Macbeth, B
von Guiseppe Verdi (1813-1901)
Oper in vier Akten, Dichtung von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei nach William Shakespeare, Uraufführung am 14.3.1847 in Florenz (1. Fassung) und am 21 4. 1865 in Paris (2. Fassung).
Deutsche Oper Berlin, 2024
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola, Regie und Video: Marie-Eve Signeyrole, Dramaturgie Louis Geisler, Konstantin Parnian, Spielleitung : Philine Tiezel und Silke Sense, Bühne: Fabien Teigné, Kostüme: Yashi, Licht-Design: Sascha Zauner, Video: Artis Dzerve, Chor: Jeremy Bines
Chor und Orchester und Statisterie der Deutschen Oper Berlin
Darsteller: Macbeth: Thomas Lehmann, Banquo: Marko Mimica, Kammerfrau und 2. Erscheinung: Nina Solodovnikova, Macduff: Andrei Danilov, Malcolm: Thomas Ciluffo, Ärzt, Mörder: Gerald Ferreras, Diener, Herold, 1.Erscheinung: Dean Murphiy, Oberhexe, Callgirl, Lady Macduff: Dana Marie Esch, Duncan, Kellner, Fotograf: Hagen Henning, Fleance: Emil Pyhrr, Hirschmann: Piere Emö, Live-Kamera: Kathrin Krottenthaler
Hexen hexen und Könige morden
Fluten rollen über die Video-Wand, Köpfe werden bald im Kampf um Throne bühnenreif auf mittelalterlichen englischen und schottischen Schlachtfeldern rollen – und auch in den Schlössern der adeligen dynastischen Familien. „Macbeth“ nicht zum ersten Mal auf den Berliner Spielplan, jetzt in der Deutschen Oper inszeniert von Marie-Eve Signeyrole, einer Regisseurin, die möglichst viele Ideen in diesem Opus unterbringen möchte, dass sich doch dank der Brillanz eines Verdi und seiner heutigen Darsteller auf der in nebeldurchzogene Dunkelheit und mit Stellwänden dekorierte Bühne eigentlich selbst genügt. Denn Orchester, Chor und Sänger sind prachtvoll, und es dürfte trotz kleinerer Beanstandungen nach langer Zeit wieder ein Highlight am Berliner Opernhimmel sein.
Dass Videoaufnahmen nerven, zumal, wenn eine Gesichtsmaske in überdimensionaler Größe und grässlicher Mimik apokalyptische Visionen heraufbeschwört, mit blutroten Lippen drohendes Unheil verkündet und sich lästig in die Gegenwart schiebt. Dagegen: eine gute Idee, die vermaledeiten Hexen als junge Sängerinnen in schwarz-weißer Zöglingskleidung mit hohen spitzen Hüten choreografisch geschickt im Raum zu arrangieren oder an Pulten mit IPads auszustatten, aus denen die ihre Weissagungen erhalten und mit hinterlistiger, allerfeinster rhythmischer Untermalung grässliche Gerichte abspulen – man mag sich nicht ausmalen, wie all die fiesen Schlangenmenüs und Kräutergifte wirken werden. Und der wenig phantasiebegabte Macbeth wird ihre Weissagung bis zu seinem Untergang nicht begreifen, nämlich dass er einst durch einen Mann, den keine Frau gebar und einen Wald, der sich in Bewegung setzt, vernichtet wird.
Für Macbeth, den Feldherrn und seinen Freund Banquo weissagen sie, wie es zunächst scheint, sehr Ungenaues und doch für den, der etwas daraus für sich ziehen will, recht Gefährliches: Macbeth, der daraus entnimmt, die Königskrone sei für ihn in greifbarer Nähe, was ihm seine Gattin auch bei seiner Ankunft bald bestätigt. König Duncan nämlich wird auf der Durchreise bei seinem siegreichen Feldherrn nächtigen. Also, der erste Kopf ist gesetzt und damit der Fortlauf der trüben Handlung garantiert.
Aber dieser Macbeth von Thomas Lehmann ist ein mit Skrupeln behafteter Mörder, ein ernsthafter, sensibler und nachdenklicher Mann, der seine Untaten auch zugleich bereut und zwischen der Verblendung, das Richtige getan zu haben und der möglichen Vergeltung durch himmlische und andere Mächte ins moralische Abseits gerät. Das spielt und singt Lehmann mit sympathischer gewaltiger Überzeugung so , wie er später auf den ihn ständig verfolgenden Hirschen schießen wird, den er erst erlegt, als auch sein Schicksal besiegelt ist. Denn Männlichkeit und Tapferkeit stehen bei ihm gegen die Schwierigkeit, Kinder zu zeugen, ein Mensch der Liebe sein zu können. Und das ist bitter, weil er seine Nachkommen somit nicht schon mit ihrer Geburt inthronisieren kann, sondern alle möglichen Kinder und Thronanwärter von Banquo bis Macuff und Malcolm ins Visier nehmen muss.
