Echnaton, B

(Akhnaten) Oper von Philip Glass, Uraufführung 1984
Libretto von Philip Glass in Zusammenarbeit mit Shalom Goldman, Robert Israel, RichardRidell und Jerome Robbins
Komische Oper Berlin, Premiere 15.3.2025

Musikalische Leitung: Jonathan Stockhammer, Inszenierung Barrie Kosky, Dramaturgie Daniel Andrés Eberhard, Bühnenbild und Licht Klaus Grünberg und Anne Kuhn, Kostüme Klaus Bruns,, Chöre David Cavelius.
mit Johan Holiday als Echnaton, Counter; Susan Zarrabi als Nofretete, Mezzo; Sarah Brady als Königin Teje,Sopran; Naom Heinz als Horemhab, Stefan Cifolelli als Hoheprieser des Amun, Tijl Faveyts als Aya

sowie Orchester, Chorsolisten, Tanzensemble und Komparserie der Komischen Oper und Vocalconsort Berlin 

“Sandkörnchen in der Wüste”

„Wenn du untergehst am westlichen Horizont
ist die Erde in Dunkelheit, dem Tode gleich“

(aus dem Sonnenhymnus des Echnaton)

Unheimlich leuchten im Nebel der Bühne zwei Scheinwerfer zu der gleichförmigen langgezogenen, mit überraschenden Variationen dahingleitenden Orchestereinführung des großen Opernspiels auf: es sind die Totenlichter für den verstorbenen Pharao Amenophis III, der zu Grabe getragen wird.  Ein Chronist verkündet sein Ableben während sich die Szenerie erhellt und ein großes Ritual zu  geisterhaften rhythmischen Läufen entfaltet. Viele Gestalten, noch schemenhaft, dann immer mehr Konturen annehmend, beugen und zelebrieren emphatisch den Übergang des Pharaos in die Ewigkeit, aus der er sonnengleich wieder auferstehen wird. Ein Faszinosum nimmt seinen Anfang auf der plötzlich fremdartig verzauberten Bühne und wird drei Stunden lang eine beinah lähmende Obsession ausüben, der sich niemand entziehen kann. Eine Inszenierung in diesem Glass-typischen minimalistischen  Orchesterarrangement, dessen atemberaubende Fähigkeit in der Übertragung einer hypnotisierenden Monotonie liegt, mit schrägen Variationen und lähmend betörenden tiefen Schleifen. Großer Applaus am Ende für Barrie Kosky und sein Team, deren Phantasie sich mit der dynamischen Orchesterführung von Jonathan Stockhammer kongruent vereint –  in  einer Zeremonie des Todes, der Götterverehrung und der Machtdemonstration Und Obsession.

Tänzer und Chor verschwimmen in- und miteinander. Eine seltsame Harmonie liegt über dieser einzigartig verstörenden Unwirklichkeit, die sich langsam und kontinuierlich fortentwickelt und die Gestalt des nachfolgenden Pharao Echnaton mit seiner Gemahlin Nofretete in glanzvollen langen farbigen Gewändern aus dem monotonen Schwarz-Weiß der Bilder blendend und prachtvoll hervorhebt. Faszinierend auch ist die Stimmgleichheit des klangschönen Counter von John Holiday, tongleich schwingend mit Susan Zarrabi als ebenso glanzvolle Nofretete. Beide herrschen als statische Einheit über ein gläubiges, hingebungsvolles Volk, auch noch nachdem sie die Gottheiten der Vielfalt in einen Monotoismus verwandeln, Tempel bauen für den einen Gott Aton, der alles Geschehen in sich vereint. Abgelöst wird der Vorgänger, der über viele Götter thronende  Amon, der in der anfänglichen Grablegung in langen Phasen hingebungsvoll von dem Hohepriester beschworen wird. Und dennoch gleichen einander alle Beschwörungszeremonien, die die Menschheit seit je her zu ihren verschieden Göttern zelebrierte.

