Die verlorene Ehre der Katharina Blum, B

oder: wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann
nach Heinrich Böll (1917-1985
Uraufführung 1976, Theater der Stadt Bonn
Vaganten Bühne Berlin, 2025 (Premiere 2023)

Regie: Kathrin Mayr, Fassung: Clemens Mädge, Bühne: Katrhrin Mayr, Amelie Müller, Kostüm: Melie Müller, Dramaturgie: Fabienne Dür, Sound: Clemens Mädge, Licht: Henry Mampe

mit Magdalene Artelt: Katharina Blum; Nilse Malte: Interviewer 1/Dr. Blorna; Daniel-Frantisêk Kamen: Interviewer 2, Hauptkommiasa Beizmenne.

Sag mir, wie hältst du’s mit der Wahrheit?

Ist es mit Aufrichtigkeit, der Wahrheit in den Berichterstattungen, Meinungen und Kommentaren  seit Heinichs Böll verzweifeltem Appell 1974 nach mehr Moral und Anstand in den Medien anders geworden? Hat sich die gewissenhafte, sorgfältige Recherche durchgesetzt oder haben die Journalisten immer nur noch das Eine im Auge: Sensationen zu verbreiten, Geheimstes aufzudecken (mit allen Mitteln, die ihnen zur verfügung stehen) und Halbwahrheiten um des Effektes willen herauszuschreien und zu schreiben? Wie ist es seit den schwierigen Zeiten der 67er Jahre als der Baader-Meinhof Terror die Bundesregierung lähmte und die Buelevardblätter ihre Hellhörigkeit allein dahin lenkten, wo es Sensationen zu ahnen und zu gefärbt zu verbreiten galt?

Es war eine schlimme Zeit für alle Menschen, die sich etwas zu Schulden hatten kommen lassen oder in dem Verdacht standen, nicht gesetzeskonform gehandelt zu haben. Bevor noch ein Gerichtssurteil gefällt worden war, gab es bereits das perfekte Urteil durch die Medien in der Bevölkerung. Und Heinrich Böll, im Krieg leidgeprüft und nun ein ebenso herausragender wie sensibler Autor der Nachkriegsliteratur, vielfach ausgezeichnet, Nobelpreisträger und mahnende Stimme zu jener Zeit, als die Gesellschaft noch immer durcheinander war, für Moral und Ethik andere, ältere oder veraltete Maßstäbe anzusetzen sich erklärte. Falschheit und Ungerechtigkeit aber waren es, gegen die Böll in seinen zahlreichen Erzählungen und Romanen kompromißlos ankämpfte, wobei er  kein Tabu  scheute, sich weder vor dem Klerus, noch vor der Politik und der Presse beugte.  Doch die Antwort dieser war nicht nur vehement, sondern auch brutal, zuletzt ging sie sogar gegen die Familie Böll vor, als bekannt wurde, dass diese den sowjetischen Schriftstellern und Dissidenten Alexander Solschenizyn und Lew Kopekev nach ihrer Ausreise in sein Haus aufnahm. Sein Leben wurde immer wieder kritisch unter die Lupe genommen, sein politisches Engagment in der Gruppe ’47 der linken Gesinnung zugeordnet, seine persönlichen Verhätlnisse beobachtet und kritisiert – aber sine Literatur bahnte sich all dessen ungeachtet ihren Weg zu großer Anerknnung und Begeisterung (bis auf seine Bühnenwerke, die zur damaligen konservativen Vorstellung nicht recht passen wollten).

Ein mutiger Mann.

Nun hat die Vagantenbühne eines von Heinrich Bölls vielen Themen und gesellschaftlichen  Anklagen, vor allem das Trauma, das er selbst imUmgang mit den Boulevardblättern erfahren hatte, als Erinnerungstheater wieder auferstehen lassen! Falsche Zitate und Behauptungen, die nicht auf grundlicher Recherche basierten, Aussagen, die aus dem Zusammenhang gerissen und so ihren Sinn verändert hatten und damit oft ein Spektakel inszenierten, das jeder soliden Grundlage entbehrte – kurz all das, was Böll beobachtet hatte, konnte er nun blitzblank auf dem Tableau der Bühne präsentieren: Mit einer jungen Frau, die als “Person der Zeitgeschichte”  in das Visier der Presse gerät,  weil sie einem Verbrecher bei der Flucht geholfen hatte – allerdings war ihr diesnach eigener Aussage nie bewusst gewesen. So wie Böll gegen alle Vorverurteilung, Diffamierung und seelische Grausamkeit  mit der Presse und der gesellschaft ins literarische Gericht ging, so hatte er mit Katharina Blum ein zeitloses Beispiel für viele solcher damaligen und heutigen Vorkommnisse und Praktiken gefunden.