Über all dem mühen sich nicht nur Macbeth und seine Gattin in schwierigsten Kapriolen und wechselnden schwersten Ausdrucksvariationen miteinander ab, teilen Gewalt und Ehrgeiz, aber müssen auf äußerliche Hilfen zurückgreifen, um einen Nachfolger zu zeugen. Überflüssige Szenen, denn der Kinderwunsch und die Hilflosigkeit angesichts vieler Fehlgeburten ist bei Shakespeare vorgegeben und die großen Sehnsuchts- und Gefühlsausbrüche in der gnadenlos kommentierenden Musik enthalten. Schade, diese Brüche gefährden die Stringenz des gesamten Ablaufs. Auch der niedliche Kindergeburtstag von Banquo Kleinen gerät leicht ins Kitschige bis die gedungenen Fänger sich die Knaben greifen. Nur einer kann den Häschern entkommen und wird später Macbeth die Vorhersage der Hexen bestätigen. Hier spart die Regie nicht mit bildhaften Visionen der vernichteten Menschen, die wie teuflische Geister den Anstifter zu allen Morden verfolgen.
Neben der eindrucksvollen Präsenz des Macbeth steht hier der Feldherr Banquo im Abseits, aber seine kurzen Auftritte als siegreicher Held und vernichteter Vater geben ihm noch genügend Raum zu ergreifenden Klagen. Doch hat er gegen die Tücke des schnell handelnden und rigide weiterhin alle Nebenbuhler auslöschenden Herrscherpaares keine Chancen. Man muss lange warten und dem Gewirr der Szenen folgen, unter anderem einem glänzenden modernen Gastmahl mit den Adeligen des Landes, deren Köpfe noch oben sitzen, einigen Jagdszenen mit Hirsch (als halbnacker Mann),den maskulinen Ansprüchen entsprechend, dem drohenden und großartig intonierten Chor- und dessen Hexengesängen, denen unsere Aufmerksamkeit absolut sicher ist, wenn die Regie wieder einmal ins Absurde gerät.
Viele dunkle Szenen, trübe, voll erschütternder Todesfurcht und teuflischer Getriebenheit machen diese Oper zu einem vielschichtigen Klanggebilde, dem man nicht so recht trauen mag- wie passt das Düstere mit dem Hellen zusammen? Keine Musik nämlich kann so düster sein wie das menschliche Wesen, das sich im Zwiespalt befindet zwischen Machtwahn und Verzweiflung ob der eigenen Grausamkeit, die immer wieder nach Himmlischen Mächten ruft als ob der Mensch noch immer als Getriebene der alten Götter handeln müsste. Rhythmisch und dynamisch, alle seelischen Gründe und Abgründe werden in und vom Orchester getragen und weiterentwickelt, so dass keiner Ruhe finden kann.
Die Lady, nicht zuletzt, mit einer körperlichen und stimmlichen Farbe und Fülle ausgezeichnet, bewegt sich durch alle Höhen und Tiefen mit Hingabe und Inbrunst, auf- und abschwellend, klagend, fordernd, trauernd um die Fehlgeburt – nicht nur des verlorenen Thronfolgers wegen. Aber Verdi dachte bei diese Rolle eigentlich an eine dunkle, unbestimmt aufreibende Stimme, als in ein in Höhen ausschwingenden Supersopran. Andrerseits webt Verdi doch immer wieder die schönen alten Belcantotöne in die wüste Welt der alten Kriege zwischen den Dynastien Englands und Schottlands ein. Denn auch die Liebe ist trotz aller Mord- und Machtgelüste eine große treibende Kraft zwischen den Eheleuten Macbeth. Und so wird auch in der letzten dahin schwindenden Abschiedsarie der Amerikanerin Felicitas Moore deutlich werden, wie tief doch auch bei der Lady die Sehnsucht nach Sicherheit, Kindern und Treue ihr Leben angetrieben hat.
Die Moderne bricht sich nicht nur im gleichmäßigen Wellenspiel vor Schottlands Küste. Es wird auch nicht versäumt, auf den Ölreichtum hinzuweisen, der von König Duncan einst verstaatlich wurde und nun von Macbeth wieder in private Unternehmen gelenkt wird.. Auch der Hinweis auf Kriege, Machtkämpfe, Gesetze, die je nach Verteilung der Ressourcen sich gegen und für die Menschheit auswirken. Aber darum geht es weder Shakespeare noch Verdi, und man sollte diese politische Kritik für andere Dramen bereithalten. Bei Shakespeare wie bei Verdi geht es immer um seelische Befindlichkeiten, menschliche Eigenschaften und Zustände, um ein Handeln, das schuldbeladen ist und Tod, Krankheit, Mord, Wahnsinn, wie er viele Despoten eigen ist – mit sich zieht. Wenn Lady Macbeth von Liebe singt und Mord verursacht – und ihr Gatte von Vergebung und Sühne singt, während ihn die Erinnyen auffressen, dann ist das keine Weltpolitik des 21. Jahrhundert, sondern es sollten zeitlose Vorlagen für gewaltige Arien und kunstvoll arrangierte Chöre, Wegweiser in die Tiefe der menschlichen Psyche sein. A.H.