Daher ist diese Oper, wie Glass erklärt, keine explizit gedachte Hinwendung zur ägyptischen Pharaonen- und Gottesverehrung, sondern ein Konglomerat aus vielen Riten und Ritualen, exzessiven und hypnotisierenden Verehrungszeremonien vieler Völker. Eine klare Sachlichkeit wird in abstrakte Bilder in sich langsam voranschreitenden tänzerischen Formationen umgesetzt, immer im starken Stakkato, in abgewandelten Wiederholungen, die uns in eine Art Trance, in einen Rausch der Töne und Bewegungsabläufe versetzen. Keine überflüssigen Bilder, keine Bildnisse, die man sich von den Göttern ja wohl durchaus in Gold und Edelsteinen zu machen pflegte, aber der neue Gott ist sparsam, allmächtig, in der Natur, im Lebensablauf und für den Tod  zuständig. So einfach wie das Volk einst war, alle alten Völker, so einfach und so beschwörend streicht die Musik über den Alltag hinweg, der überwiegend aus Gebeten und Gottesverehrung besteht. Und damit eine Machtintensität ausübt, die stärker zu sein scheint als aller Glanz, der nur partiell noch die Aufgabe hat, die Würde der Pharonendynastien zu demonstrieren.

Aton, der Gott der Sonnenscheibe und des Lichtes, hat  Echnaton als seinen Sohn eingesetzt, dem fortan alle Völker seines Reiches untertan sein werden. Es gibt keinen Jubel, keine verstörenden Temperamentsausbrüche, immer bleibt alles statisch, gleichförmig, den wenigen, akzentuiert gesetzten Tonanhebungen und Phrasen der Musik auch körperlich angepasst und gesanglich erinnernd an die alten Gregorianischen Gesänge, und zugleich mit Trommelwirbeln und den dunkelgrundigen Akzenten der Streichinstrumente an die traditionellen Rituale und Tänze vieler alter Völker und Stämme erinnernd. Die Männerstimmen des Chores lassen keinen weichen  Emotionen zu, die Gesetzte sind klar, hart, eindeutig, absolut. Und es laufen immer wieder Schauer über den Rücken, gefriert das Blut in den Adern, allein durch Bilder und Töne, die in eine eigene Welt führen, die so lebendig in ihrem Totenglanz erstrahlt, dass sie das Bewusstsein blendet.

Die innige Liebe zwischen Echnaton und seiner Gemahlin wie zu ihrer gemeinsamen Tochter ist stolz, heroisch, frei von überflüssigen Bewegungen, der Gesang allein zeigt ihre Liebe, ihre Verehrung füreinander und zu ihrem neuen Gott, der über sie und über allem Irdischen seinen Glanz ausbreitet.  In einem selbst verfassten Hymnus feiert  Echnaton Gott Aton, den der Chor mit Anleihen aus dem Psalm 104 des Alten Testaments in die alte jüdische Religion einbettet. Zwingend und bezwingend sind die Männer, die seinen Thron umgeben und das Reich verkörpern, aber auch gnadenlos, als sich die Vasallen der eroberten Gebiete erheben und über ihr Elend klagen, über ihre Vernachlässigung, die Echnaton für ihre Nöte blind gemacht hat. Ihm gilt nur mehr die Verehrung des neuen Gottes.

Das Ende von Echnaton und seiner Familie naht.  Und die monotheistische Religion sowie die ihr zu Ehren von Echnaton erbaute Stadt „ Achet-Aton“ werden von der der Regierung des neuen Pharao Tutanchamun zerstört, um Amun wieder aufleben zu lassen. Der Epilog zeigt einen Touristenführer an der Ausgrabungsstätte in Tell el-Amarna, wo sich die Überreste von Achet-Aton befinden. Echnaton und Nofretete sowie Teje erklingen noch einmal – aus dem Jenseits. A.C.

Barrie Kosky, der Regisseur, prophezeite wie es vielen Besuchern nach dieser „einzigartig theatralen Erfahrung“ ergehen wird:  „Danach fühlen wir uns alle wie kleine Sandkörnchen in der Wüste.“

 

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


acht + = 14