leben für den Protagonisten und jeden von uns bereithält: angefangen von  „Eiscreme, länger aufbleiben als sonst und fernsehen, die Farbe Gelb, Sachen mit Streifen, Achterbahnen, Leute, die stolpern…  Lauter Sachen, die das siebenjährige Kind bemerkenswert fand, aber seine Mama nicht unbedingt. Später wird die Liste umfangreicher, nachdenklicher, bestimmter und eines Tages vergessen. Die Liste verschwindet und der Lebensmut des Mannes ebenfalls. Identifizierung mit der Mutter? Oder vermeintliche Schuld? Oder doch “Werther-Effekt”? Als die lange Liste, wohlverwahrt von der verzweifelten Ehefrau, wieder auftaucht, und die Besinnung auf die zahlreichen Dinge, die das alte Leben so lebendig und liebenswert gemacht hatten, unter anderem auch die Erinnerung an die  einfallsreiche Therapeutin seiner Kindheit, da  kann Edgar das Leben wieder einfangen und festhalten.

Ein sehenswerte Darbietung, leicht und schön verpackt.  A.C.

 

 

 

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