Die Inszenierung hat mit zwei Darstellern in den Rollen der Journalisten und damaligen Kommissare das Schicksals dieser jungen Frau nach 30 Jahren wieder aus Vergangenhiet geholt. Sie versuchen mit sparsamen Mittlen auf einer mit langen schmalen und beweglichen Leuchtkörpern dekorierten Bühne wahrscheinlich Licht in die Vergangenheit zu bringen und das Motiv des damaligen Mordes von Katharina an einem Journalisten – zu erklären und zu begreifen. Da sie in genau der gleichen unempathischen Verständnislosigkeit befangen sind, verstehen sie die arme Frau auch heute noch nicht. Magdalene Artelt erscheint als leicht melancholische Frau im Trenchcoat, den sie frierend immer wieder um sich zieht, doch äußerlich bleibt sie ruhig und distanziert, nach so langer Zeit und so viel Traurigkeit, und antwortet, wie einst im aktuellen Verhör, dem über alle Stränge schlagenden “modernen” Interviewer korrekt und mit leichtem Erstaunen über so viel Unverständnis. Auch als  sich der als Kommissar gebende Journalist höchst unangenehm und verletztend gebärdet und so die Person des damaligen Ermittlers allzu authentisch verkörpert, bleibt Katharina gelassen. Schließlich hat sie ja wirklich ein Verbrechen begangen, damals, als sie diesen widerwärtigen, aufdringlichen Journalisten erschlagen hat. Begreift das denn niemand, auch heute noch nicht, 30 Jahre nach der seelischen Tortur, mit der die Öffentlichkeit sie lange vor der Verurteilung abgestraft hat? Daniel-Frantisêk Kamen imitiert die Vernehmungsart der Polizei wie in vielen TV-Krimis üblich, in denen die Beamten die Verdächtigen bedrängen und mißhandeln, lange bevor deren Schuld erwiesen ist. Warum ist das so? Und warum sagt dazu niemand etwas? Der andere Journalist, der seine Rolle nur einmal mit dem des Arbeitsgebers von Katharina tauscht und zeigt, wie souverän dieser zu seiner Angestellten steht, bleibt dagegen natürlich farblos. Der fiese Kommissar ist immer eindrucksvoller. Aber auch gefährlicher, während Nils Malten als zusätzlicher Interviewer zögert, um nicht an die große Wunde zu rühren.

Vergebliche Liebesmüh: die Tatsache, dass Katharina sich in einen gesuchten Straftäter bei einem Party verliebt, ihn mit nach Haus nimmt und fortan vor jeglicher Verfolgung schützt, bleibt als Tatsache unanfechtbar. Was sie entschuldigt, ihn nicht der Polizei ausgeliefert und versteckt zu haben, ist nur eines: sie liebte ihn.

Wer sie nicht liebt, ist die Öffentlichkeit, sind die Hausbewohner, ist die schleichende böse Zungenverrenkung aller Freunde sowie der Presseleute, vor allem des einen, der sie in so unsäglicher Frechheit in seinen Berichten diffamiert, dass Katharina eines Tages ihre Wut und Verzweiflung nicht mehr zähmen kann, und ihr Racheakt sie zur Mörderin macht. Das aber wäre dann heute ein Stoff für den besten aller Schriftsteller unserer Tage. Ferdinand von Schirach könnte in seiner unglaublich stringenten Beweisführung irn ehrlich-sachlichen Stil  und doch so ergreifend Schicksale wie dieses von Katharina Blum vor Justizias Augen schildern, dass es keiner öffentlichen und behördlichen Bösartigkeit mehr bedarf, denn uns allen würde in eigener Verantwortung die Frage nach Wahrheit und Wirklichkeit, nach Recht und Gerechtigkeit gestellt.

Die zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer, sicher noch Schüler, werden dieses große und schwierige Thema, auch im Rahmen unserer Geschichte nach dem 2. Weltkrieg in der jungen Bundesrepublik sicher nachbereiten. A.C.

 

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