Il Barbiere di Sivilia, B
Gioacchino Rossini (1792-1868) Melodramma buffo in zwei Akten
Libretto von Cesare Sterbini
Deutsche Oper Berlin, 2025
92. Aufführung seit der Premiere am 29.11. 2009
Musikalische Leitung: Friedrich Praetorius, Inszenierung: Katharina Thalbach, Bühne: Momme Röhrbein, Kostüme: Guido Maria Kretschmer, Spielleitung Sebastian Häupter, Chor: Thomas Richter
mit: dem Orchester, dem Herrenchor und der Statisterie der Deutschen Oper Berlin
Darsteller und Sänger: Graf Almaviva: Kangtyoon Shine Lee; Bartolo: Simone DelSavio; Rosina: Arianna Manganello; Figaro: Philipp Jekal; Basilo: Patrick Guetti; Fiorillo: Kyle Miller; Berta: Marie Vasilevskaya; Ein Offizier: Jared Werlein; Ein Notar: Elsa Thiemar; Figaros Assistent: Sükrü Adil Timur; Fortepiano: Pauli Jämsä, Solo-Gitarre: Stefan Degel
Frühlingserwachen
Nicht alles, was gestern war, sollte man zu den Akten legen. Und so hat die Deutsche Oper die wundervolle Inszenierung von Katharina Thalbach aus dem Jahr 2009 wieder auf ihre Bühne gezogen, mit neuen Darstellern bereichert und noch mehr Schwung aufgepeppt: Der Barbier von Sevilla ist kurz gesagt, ein Heidenspaß mit einigen kleinen politischen Affronts, und durchweg stimmlich hervorragend, darstellerisch vielfältig, phantasievoll mit Donner und Blitz am Ende aufgetürmt, mit viel, viel Chuzpe und Schabernack und einem heillosen Durcheinander, was man auch als vielstimmigen Chor bezeichnen kann, der sich im Thespiskarren eifersüchtig an die Gurgel geht. Mit dem Bass des Basilio, der den Saal schockt und rockt, dem lebendigen Bariton des Figaro, nicht minder lebhaft, und dann voller Wut der alte Gier-und Geizhals Bartolo, der sein Mündel partout selbst heiraten möchte, sowie die Kostüm- und Bühnenbildner, die eine Supernova zünden und dem Orchester mit seinen Turbulenzen erheiternd zur Seite stehen, ist das dramma buffo perfekt aufgestellt. Denn wie zumeist in diesem Genre verlangt der 23jährige Komponist von seinen Sängern und Instrumentalisten Unmögliches – und faszinierenderweise schaffen die es, ein tolles Spektakulum zu liefern!
Schon nach der verspielten Ouvertüre mit langen Schleifen und romantischen Bögen, während sich vor pittoresken Häusern eine kleinen alte Stadt zum Leben erwacht und sich, wie bei einem Such-und Fangspiel einige Nonnen zügig nach dem richtigen Weg suchen , der weil Passanten mit Freizeitutensilien wohl auf dem Weg zum Meer sind und endlich ein großer brauner Karren, vom Trecker gezogen, mitten auf dem Marktplatz anhält. Die zauberhafte musikalische Begleitung lässt Flöte und Bläser miteinander harmonisieren, während allmählich nun auch die Streicher schwirrend einsetzen und die Geschichte unten im Orchestergraben wie oben auf der Bühne Fahrt aufnimmt – für ein Liebesdrama, das mit verrückten Verliebten, einem entzückend werbenden, aber durchaus auch willensstarken jungen Grafen mit klangvollem Timbre, der von Kangyoon Shine Lee gestenreich gespielt und von dem Oheim Dr.Bartolo der jungen Rosina fanatisch bekämpft wird. Großartig die Spielleidenschaft von Simone Del Savio als missgünstiger Oheim; die Italiener haben im Blut, was sie ihrem Komponisten schuldig sind. Arianna Manganello ist ein ebenso verliebtes Weib, das sich in leidenschaftliche und lustige Intrigen verirrt und erst in letzter Minute durch die Vermittlung des verrückten Figaro ins gemachte Aristokratenschloss begeben kann.
Dieser Figaro ist natürlich ein Teufelskerl (mit einem superchicen Salon und entsprechendem Personal!), ein Macho par excellance und mit Philipp Jekal überzeugend besetzt. Selbstverliebt und tüchtig, listig die Seiten wechselnd, wenn es nottut, diesmal aber ganz ergeben dem verliebten Almaviva (und seinen Dukaten), der sich recht bürgerlich gibt, um die schöne Rosina nicht zu verwirren. Volksnah nämlich soll es zugehen, und auch die Einwohner des Städtchens stimmen rechtzeitig eine kleine Revolte an, plakatiert und nicht ganz ernst zu nehmen. Noch nicht. Hier lugt der spiritus rector der Geschichte, Graf Beaumarchais, ins Rampenlicht.
Auch Barolos Freund Basilio ist eine große Nummer in dieser Inszenierung, setzt er doch seinen Bass mit einem Furioso ein, das auch weiterhin anhält. begeistert. Patrick Guetti könnte wohl auch eine großräumige Arena mit Zuhörern füllen, ohne eines Mikrophons zu bedürfen. Das fröhliche Spiel im . vor und am Ende auf dem Dach des Karrens, mit dem der Wanderdoktor Barolo durch die Lande zieht, ist Mittelpunkt auch von Soldaten, die kurz mal in der Stadt vorbeischauen, und gleich zur Ablenkung und Rehabilitierung des falschen Musiklehrers in Gestalt von Almavira gezogen werden. Die Situation eskaliert theatergemäß als Barolo seine Freunde Fiorillo und die Haushälterin Berta (die dem Grafen sehr viel später in „Figaros Hochzeit noch sehr schaffen machen) sowie den Notar heranzieht, um so schnell wie möglich in den Besitz der Heiratsurkunde mit Rosina zu gelangen.
Durch einen Trick Figaros‘ gelangt dann aber der gute Graf doch an den Schlüssel zum Gemach der Geliebten, und beide rüsten sich auf dem Dach bereit zur Flucht- angetrieben von Figaro, der das Gewitter einmal wettermäßig, zum anderen in der Gestalt des Barolo und seines juristischen Gefolges ahnt, doch die beiden Turteltauben erst nicht recht trennen kann. Inzwischen birst die Leiter, mittels der die Drei das Dach erklommen hatten und nun stehen sie allesamt ein bisschen hilflos unter Donnergrollen und Regengüssen da.
Tempi, Tempi, Tempi heißt die Losung von Rossini und unseres Orchesters, so dass Almaviva schon mal, den Erschöpfen spielend, um Gnade bittet. Aber Vorschrift ist Vorschrift auch bei Dirigenten, und so gleitet das Furioso des Himmels in Herzen und Menschen auf der Erdboden über und alle jubeln heiter und vergnügt dem jungen Paar zu, und der Graf, großzügig, wie es sich gehört, vergibt Barolo seine Intrige und entschädigt auch ihn, wie natürlich Figaro, pekuniär nach Art des Hauses.
Ende gut, alles gut, viele, viele hübsche Szenenm im kunstvoll arrangierten Durcheinander und glänzende Gesangspartien, die jedermann froh in den Frühling schicken. A.C.